2. Kapitel - Carlotta

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Carlotta erinnerte sich noch genau wie Virginie damals leise neben ihr in ihre Schlafmuschel geglitten war, ihren Kopf auf ihre Brust gebettet, einen Kuss auf Carlottas Stirn gehaucht hatte und dass sie beide schließlich aneinander gekuschelt eing...

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Carlotta erinnerte sich noch genau wie Virginie damals leise neben ihr in ihre Schlafmuschel geglitten war, ihren Kopf auf ihre Brust gebettet, einen Kuss auf Carlottas Stirn gehaucht hatte und dass sie beide schließlich aneinander gekuschelt eingeschlafen waren.

Wie zur grauen Zeit als ihre Mutter gestorben war. Damals hatten sie einander mehr denn je gebraucht und eine Bindung zueinander aufgebaut, die so innig geworden war, dass sie nicht nur sahen, wie es der anderen ging, sondern dieselben Gefühle - sofern sie denn stark genug waren - sogar am eigenen Leib, im eigenen Herzen spürten.

Und so verwob auch in dieser Nacht das Band zwischen ihnen ihre Gefühle und Gedanken miteinander. Auf diese Weise träumten sie beide von dem, was Virginie gerade eben noch mit eigenen Augen zum ersten Mal hatte erblicken dürfen.

In schillerndsten Farben erschienen vor ihrem inneren Auge die glitzernden Fische des Meeres, springende Delfine und knallrote Korallenriffe. Alles in die wunderschönen Sonnenstrahlen der warmen untergehenden Sonne getaucht, die sich im Wasser brachen. Aus dem Wasser aufgetaucht betrachteten sie beide den glutroten Feuerball, der soeben in den Wellen zu versinken schien. Ein Fels ragte aus dem dunkler werdenden warmen Wasser, das sie sanft umspielte; und sie legten sich im Traum nebeneinander auf den noch warmen Felsen und blickten völlig überwältigt zum Himmel empor. Das gesamte Himmelszelt war übersät von den funkelnden Perlen unterschiedlicher Größe, die die Menschen Sterne nannten. Die Zeit schien stillzustehen. Lediglich die Wellen schlugen ab und an an den Felsen, begleitet von den zauberhaften Melodien ihrer älteren Schwestern Zenaidine und Yaiza.

Nie erschien Carlotta ein Traum so kurz und lang zugleich.

*

War das wirklich schon ganze drei Jahre her? Kaum zu glauben, denn nun stand Carlotta selbst an derselben Stelle wie in den Jahren zuvor ihre älteren Schwestern. Beim Gedanken daran drohte Carlotta erneut wehmütig zu werden, doch die kindliche Vorfreude in ihr war stärker und vertrieb alle Gedanken an Vergangenes. Endlich! Endlich war nun auch sie an der Reihe mit eigenen Augen die Oberwelt zu entdecken.

Zwar hatten ihr ihre Schwestern alle schon viel von ihren Erlebnissen außerhalb des Königreiches ihres Vaters erzählt, doch das war schließlich nicht dasselbe wie es mit eigenen Sinnen zu erfassen. Nach einer gewissen Zeit hatten zudem alle ihre Schwestern das Interesse an der Oberwelt verloren und waren sich einig: ,,Hier unten ist es eben doch einfach am schönsten!" Nur Virginie schwamm ab und an für Carlotta nach oben, um deren Neugier wenigstens für eine kurze Zeit zu stillen.

,,Carlotta! Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken?", holte Großmutter sie lächelnd erneut ins Hier und Jetzt zurück.

,,Ach das weißt du doch, Omi. Ich bin nur so schrecklich aufgeregt!"

Großmutters Lächeln wurde breiter und ihre Augen blickten sie warm an: ,,Natürlich. Aber dennoch musst du dich nun allmählich bereit machen, Carlotta Kind." Sie seufzte. ,,Darf ich dich mittlerweile überhaupt noch so nennen, Liebes? Inzwischen bist du ja schon eine richtige Dame geworden", setzte sie wehmütig hinzu.

"Ach was, Omi, für dich bin ich doch für immer und ewig dein Carlotta Kind", erwiderte Carlotta bestimmt und schlang ihre Arme lächelnd für einen kurzen Moment ganz fest um ihre Großmutter. "Und jetzt mache ich mich fertig, damit ich endlich schauen kann, ob das auch alles so stimmt, wie du und meine Schwestern behaupten."

Ja, jetzt konnte der größte Tag ihres Lebens kommen! Und nichts und niemand auf der Welt würde ihr das noch nehmen können!

Das Mädchen mit den sprechenden AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt