𝘯𝘪𝘯𝘦.

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Draußen begann ich sofort zu frösteln, die Herbstluft war mit der Dämmerung stark abgekühlt.
Auf einmal war mein Hoodie nicht mehr so kuschelig, eine unangenehme Gänsehaut zog sich über meinen ganzen Rücken.
Hätte ich doch bloß die Jeansjacke noch mitgenommen...

Hobi schien nicht zu frieren, kein Wunder, er trug eine dick aufgeplusterte Jacke, die sicherlich schön wärmte.
Seine Haare wurden von einer sanften Brise leicht verwuschelt, wodurch sich seine Stirn ein wenig mehr zeigte.
Es war ein Moment wie in einem der kitschigen, koreanischen Dramen, die Eomma sich so gern ansah. Okay, ja, ich schaute sie auch gern, aber das war mir ein wenig peinlich.

Doch diese Szene hätte wirklich genau so in einem Drama geschehen können.
Eine Nahaufnahme von Hoseoks hübschen Gesicht, die leichte Windböhe durch sein Haar, schnulzige Musik und ganz, ganz zufällig würden Kirschblütenblätter von den Bäumen schweben.
Und dann, als nächster Cut ich, der wie hypnotisiert den gutaussehenden Jungen vor sich anstarrte. Nur dass ich in solch einem Drama kein blasser Junge, sondern eine wunderschöne Frau mit dem perfekten, unschuldigen Bambiblick wäre.

Da ich Hoseok nicht so offensichtlich und peinlich begaffen wollte, tat ich so, als würde ich mein Handy suchen.
Ich spürte es in meiner linken Hosentasche, doch tastete ungerührt in der rechten herum.
War ich nicht ein Genie...

"In welche Richtung musst du denn jetzt?", hörte ich die Stimme des anderen schräg über mir.
Kurz musste ich überlegen, bevor ich mit etwas dünner Stimme antwortete.
"Uhm, ich glaub Linie 18. Richtung Gwangsan-gu."

Bedächtig nickte er.
"Ich komm noch mit bis zu deiner Haltestelle."
Er sagte das, was mir schon wieder Herzklopfen bereitete, in so einem ruhigen Ton, als würde es für ihn gar keinen Umweg bedeuten.

"D-Du musst das nicht machen, ich schaff das auch alleine", sagte ich mit einem minimal wackligen Unterton, man konnte mir wohl ein klein wenig die Nervösität anhören.
Irgendwie wollte ich, dass er mich begleitete. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart sehr wohl und vor allem würde ich mir mit ihm sehr viel sicherer in der Bahn vorkommen.
Sein Angebot bereitete mir leichtes Bauchkribbeln, denn irgendwie machte es mich nervös und glücklich zugleich, dass er mich scheinbar sicher in die richtige Richtung bringen wollte.

Ganz der Gentleman beteuerte er allerdings gleich, dass ihm das ganze auf keinen Fall etwas ausmachen würde.
Wenn ich mich nicht ganz irrte, dann wackelte seine Stimme auch ein klitzekleines bisschen.

Also gab ich mich schließlich damit zufrieden.
Tief in meiner Brust spürte ich sogar ein aufgeregtes, freudiges Kribbeln.
Ich wollte es doch eigentlich auch, dass er noch mitkam.

Langsam ging Hoseok neben mir her, die Hände ein seinen Jackentaschen vergraben.
Er sah überhaupt nicht aufgewühlt aus, hätte seine Stimme beim letzten Satz nicht ganz leicht gezittert, hätte ich nicht gedacht, dass wohl auch er ein wenig nervös war.
Er strahlte eine beruhigende Zufriedenheit aus, sowohl mimisch, als auch körperlich, wie er sich bewegte.

Ich allerdings spürte, wie meine Handflächen langsam ein klein wenig feucht wurden.
Er wollte mich extra begleiten... bis zu seinem Zuhause durften es meinen Berechnungen nach gerade ein, zwei Stationen mit dem Bus sein, und zwar genau in die entgegengesetzte Richtung... und doch bestand er darauf, mich zu begleiten.

Ein kleines, unsicheres Lächeln zu mir selbst stahl sich auf meine Lippen, während ich meine kühl gewordenen Hände noch tiefer in der Bauchtasche meines Hoodies vergrub.


Wenig später standen wir auch schon am Bahngleis.
Nur einige andere Passanten standen in größeren Abständen von uns in dem grell erleuchteten Wartebereich.

Mittlerweile war es schon fast dunkel, und noch ein bisschen kälter geworden.
Ein unangenehmer Kälteschauer jagte über meinen Rücken, worauf ich mich unwohl schüttelte.
Innerlich verfluchte ich mich für die naive Annahme, dass es im späten Oktober warm genug wäre, um nur mit einem Pullover vor die Tür zu gehen.

Auf einmal durchbrach ein lauter Handyklingelton die Stille, und Hoseok lief knallrot an und kramte rasch sein Smartphone hervor.
"Shit, da muss ich kurz rangehen...", murmelte er entschuldigend und drehte sich leicht von mir weg, während er den Anruf annahm.

Mit klammen Fingern holte ich ebenfalls mein Handy heraus, um auf die Uhr zu schauen.
Noch 8 Minuten, bis die Bahn kam. Solange würde ich es hoffentlich noch aushalten, vor Hoseok so zu tun, als würde ich nicht frieren.
Mir war es unangenehm, Schwäche zu zeigen, selbst wenn es nur ein einfaches Frösteln war.
Ich war schon schwach genug, in allen Bereichen, körperlich, mit meinem Rollstuhl und auch mental.
Da wollte ich meinen verbleibenden Stolz wahren und nicht unbedingt wie ein Teeniemädchen die Jacke meines Dates-

Warte. Meines Dates? Hatte ich das gerade wirklich gedacht?
War Hoseok... war das hier ein Date?
Nein, war es nicht. Nein, Yoongi, sprach ich mir selbst innerlich zu.

Doch immer wieder hallte der Gedanke in meinem Kopf nach.
War das hier gerade ein normales Treffen unter Freunden? Waren wir Freunde?
Und... wieso fühlte es sich so an, als wäre etwas tief in mir mit dem Titel "Freund" nicht einverstanden?

𝙩𝙧𝙪𝙚 𝙗𝙚𝙖𝙪𝙩𝙮 | 𝙨𝙤𝙥𝙚Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt