5. Kapitel - Carlotta

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Seit Carlottas 15

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Seit Carlottas 15. Geburtstag hatte sie es keine einzige Nacht lang versäumt der Oberwelt einen Besuch abzustatten. Sie fühlte sich dort einfach so unglaublich frei und gleichzeitig doch so geborgen. Es war ihr als gehöre sie dorthin, statt an ihren Geburtsort unter Wasser. Nichts war für sie beruhigender als auf einem Felsen zu liegen, der Brandung zu lauschen und ihr Gesicht zu den Sternen emporzuheben. Nichts spannender als ein neues Tier zu entdecken und es aus gewisser Entfernung zu beobachten. Nichts aufregender als sich näher ans Ufer heranzuwagen, um das ein oder andere Häuschen der Menschen zu erspähen. Die größte Freude bereiteten ihr jedoch allemal die verschiedenen sich gegenseitig an Farbenpracht und Duft übertreffenden Pflanzen. Sie versuchte sie sich immer ganz genau einzuprägen und löcherte anschließend alle Schlossbewohner regelrecht mit Fragen.

Carlottas Leidenschaft ihre Zeit über Wasser zu verbringen bereitete ihrer Großmutter allmählich Sorgen. Als sie ihren Sohn, den Meerkönig, jedoch darauf ansprach, wischte dieser ihre Bedenken gänzlich unbekümmert vom Tisch: ,,Wir waren doch alle einmal jung, Mutter. Das legt sich schon wieder."

Aber es legte sich natürlich nicht. Das Einzige, was sich änderte, war, dass Carlotta ihre Erlebnisse nun zunehmend für sich behielt und tief in ihrem Herzen verschloss. Es fiel ihr zwar schwer mit niemandem darüber zu sprechen, aber immer noch tausendmal leichter als nie mehr nach oben zu schwimmen. Das konnten und durften sie ihr einfach nicht nehmen! In ihrer inneren Einsamkeit flüchtete sie sich noch mehr als zuvor in Tagträumereien. Die Sehnsucht nach oben schmerzte nun immer stärker in ihrer Brust. Jedes Heimkehren ins Reich ihres Vaters schnürte ihr die Brust ein wenig enger. Erst oben konnte sie frei atmen. Und doch wurden ihre Besuche allmählich gleichzeitig von der Trauer begleitet, dass sie nicht ewig bleiben konnte. Carlotta verstand es ja selbst nicht: Sie liebte ihre Familie über alles! Am meisten Virginie und ihre Omi! Das Schloss war ihr Zuhause einer schönen, unbeschwerten Kindheit. Und doch drohte ihr das alles vor lauter Fernweh allmählich fremd zu werden.

An diesem Abend war es wieder besonders schlimm gewesen. Ihr Vater hatte andauernd Andeutungen über ihren kommenden 16. Geburtstag fallen lassen. Darüber, was für ein prachtvolles Fest dies doch werden mochte. Und darüber, dass er alle heiratsfähigen Prinzen der Nachbarkönigreiche einladen würde, damit Carlotta endlich auf andere Gedanken käme. Allein an eine dieser gefühllosen, diplomatischen Hochzeiten zu denken, schnürte ihr die Kehle zu. Sie musste schleunigst hier raus, nach oben! Um wenigstens kurz auf andere Gedanken kommen zu können. Wie konnte ihr Vater ihr das antun? Sie war doch erst 15! Natürlich, ihre Schwestern hatten alle dasselbe durchgemacht. Und gut, Thais hatte sich sogar schon mit 14 verlobt, aber doch nur, weil sie und Tybell sich schon von Kindesbeinen an kannten und mochten. Trotzdem machte es das in Carlottas Augen nicht besser.

*

Endlich! Ihr Kopf durchbrach die Oberfläche, und zitternd holte sie Luft. Als sie ihre kristallblauen Augen öffnete, deren dichte dunkle Wimpern von glitzernden Wassertropfen benetzt waren, hielt sie überrascht inne. Wow! Wo war sie denn hier gelandet? Noch nie war Carlotta hier gewesen. Offenbar hatte ihre Aufgebrachtheit von vorhin sie weiter denn je getrieben. Vor Carlotta erstreckte sich der schönste und friedlichste Sandstrand, den sie je gesehen hatte. Die verschlafenen Dünen schienen sie geradezu dazu einzuladen sich in eine der windstillen warmen Buchten zu legen, die Nase in die sanfte Meeresbrise zu recken und den Möwen beim Kreischen zu lauschen. Wie magisch angezogen schwamm Carlotta vorsichtig näher heran. Sollte sie es wirklich wagen? Im Grunde konnte ihr nicht viel passieren. Dennoch zögerte sie. Was, wenn doch noch jemand wach war und sie entdeckte? Mit einem kurzen Schaudern dachte sie an die Warnung ihrer Großmutter: ,,Sei vorsichtig, Carlotta Kind! Die Menschen können sich nicht vorstellen, dass es noch andere ihnen ähnlich Wesen gibt. Und es geht daher niemals gut aus, wenn sie doch einmal auf einen von uns stoßen. Niemals! Hörst du?"

,,Oscar!", durchschnitt eine verzweifelt klingende Mädchenstimme ihre Gedanken. ,,Oscar, wo bist du? Komm zurück!"

Carlotta konnte regelrecht körperlich spüren, wie nahe das Mädchen den Tränen sein musste. Nach wem es wohl rief? Vorsichtig schwamm Carlotta noch ein wenig näher ins seichter werdende Wasser.

,,Oscar!", schluchzte die Stimme nun wesentlich näher bei ihr. ,,Oo-!" Das Mädchen unterbrach sich und stand nun mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf einer Düne und sah der kleinen Meerjungfrau direkt in deren erschrockene Augen.

Oh nein!

Das Mädchen mit den sprechenden AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt