27. Kapitel - Carlotta

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Später, als es allmählich etwas dunkler und kühler wurde, wurden die Feierlichkeiten mehr und mehr in die Schenke verlegt

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Später, als es allmählich etwas dunkler und kühler wurde, wurden die Feierlichkeiten mehr und mehr in die Schenke verlegt. Colette, Emilie, Hannes, Kobe und Carlotta hatten alle Hände voll zu tun. Immer mehr Gäste strömten zur Tür herein und der kleine Schankraum drohte fast aus allen Nähten zu platzen.

Irgendwann hatten ein paar Buben aus dem Dorf begonnen Volkslieder anzustimmen und der ein oder andere Gast hatte sich dazu hinreisen lassen zu tanzen. Colette und Carlotta mussten deshalb nun auch noch darauf achten den Tanzwütigen beim Kellnern nicht in die Quere zu kommen. Die Stimmung war ausgelassen und man musste schon recht laut rufen, um in diesem Durcheinander noch verstanden werden zu können.

Gerade als sich Carlotta wieder auf den Weg zurück zum Tresen durcharbeiten wollte, verspürte sie einen kalten Luftzug um die Beine, kurz bevor sie gegen einen großen, festen Körper stieß. Starkes Unwohlsein überkam Carlotta. Sie wagte kaum zu dem fremden Mann emporzublicken; die Augen niedergeschlagen formten ihre Lippen bebend eine Entschuldigung. Ohne seine Erwiderung abzuwarten, wollte sie soeben fluchtartig das Weite suchen, da wurde sie auch schon fest am Arm gepackt und ihr Kinn gewaltsam nach oben gezwungen.

,,Wohin denn so eilig, meine Hübsche? Meinst du nicht, du hast da eine Kleinigkeit vergessen?"

Tiefe Furcht stieg in Carlotta auf, als ihr sein mostgeschwängerter Atem entgegenschlug. Sein Tonfall klang schmierig und ekelerregend fiebrig. Ihr wurde schlagartig übel, als seine schwitzigen Hände sie noch enger an seinen Unterleib pressten und es fiel ihr schwer, nicht in Panik zu verfallen.

,,Na los, Kleine, entschuldige dich gefälligst anständig bei mir!"

Carlotta mied angestrengt seinen Blick und zitterte inzwischen so sehr, dass sie nicht in der Lage war auch nur irgendein erkennbares Wort zu formen.

,,Lauter, ich hör' dich nicht!", brauste er auf.

In Carlottas Ohren dröhnte es, sodass sie kaum bemerkte, wie totenstill es auf einmal in der Schenke geworden war. Sie spürte lediglich den bedrohlichen Blick des Mannes ununterbrochen auf sich.

Wie durch dichten Nebel erkannte sie Hannes' sich nähernde Stimme: ,,Lass das Mädchen los! Sie ist stumm, sie kann sich nicht laut bei dir entschuldigen!" Er klang so aufgebracht und wütend, wie Carlotta ihn noch nie zuvor in ihrem Leben gehört hatte. ,,Wenn ihr Ärger wollt, verschwindet ihr besser sofort!" Sein Gesicht war ganz fleckig geworden und er atmete schwer.

Der Fremde bedachte den Wirt mit einem verächtlichen Schnauben und schubste Carlotta unsanft weit von sich. ,,Wisst Ihr überhaupt, wen Ihr hier vor euch habt?", brauste er erneut auf.

Doch Hannes schnitt ihm sogleich das Wort ab: ,,In diesem Wirtshaus wird nach meinen Regeln gespielt, verstanden? Hier gibt es keine Extrawürste. Und wem das nicht passt, der kann geh'n!" Damit war für ihn das Gespräch beendet. Behutsam legte er der noch immer völlig verängstigten Carlotta den Arm um die Schulter und führte sie vorsichtig zum Tresen zurück. ,,Du bleibst jetzt erstmal bei mir", bestimmte der Wirt brummig. ,,Soll Kobe solange ein wenig für dich einspringen."

Es dauerte, bis Carlotta sich allmählich von diesem Schrecken erholte. Bis ihr Puls und ihr Atem sich verlangsamten und ihre Hände langsam immer weniger zitterten. Sie blendete alles um sich herum aus und konzentrierte sich lediglich auf den Zapfhahn vor sich.

Nur am Rande bekam sie mit, dass Hannes regelmäßig besorgt zu ihr herüberschaute. Und dass Colette Kobe, als sich dieser über die neue Aufgabenverteilung wunderte, aufgebracht etwas erklärte, in eine bestimmte Ecke des Gastraums gestikulierend; Kobe schien darüber augenscheinlich alles andere als begeistert zu sein. Es schmerzte sie, dass sie nun scheinbar wieder am Anfang angekommen war, als Kobe sie ganz offensichtlich überhaupt nicht leiden konnte.

Carlotta konnte kaum glauben, wie naiv sie noch vor ein paar Stunden gewesen war. Da hatte sie sich auf das Fest gefreut, zu dem Kobe sie eingeladen hatte, sich in ihrem neuen Kleid bewundert. Niemals hätte sie gedacht, dass der Abend eine solche Wendung nehmen könnte. Am liebsten würde sie sich das Kleid vom Leib reißen. Es hatte ihr ja doch kein Glück gebracht.

Das erste Mal, seit sie sich für die Oberwelt entschieden hatte, fragte sie sich ernsthaft, ob es das alles wirklich wert gewesen war. Wie hatte sie ihre Heimat und die dort wohnenden Geliebten einfach so aufgeben könne? Trübsinnig entschied sie, dass eine Zwangsheirat wohl kaum schlimmer gewesen wäre.

Erneut wurde ihre Brust eng und sie spürte, wie sich ein paar Tränen den Weg über ihre Wange nach unten kämpften. Sie wünschte nichts mehr als eine tröstende Umarmung ihrer älteren Schwester. Nichts mehr als die zuversichtlichen Worte ihrer Großmutter, die ihr versicherten, dass alles gut werden würde. Dass sie sich richtig entschieden hatte. Auch wenn sie jetzt wusste, dass dem wahrscheinlich nicht so war.

Das Mädchen mit den sprechenden AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt