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"Verdammt!", fluchte Julian und ich lief schnell aus der Küche ins Wohnzimmer, um zu sehen, was los war. Mein Blick fiel sofort auf den großen Fernseher, auf dem das heutige Leverkusen-Spiel zu sehen war. Zu meinem Entsetzen bekamen wir gerade eine glatt rote Karte und ich wollte mich bereits darüber aufregen, als ich das Foul in Zeitlupe nochmal sah und erschrocken zischte. So konnte man doch nicht in einen Zweikampf gehen! Und Karim war erfahren genug, um das zu wissen und solche Szenen zu vermeiden. Julian hatte mich gar nicht bemerkt, sondern regte sich noch immer über die Situation auf, weshalb ich zurück in die Küche ging und noch schnell ein wenig Paprika in den Salat schnipselte. Ich wollte gerade anfangen, die Schüsseln mit dem Essen ins Wohnzimmer zu tragen, als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Als ich entdeckte, wer es war, begann ich automatisch zu lächeln. Seit er zu Arsenal gewechselt war, fehlte mir Bernd unglaublich und diese Woche hatte ich es noch kein einziges Mal geschafft, mit meinem besten Freund zu telefonieren. Normalerweise schafften wir das ein bis zwei Mal in der Woche und schrieben ansonsten fast jeden Tag per WhatsApp, aber in letzter Zeit hatten wir beide immer wieder Termine gehabt, sodass es unmöglich gewesen war, mal einen Moment zum Anrufen zu finden. Lächelnd hob ich ab. "Hey Leno, schön, dass du anrufst." "Hey Emmi", begrüßte er mich fröhlich und ich konnte sein breites Grinsen förmlich hören. Beim Klang meines Spitznamens musste ich schmunzeln, denn Bernd war schon immer der einzige gewesen, der mich so nannte. Lars und Sven sagten manchmal Em zu mir und ansonsten blieben sie wie Julian bei Emily. Mein Freund nannte mich von Zeit zu Zeit Schatz und bis vor ein paar Monaten hatte er mich häufig Muffin genannt, was auf meine Backkünste zurückzuführen war. Aber diesen Spitznamen hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr aus seinem Mund gehört. "Na, was machst du gerade Schönes?", erkundigte Bernd sich und ich schaute mich kurz in der Küche um. "Ich hab gerade Essen gekocht für Julian und mich." "Ich hab im Kicker gelesen, dass er verletzt ist. Eine Überreizung?" "Ja, irgendwie sowas. Er sollte den Fuß bis gestern schonen und dann schauen, ob es besser geworden ist, aber es war noch nicht gut genug, um heute zu spielen, deshalb sitzt er jetzt im Wohnzimmer. Und was machst du so?" "Ich hab Sophie gerade zum Flughafen gebracht. Sie fliegt für eine Woche mit ihren besten Freundinnen nach Ibiza. Tja, und jetzt sitze ich hier ganz allein und hab festgestellt, dass wir die gesamten letzten sieben Tage nicht miteinander telefoniert haben." "Stimmt, aber bei mir war echt viel los und ich musste mich ja auch noch um meinen Patienten kümmern. Gestern war Lennard bei uns und die Nacht von Donnerstag auf Freitag war echt mega anstrengend, weil er wohl einen neuen Zahn bekommt." "Oh Mann, den Kleinen hab ich ja echt ewig nicht gesehen. Ist schon krass, wenn man in ein anderes Land zieht und die besten Freunde nicht mitkommen." "Gedanklich sind wir immer bei dir, das weißt du doch", versicherte ich ihm, dann fiel mein Blick wieder auf die Schüsseln vor mir. "Du Bernd, ich muss aber jetzt leider auflegen, sonst wird das Essen kalt. Kann ich dich so in einer Stunde zurückrufen?" "Logisch, dann warte ich auf deinen Anruf. Und guten Appetit." "Danke, bis später!" Lächelnd legte ich auf und trug dann das Essen ins Wohnzimmer. "Mit wem hast du gesprochen?", erkundigte Julian sich, wobei er den Blick aber nicht vom Bildschrim abwendete. "Mit Bernd. Wir haben abgemacht, dass ich ihn nachher zurückrufe, damit das Essen jetzt nicht kalt wird." "Ach so." Julian erhob sich vom Sofa und schob den Fernseher zur Seite, sodass wir auch vom Esstisch aus gute Sicht auf das Spiel hatten. Das hatte zur Folge, dass wir während des Essens auch kein Wort miteinander wechselten und ich am Ende alleine den Tisch wieder abräumte, ohne ein Wort des Dankes fürs Kochen zu bekommen. Ich versuchte, mir dadurch nicht die Laune verderben zu lassen, stellte alles in die Spülmaschine und setzte mich dann im Schlafzimmer aufs Bett, um meinen besten Freund anzurufen. Er ging sofort dran und in den nächsten zwei Stunden quatschten wir über alles mögliche und ich vergaß, wie unglücklich ich kurz zuvor noch gewesen war.


"Alles klar, dann verschieben wir das einfach ein wenig. Sven, du machst dann am besten Köln, Düsseldorf und Dortmund, weil die am nächsten sind und du somit am schnellsten wieder zu Hause bei Laura und Lennard sein kannst. Lars, übernimmst du dann Frankfurt, Koblenz und Erfurt?" Fragend sah ich meinen Bruder an, der kurz auf die vor uns liegende Landkarte sah und dann nickte. "Perfekt, dann übernehme ich Hannover, Bremen und Hamburg. Am besten rufe ich die Tage mal bei Julians Mutter an und frage, ob ich dann bei ihnen übernachten kann. Das würde die Sache deutlich entspannen." "Super, dann haben wir das ja geklärt. Ich freu mich schon total", ließ Lars uns wissen und ich nickte zustimmend. "Ich mich auch. Obwohl ich erst vor zwei Monaten in der Unterkunft in Berlin war, kommt es mir schon wieder ewig her vor." "Ich bin jedes Mal so berührt, wenn dann jemand auf mich zukommt und sich bedankt, weil wir ihm damit wirklich helfen und für uns ist das finanziell ja fast gar nichts." "Na ja, seit wir auch noch die Obdachlosenunterkunft in Berlin haben, ist es schon nochmal deutlich teurer geworden", gab ich zu bedenken und Sven nickte. "Trotzdem. Ich bin echt froh, dass wir die Stiftung gegründet haben und somit die ganzen Suppenküchen und Obdachlosenheime aufbauen konnten." "Ja, ich auch." Mein Blick fiel auf die Uhr und ich zuckte erschrocken zusammen. "Mist, schon so spät. Ich soll Julian doch noch zum Doc fahren!" Schnell stand ich auf und schulterte meine Tasche. "Wie gehts seinem Fuß denn?", erkundigte Sven sich und ich lächelte kurz. "Er kann ihn schon wieder voll belasten, ohne Schmerzen zu haben. Aber ich persönlich fänd es gar nicht so schlecht, wenn er das letzte Spiel der Hinrunde nicht mehr mitmachen würde. Am Ende verletzt er sich doch noch richtig und dann steht vielleicht die komplette Rückrunde auf dem Spiel." "Das muss Heiko dann zusammen mit den Ärzten und Physios entscheiden. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass sie ihn lieber schonen, nachdem er jetzt fast eine Woche an Krücken gegangen ist." "Wie gesagt, ich hoffe es irgendwie. Und jetzt muss ich los. Sobald Julian beim Doc fertig ist, bring ich ihn nach Hause und dann haben wir noch Nachbesprechung von unserem Spiel gestern." Mitfühlend sah Lars mich an. "Das wird wohl kein Spaß, was?" Ich seufzte und schüttelte den Kopf. "Nach einer so deutlichen Niederlage? Nein, das wird wirklich kein Spaß. Aber da müssen wir durch. Also dann, wir schreiben, ja?" Kurz drückte ich jedem meiner Bruder einen Kuss auf die Wange, dann verließ ich Lars' und Neles Wohnung, stieg in mein Auto und fuhr los. Immer wieder schaute ich auf die Zeitanzeige des Wagens und musste mich davon abhalten, durch die Straßen zu heizen. Da in der Stadt um diese Uhrzeit bestimmt Stau war, nahm ich kurzerhand einen Umweg über einige deutlich unbefahrenere Wege. Irgendwann kam ich zu einer Brücke und trat ruckartig auf die Bremse. "Oh mein Gott." Rasch parkte ich das Auto am Straßenrand, dann stieg ich aus und versuchte den Anblick zu verarbeiten, der sich mir bot.

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt