"Was möchtest du denn wissen?"
Meine Stimme war erstaunlich fest und ich sprach geradeheraus.
Mit gemischten Gefühlen sah ich mein Gegenüber direkt an.Wieder einmal konnte ich nicht ganz genau deuten, was in seinem Inneren vor sich ging.
Für einen kleinen Moment schaute Hoseok mir nachdenklich in die Augen, als versuchte er, meine Seele zu ergründen. Ein zarter Schauder überkam mich, der wie eine leichte Windbrise von meinen Schultern herabstrich."Darf ich dich alles fragen?"
Alles? Was meinte er mit "alles"?
Etwas verwirrt nickte ich. Es war vielleicht wirklich besser so. Geheimnisse und unausgesprochene Fragen waren vermutlich kein guter Ausgangspunkt für eine Freundschaft.
Und Hobi würde sich nicht über mich lustig machen, da war ich mir sicher...
Nach einer weiteren kleinen Pause, in der er einen Schluck Limonade nahm und sich anschließend nachdenklich über die vollen, wohlgeformten Lippen leckte, brach Hoseok das kurze Schweigen."Uhm... Okay. Ich will einfach ein bisschen etwas darüber wissen, ja? Wenn Du... Naja wenn ich dir zu nahe treten oder so, musst du nicht antworten."
In seiner Stimme schwang wieder diese ehrliche Ernsthaftigkeit mit, die dem sonst so fröhlichen Jungen einen ganz anderen, aber genauso anziehenden Touch gab.
Wieder nickte ich, gespannt, aber irgendwie auch ein bisschen nervös auf das Folgende."Also gut... wie-", kurz suchte er nach den richtigen Worten, "Wie ist das Ganze denn... passiert? Und, ähm, was genau hast du denn? Oder nein, wie sagt man denn, was... was genau funktioniert nicht?"
Verunsichert schaute er mich an. Es war klar, dass er ziemlich Sorgen hatte, etwas falsches zu sagen.
Aber um ehrlich zu sein hätte ich an seiner Stelle das genau gleiche wissen wollen.
Auch wenn es mir etwas schwer fiel, offen darüber zu reden, wollte ich in diesem Moment wirklich antworten. Doch wie sollte ich es erklären?Mit einem leisen Seufzer faltete ich meine Hände.
Mit einer Mischung aus verhaltener Neugier und Schüchternheit beobachtete er mich dabei.
"Uhm... naja, ich hab eine Querschnittslähmung. Zum Glück nur eine paraplegische, also nur die Beine betreffend, hast du aber ja schon gemerkt, meine Arme funktionieren ja noch. Ich bin auch nicht ganz vollständig gelähmt, also inkomplett. Heißt ich spüre ein klein bisschen etwas, aber natürlich weniger als vor meinem Unfall, so ein bisschen, als wär mein Bein ganz taub."Ich merkte selbst, dass ich das ganze runterratterte wie einen auswendig gelerntes Gedicht, also machte ich eine kurze Pause.
Hoseok betrachtete mich immer noch mit diesem, nachdenklichen, unergründlichen Blick, der dieses seltsame Kribbeln auf meinem Rücken auslöste.Verlegen sprach ich weiter, wandte meinen Blick ab und fixierte einen Punkt am Ende des Zimmers.
"Ähm. Ja. Ich kann halt nicht stehen geschweige denn laufen... Aber mittlerweile krieg ich das ja ganz gut hin mit dem Rollstuhl... schätze ich."
Wieder legte ich eine Pause ein, spürte Hoseoks Blick auf mir.
Er war ganz ruhig, zeigte keine Reaktion. Schüchtern blickte ich auf und sah ihn an.Sein Blick spiegelte meinen, wir sahen uns in die Augen.
In diesem Moment fiel mir auf, dass ich seit wir uns das erste Mal gesehen hatten, kein einziges Mal wirkliches Mitleid in seinen Augen mitgeschwungen war. Er war eher... interessiert, aber trotzdem sehr respektvoll und ernsthaft. Er behandelte mich nicht wie das letzte Weichei, sondern ganz, als wäre ich ein ganz normaler Junge.
Dass mir das jetzt erst so richtig auffiel... mit großen Augen sah ich mein Gegenüber an.
Aufmunternd nickte er, er wollte, dass ich weitersprach.Leise räusperte ich mich, bevor ich weitererzählte.
"Und ich muss eben regelmäßig zum Arzt und ich war einige Monate in der Reha, aber da geh ich jetzt kaum noch hin. Bei mir wurde das Rückenmark nicht durchtrennt, sondern nur stark gequetscht. Deshalb ist meine Lähmung auch nur inkomplett und dass die Beschädigung eher in der Lendengegend ist, ist eigentlich auch gut, weil dadurch noch weniger kaputt gegangen ist."Hoseok nickte, er starrte ebenfalls wie ich eben noch irgendwo ins Leere, ganz konzentriert auf das, was ich ihm erklärte.
"Und wie es passiert ist... Es war vor ungefähr acht Monaten. Es war recht kalt, ich war auf dem Nachhauseweg von der Schule und wollte den Zebrastreifen vorne an der Straße überqueren..."
Ich spürte, wie mein Hals eng wurde.
Angestrengt schluckte ich, versuchte meine Emotionen zurückzudrängen.Auf einmal hatte ich die ganze Geschichte wieder vor mir, sah sogar die mit Raureif bedeckten Hecken neben der Straße vor mir, die an diesem Tag von der Sonne nicht erreicht wurden und immer noch gefroren waren.
Der medizinische Part war mir zu erklären leicht gefallen, die Fachbegriffe und Bezeichnungen waren unpersönlich, fast als würde ich über jemanden Fremden sprechen, als hätte all das nichts mit mir zu tun.
Viele Menschen teilten mein Schicksal, und es waren nunmal die harten Fakten.Aber das... das war meine ganz persönliche Geschichte, das war der Moment, der mein Leben komplett aus den Fugen riss, als hätte jemand meine eigene, kleine Welt grob gepackt und solange geschüttelt, bis alles darin hoffnungslos durcheinandergewürfelt war.
Es war ein Teil von mir, der Teil, der mich hasste und ich ihn.Schon spürte ich, wie mein Sichtfeld sich leicht veränderte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
Beinahe wütend wischte ich mir mit dem Ärmel darüber, traute mich nicht, Hoseok in die Augen zu schauen."Ich... Ich war echt happy, weil ich an dem Tag meine Matheklausur rausbekommen hatte, in der ich ganze zweieinhalb Noten besser war als in der letzten. Ich wollte es meinen Eltern so schnell wie möglich zeigen und hab nicht richtig geschaut, bevor ich über die Straße gegangen bin. Und dann... dann kam ein Motorrad und ich glaube den Rest kannst du dir denken..."
Starr blickte ich gradeaus, kämpfte mit den Tränen.
Ich spürte Hobis Blick auf mir, ihm war das Ganze bestimmt auch echt unangenehm, wenn ich jetzt auch noch anfangen würde rumzuheulen. Wieder rieb ich mir über die Augen und räusperte mich vernehmlich.
Dann packte ich meinen ganzen Mut und wendete mich ihm zu.Hoseok schaute mich direkt an, und ich bekam sofort eine absolute Gänsehaut.
Dieser Blick... war so... intensiv.
Auch dieses Mal wusste ich nicht wirklich, was in ihm vorging, was er fühlte und dachte.
Aber wie er mich gerade ansah...
Vernehmlich schluckte ich, aber konnte meinen Blick nicht abwenden.In diesem Moment spürte ich, wie sich doch eine salzige Träne aus meinem Augenwinkel löste und meine Wange herabkullerte.
Wie versteinert saß ich da.
Schon folgte die nächste, fast in Zeitlupe rollte sie mein Gesicht hinab.
Endlich bewegte Hoseok sich wieder, bevor ich irgendwie registrieren konnte, was er tat, spürte ich schon seinen Daumen, wie er mir sanft, beinahe zärtlich die Träne von der Wange wischte.
Die Berührung war nur kurz, aber lang genug, um mein Herz schneller schlagen zu lassen."Nicht weinen, Yoongi", flüsterte er, in solch einem ernsten und ruhigen Tonfall, der mir sofort wieder etliche Schauer über den Rücken jagte.
Angestrengt, die Tränen wieder zurückzudrängen, nickte ich und zog trotzig die Nase hoch.
"Wein bitte nicht", wiederholte er, "sonst muss ich auch gleich."So, jetzt wissen wir auch was Yoongi hat.
Tbh, ich hatte Schiss das zu erklären, weil ich selbst als Außenstehende leider nicht wirklich viel Ahnung von so etwas habe, aber ich habe einiges recherchiert und ich hoffe, dass alles Sinn macht.
Danke fürs Lesen~
DU LIEST GERADE
𝙩𝙧𝙪𝙚 𝙗𝙚𝙖𝙪𝙩𝙮 | 𝙨𝙤𝙥𝙚
Fanfiction─── ・ 。゚☆: *.☽ .* :☆゚. ─── Yoongi ist ein siebzehnjähriger, einsamer Junge mit einer bedeutenden körperlichen Einschränkung, die ihn auch psychisch sehr belastet. Abgewandt von seinen alten Freunden vertraut er nur seiner Familie und vermeidet, sein...