,,Möchtest du es ihr sagen?", fragte Emilie ihren Mann.
,,Nein." Er seufzte.
,,In Ordnung", erwiderte Emilie. Sie hatte schon damit gerechnet, wenn sie ehrlich war. Hannes war nun einmal einfach ein eher gemütlicher Mann. Ein Mann der wenigen Worte, der Konflikten gerne aus dem Weg ging. Und auf einen eben solchen Konflikt konnten sie in diesem Fall wirklich nur warten. Da war sich Emilie sicher. Es würde nicht einfach werden Colette an Carlotta zu gewöhnen. Denn vermutlich würde es Colette so vorkommen, als hätten Emilie und Hannes sie bereits durch Carlotta ersetzt. Dabei war dem nun wirklich nicht so.
Colette hatte es zuhause nie leicht gehabt. Sie war in einer Familie mit fünf Schwestern und viel zu früh ohne Vateraufgewachsen. Als Zweitälteste hatte sie schon früh mit anpacken und dafürsorgen müssen, dass die Jüngeren eine warme Mahlzeit auf dem Tisch stehenhatten. Die ältere Schwester hatte sich schlauerweise mit dem Erstbesten ausdem Staub gemacht und die Mutter war seit dem Tod ihres Mannes sowohl seelischals auch körperlich am Ende. Emilie kannte Colettes Mutter schon aus ihrerKindheit und hatte sich daher nach diesem schrecklichen Verlust Coletteangenommen. Sie und Hannes baten ihr eine Stellung an und schickten sie seitherAbend für Abend mit einem Topf für die Kleinen zurück nach Hause. Entgegen Colettes Annahme handelte es sich dabei nicht um Übriggebliebenes.
*
,,Colette, Liebes?" Emilie hielt Colette behutsam an ihrer schmalen Schulter zurück.
,,Ja?" Die Verunsicherung sprang Emilie aus Colettes Augen geradezu entgegen.
,,Keine Sorge. Du hast nichts falsch gemacht", beruhigte sie Emilie als wäre Colette ein verschrecktes Tier. Ihre Schultern entspannten sich daraufhin fast unmerklich, ihr Blick blieb dennoch wachsam. ,,Ich wollte dir lediglich gleich persönlich sagen, dass wir in der Küche ein zweites Mädchen eingestellt haben. In den Tagen, als du krank warst, hat sie außerdem im Schankraum ausgeholfen." Wie von Emilie befürchtet verschloss sich Colette sogleich bei diesen Worten und keine Regung an ihrem Körper ließ mehr darauf schließen, was sie dachte oder fühlte. Emilie schluckte traurig. ,,Es wird nichts ändern, hörst du, Colette? Das Mädchen wusste nur einfach nicht wohin und ich kann in der Küche schließlich immer ein Paar zusätzliche Hände gebrauchen."
,,Schon gut, Emilie. Du musst dich nicht rechtfertigen." Ein einsames trauriges Lächeln huschte über Colettes Gesicht. ,,Es ist, wie du sagst, gegen ein zusätzliches Paar Hände ist nichts einzuwenden. Ich muss jetzt an die Arbeit." Sie schluckte tapfer und flüchtete gleich darauf in den Schankraum.
Nein, das war nun wirklich gar nicht so abgelaufen, wie von Emilie erhofft. Jetzt konnte sie nur noch beten. Beten und hoffen, das Colette und Carlotta einander zu schätzen lernten. Denn Emilie war sich sicher: Die beiden sind sich ähnlicher, als sie vermutlich annahmen.
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Das Mädchen mit den sprechenden Augen
FantasyCarlotta, die kleine Meerjungfrau, ist eine Träumerin. Nichts beschäftigt sie mehr als das Leben der Menschen, die Natur, die unendliche Weite. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als die Oberwelt zu entdecken. Bald schon ist dieser Wunsch in ihr so...