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"Ich mag es nicht, wenn er hier ist", gestand ich Julian, sobald sein Kumpel Elyas unsere Wohnung verlassen hatte. Verwirrt sah mein Freund mich an. "Wieso nicht?" "Keine Ahnung, er ist mir irgendwie unsympathisch. Und wenn er schon herkommt, wäre es schön, wenn er seine Zigaretten draußen auf dem Balkon rauchen könnte, statt in unserem Wohnzimmer." "Jetzt übertreibst du aber. Ich kenne Elyas schon seit meiner Kindheit, er ist fast sowas wie ein Bruder für mich und es ist mega nice, dass er jetzt auch hier in der Nähe wohnt. Und unser Wohnzimmer ist riesig. Man riecht doch kaum, dass er eben hier geraucht hat." "Ich rieche es und das reicht mir", entgegnete ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Meine abwehrende Haltung ließ Julian genervt die Augen verdrehen. "Ich liebe dich wirklich Emily, aber du musst immer gleich so übertreiben." Fassungslos riss ich die Augen auf. "Ist das deine Art wiedergutzumachen, dass du eine Vase nach mir geschmissen hast?" "Machst du jetzt echt schon wieder dieses Fass auf? Ich hab mich doch entschuldigt und außerdem ist das zwei Wochen her." Jetzt war es an mir, die Augen zu verdrehen. "Wow, Applaus, du hast es zwei Wochen lang geschafft, ein guter Freund zu sein und mir nicht mehr weh zu tun und jetzt wirfst du mir doch wieder alles vor die Füße. Großartig, echt, ganz große Klasse, Julian!" "Hey, das ist nicht fair! Ich hab mir echt Mühe gegeben und ich hab nie behauptet, perfekt zu sein!" "Ich hab auch nie behauptet, perfekt zu sein! Aber wenn ich es einmal nicht bin und dir ehrlich meine Meinung sage, bin ich direkt wieder die übertreibende Spießerin! Wenn du mir das vorwirfst, verletzt mich das. Ist dir das eigentlich klar?" Meine Stimme nahm hysterische Züge an, aber das ignorierte ich. Julian war mittlerweile vom Sofa aufgestanden und sah mich kalt an. "Sind wir also wirklich schon wieder an diesem Punkt?" Ich erwiderte seinen Blick ebenso kühl, obwohl es in meinem Inneren bebte. "Offensichtlich. Ganz ehrlich, ich hab da keinen Bock mehr drauf. Ich schlaf heute Nacht woanders." "Du kannst nicht immer abhauen, Emily! Zu wem willst du überhaupt? Zu deinem tollen Niklas?" "Ich kann sehr wohl abhauen, das ist ein freies Land! Und wo ich hingehe, hat dich nicht zu interessieren!" "Hat es wohl, ich bin dein Freund! Und ich will nicht, dass du zu diesem Typen gehst!" Angriffslustig starrte ich den Blonden an. "Wie willst du mich daran hindern, hm?" Schneller als ich gucken konnte, hatte Julian mein Handgelenk gepackt. Ich verkniff mir einen Schmerzenslaut, obwohl es höllisch weh tat. Mein Freund kam meinem Gesicht bedrohlich nahe und ich war kurz davor, ängstlich zurückzuweichen. "Bleib hier", befahl Julian mir knurrend, "Ich werde heute Nacht woanders schlafen." Mit diesen Worten rempelte er mich an, sodass ich beinahe hinfiel und verschwand im Flur. Als ich mich gefangen hatte, folgte ich ihm und sah nur noch, wie er sich seine Jacke von der Garderobe schnappte und mit einem lauten Knallen der Tür die Wohnung verließ. Mit Tränen in den Augen schaute ich ihm nach. Wie waren wir schon wieder an diesem Punkt gelandet? Und wieso taten mir seine Vorwürfe immer noch so weh, obwohl ich sie schon so oft gehört hatte? Angestrengt darum bemüht, nicht zu weinen, zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und tippte Lauras Nummer ein. Als sie abhob, hörte ich direkt Lennards Schreie im Hintergrund und wusste, dass ich sie nicht stören sollte, weshalb ich behauptete, sie aus Versehen angerufen zu haben und wieder auflegte. Nele war noch im Ausland, Sven und Lars besuchten heute ihre Eltern und Bernd hasste mich. Es blieb nur noch eine Person übrig und ich tippte die mittlerweile so vertraute Nummer schnell in mein Handy ein. Niklas ging bereits nach dem ersten Klingeln dran. "Emily, hey. Was gibt's?" "Kannst du herkommen?" Niklas' Stimme wechselte sofort von fröhlich zu besorgt. "Was ist passiert?" "Ich hab mich wieder mit Julian gestritten und ich will jetzt nicht alleine sein." "Ich bin in zwanzig Minuten bei dir." "Danke", verabschiedete ich mich schniefend und legte auf. Wie versprochen klingelte es zwanzig Minuten später an der Tür und kaum hatte ich sie geöffnet, wurde ich auch schon in die Arme meines mittlerweile besten Freundes gezogen. Erleichtert stieß ich die Luft aus, die ich die ganze Zeit unbewusst angehalten hatte und ließ mich fallen. Niklas hielt mich fest und strich mir beruhigend durchs Haar, erst nach mehreren Minuten lösten wir uns voneinander. In diesem Moment fiel mein Blick hinter ihn und ich entdeckte Julians Kumpel Elyas, der uns mit skeptischem Blick musterte. "Jule hat echt Recht, wenn er glaubt, dass du ihn betrügst. Fickt dein Neuer wenigstens gut?" Entsetzt starrte ich ihn an und auch Niklas schien sprachlos zu sein. "Ich betrüge Julian nicht. Was willst du überhaupt hier, Elyas?" "Ich hab mein Feuerzeug bei euch vergessen. Wollt's nur schnell holen." "Warte hier", befahl ich ihm und lief ins Wohnzimmer, wo ich das gesuchte Teil unter dem Sessel entdeckte. Schnell hob ich es auf und brachte es seinem Besitzer, der mir nicht einmal dankte, sondern mich bloß abschätzig musterte. "Jule hat was besseres verdient, als dich. Er weiß es bloß noch nicht." Mit diesen Worten ließ er mich entsetzt stehen und joggte die Treppe nach unten, während ich ihm bloß hinterher starrte. Vertraute Hände griffen nach meinen und ich drehte mich zu Niklas um. "Mach dir nichts aus dem Blödsinn, den der Typ labert." Ich nickte schwach, während sich zugleich eine unbändige Wut in mir breit machte. Was dachte sich Elyas eigentlich, sowas zu behaupten? Sauer und frustriert folgte ich Niklas in die Wohnung, wo wir uns aufs Sofa fallen ließen. Sofort kuschelte ich mich an den Dunkelhaarigen, der mir sanft über den Rück strich. Vorsichtig sah ich zu ihm hoch und begegnete seinem liebevollen Blick. Ich wusste, dass mich die Art, wie er mich ansah, eigentlich hätte erschrecken sollen, aber das tat sie nicht. Stattdessen genoss ich es, so angeschaut zu werden. Ich vermisste diesen liebevollen Blick bei Julian schon lange. Wenn er mich in letzter Zeit so angesehen hatte, hatte es sich nicht mehr echt angefühlt, aber bei Niklas war ich mir sicher, dass es echt war. Der vernünftige Teil in mir schrie mich an, Abstand zwischen uns zu bringen und ihm zu erklären, dass ich einen Freund hatte, den ich liebte, aber zeitgleich fragte ich mich, wie stark meine Liebe für Julian wirklich noch war. Ich hatte keine Kraft mehr für diese ewigen Streits und das Gefühl, nicht frei zu sein. Ich wollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen und Angst haben, dass Julian ausrastete. Und während all diese Gedanken durch meinen Kopf schossen, beugte Niklas sich leicht nach unten und ich begegnete seinem fragenden Blick. Ich überstreckte leicht den Kopf, um ihn besser ansehen zu können und er legte seine Hand vorsichtig auf meine Wange. Sie war angenehm warm und vertraut und ich schmiegte mich instinktiv dagegen. "Ich würde dich so gerne küssen", wisperte Niklas und sah mich mit seinen dunkelblauen Augen durchdringend an. "Dann tu's", hauchte ich unwillkürlich und streckte mich weiter nach oben. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann spürte ich seine Lippen auf meinen. Sofort wurde mir warm ums Herz und für einen kurzen Moment konnte ich alles vergessen, was mich belastete und mir auf der Seele lag. Ohne meine Lippen von seinen zu lösen, zog Niklas mich hoch und ich schaffte es irgendwie, mich auf seinen Schoß zu setzen. Meine Hände verschränkte ich in seinem Nacken und der anfänglich zaghafte Kuss wurde immer leidenschaftlicher, bis ich mich keuchend von dem Dunkelhaarigen löste und die Augen aufriss. Im selben Moment wurde mir klar, was ich gerade getan hatte. Sofort sprang ich auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen, wobei ich mir die Haare raufte. Niklas stand ebenfalls auf und nahm sanft meine Hand, sodass ich stehenblieb und ihn ansah. "Ich hab Julian betrogen", flüsterte ich und es auszusprechen, machte das Ganze noch realer. "Bereust du es?", fragte Niklas vorsichtig und ich starrte ihn an. Während seine Frage durch meinen Kopf spukte, stellte ich fest, was das wirklich schlimme an der ganzen Situation war. Es tat mir nicht Leid. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und eine Träne lief mir über die Wange. "Nein, ich bereue es nicht. Aber ich will es bereuen." Ich sah, wie sehr meine Worte Niklas verletzten und legte meine Hand an seine Wange. "Ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, aber ich möchte diesen Kuss bereuen. Ich möchte Julian sagen können, dass es ein Fehler war. Das Problem ist nur-" "Das Problem ist, dass es sich nicht wie ein Fehler angefühlt hat", vervollständigte Niklas meinen Satz und ich nickte. Stumm nahm der Dunkelhaarige mich in den Arm und ich lehnte mich leise schluchzend gegen ihn. Wie sollte ich Julian wieder unter die Augen treten? Was würde als nächstes geschehen? Hatte unsere Beziehung überhaupt noch eine Chance? War ich in Niklas verliebt oder war er gerade nur mein Ventil gewesen? Was sollte ich jetzt tun?

Plötzlich zwei Verehrer?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt