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"Gruppenfoto!" Ich verkniff mir ein genervtes Seufzen, als dieser Ruf erklang. Sofort entstand großes Chaos und alle Gäste der Vereinsweihnachtsfeier versuchten, irgendwie auf ein Foto zu passen. Ich stand eingequetscht zwischen Gianna und Julian und versuchte, möglichst platzsparend zu atmen. Als das Foto endlich gemacht war, verteilte sich die Gesellschaft wieder auf den gesamten Raum und Julian und ich standen bei Kai und seiner Freundin Sophia. "Wahsinn, dass die Hinrunde schon wieder vorbei ist. Die Zeit verging irgendwie wie im Flug", stellte ich fest und erhielt mehrere zustimmende Nicker. "Ich bin echt gespannt auf das Trainingslager und die Rückrunde." "Kann ich verstehen. Ich bin auch gespannt, wie ihr mit Bosz zurechtkommen werdet." "Ich denke schon, dass er gut zu uns passt. Sonst hätten die Bosse ihn ja vermutlich nicht ausgewählt", überlegte Kai und ich nickte. "Ich bin froh, dass unser Trainerwechsel zu Beginn der Saison so gut geklappt hat. Und mittlerweile haben wir uns denk ich auch alle aneinander gewöhnt", fügte ich nachdenklich hinzu. In diesem Moment stießen Lars und Nele zu uns und dann quatschten wir eine Weile über Gott und die Welt, bis Heiko Herrlich nach vorne gebeten wurde. Ein paar Leute hielten kleine Dankesreden an den Trainer und auch mein Bruder als Kapitän der Mannschaft bedankte sich mit herzlichen Worten und einem kleinen Geschenk. Heikos Zeit bei Leverkusen war seit dem gestrigen Jahresabschlusstraining vorbei, offiziell blieb er aber natürlich noch bis 31.12., weil das das im Vertrag festgelegte Datum war. Ab Januar würde Peter Bosz Julians neuer Trainer sein und ich wusste, dass er sehr angespannt war, weil ein neuer Trainer natürlich immer bedeutete, dass vielleicht Stammplätze neu verteilt wurden. Da mein Freund die letzten zwei Wochenenden nicht gespielt hatte und auch davor nicht in perfekter Form gewesen war, machte er sich natürlich viele Gedanken. Ich war mir aber sicher, dass er sich auch unter Bosz würde beweisen können. Julian hatte ein unglaubliches Talent und den Ehrgeiz, alles zu geben, was er konnte. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich mein Handy in meiner Hosentasche vibrieren spürte. Rasch drückte ich Julian meine Tasse Kinderpunsch in die Hand und entschuldigte mich, dann verließ ich den warmen Raum und trat hinaus in einen ziemlich kalten Gang, wo ich mein Handy hervorzog. Die Nummer war mir und meinem Handy unbekannt, aber ich ging trotzdem ran. "Bender?" "Emily? Bist du das?" Es dauerte keine zwei Sekunden, dann erkannte ich, wer mich da anrief. "Ronja! Ja, ich bins. Wie schön, dass du dich meldest." "Ich hab's dir doch versprochen." "Stimmt, aber ich wusste nicht, ob du das tust, nachdem du so viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen hast wegen mir. Das tut mir übrigens total Leid." "Muss es nicht. Weißt du noch, wie du mir erzählt hast, dass du nach dem Tod deiner Mutter dachtest, es könnte nicht schlimmer werden und dann hast du ihren Brief gelesen? Bei mir war es genauso. Als ich mein Gesicht in den sozialen Netzwerken und den Nachrichten gesehen hab, da dachte ich, mich trifft der Schlag. Aber dann hat sich eine Frau gemeldet, die mich auf den Bildern und vom Namen und Alter her erkannt hat. Sie heißt Karla und ist meine Tante, Mamas jüngere Schwester. Sie war wohl immer das schwarze Schaf in der Familie, weshalb keiner über oder mit ihr geredet hat. Aber meine Mama hat ihr von Zeit zu Zeit geschrieben und dann auch Fotos von mir geschickt und jetzt ist Karla mein Vormund und ich kann zu ihr ziehen, sobald ich aus der Psychatrie raus bin." Ich hatte einen riesigen Kloß im Hals und Tränen in den Augen, während ich dem hoffnungsvollen Beiklang von Ronjas Stimme lauschte. Als ich diese Stimme zum letzten Mal gehört hatte, war sie völlig kaputt und heiser vom Weinen gewesen und jetzt schien es für Ronja wirklich eine gute Zukunft zu geben. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut", brachte ich krächzend hervor und wischte mir unterm Auge entlang, um meine Wimperntusche nicht zu verschmieren. "Und mich erst. Ich dachte, ich hab niemanden mehr, aber jetzt hab ich jemanden, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte. Das hat mich an dich und deine Brüder erinnert." Ich konnte nichts sagen, mein Hals schien wie zugeschnürt. Aber das war auch kein Problem, denn Ronja war noch nicht fertig. "Vor ein paar Tagen hätte ich noch nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber danke. Danke, dass du mich davon abgehalten hast, zu springen. Die Medien haben Recht, wenn sie sagen, dass du mir das Leben gerettet hast. Und bitte mach dir keine Gedanken mehr wegen der medialen Aufmerksamkeit, ich bin gerade dabei zu lernen, wie man Dinge akzeptiert und mit ihnen zu lernen lebt. Ich kann es nicht rückgängig machen, aber ich kann mein Bestes geben, um nicht wieder in diese Situation zu kommen." "Das ist ein guter Plan, Ronja." Noch immer klang meine Stimme kratzig und ich räusperte mich schnell. "Du meintest, dass ich dich anrufen oder dir schreiben kann und ich wollte fragen, ob wir uns vielleicht mal treffen wollen, wenn ich aus der Psychatrie draußen bin. Meine Tante wohnt in Bayern, da ziehe ich dann hin, aber vorher würde ich dich gerne nochmal sehen und dir persönlich danken." "Das würde mich sehr freuen. Schreib mir am besten oder ruf an, wenn du weißt, wann du Zeit hast und dann finden wir da schon einen Termin." "Alles klar. Dann- dann will ich dich mal nicht weiter stören." "Tust du nicht. Aber auflegen sollten wir jetzt vielleicht trotzdem, es ist ja schon ziemlich spät. Wir hören voneinander, ja?" "Jap. Mach's gut Emily." "Mach's gut Ronja." Sie legte auf und ich spürte, wie ich zu zittern begann. Ein kehliges Schluchzen entfuhr mir und ich wusste nicht, ob es Erleichterung und Freude wegen Ronja oder Trauer und Schmerz waren, weil ich an meine Mutter erinnert wurde. Neben mir wurde die Tür geöffnet, aber ich bekam es kaum mit, bis mehrere laute Stimmen zu hören waren. Und dann war da der vertraute Geruch von Julian und der sanfte Klang seiner Stimme. "Emily? Hey, was ist denn los? Wieso weinst du Schatz?" Ich versuchte ihm zu antworten, schnappte aber bloß immer wieder nach Luft und bekam kein Wort heraus. Dann hockten plötzlich Sven und Lars vor mir und bevor ich wirklich darüber nachdenken konnte, zog ich sie einfach in meine Arme. "Ihr- ihr habt mir- das Leben gerettet", brachte ich schluchzend hervor und die beiden taten das Beste, was sie in diesem Moment tun konnten: Sie waren einfach für mich da. Stumm hielten sie mich fest bis ich mich beruhigt hatte und mich erschöpft gegen die Wand lehnte. Julian sah mich besorgt an. "Was ist denn passiert?" "Ronja hat mich angerufen. Das Mädchen, das von der Brücke springen wollte. Und sie hat sich dafür bedankt, dass ich ihr das Leben gerettet habe." "Wow." Ergriffen sahen Julian, Sven und Lars mich an und ich hörte, wie irgendjemand meine Worte wiederholte und sich die Nachricht im Raum neben uns verbreitete. Langsam und immer wieder mit kurzen Unterbrechungen erzählte ich, was Ronja mir eben erzählt hatte und da jedes meiner Worte weitergegeben wurde wie bei Stille Post, flüsterte ich am Ende so leise, dass nur die drei Personen direkt vor mir es hören konnten: "Ich vermisse meine Mum." Sven und Lars sahen sich an, dann sahen sie mich an und nahmen mich erneut in den Arm. Ich war ihnen dafür so unglaublich dankbar, aber brachte kein Wort heraus. Das war okay. Sie wussten, was ich ihnen sagen wollte.

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt