14. Kapitel - Kobe

74 16 19
                                    

Ungeduldig öffnete Kobe die Tür zu der Kammer, in der er das seltsame Mädchen von gestern hatte schlafen lassen

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Ungeduldig öffnete Kobe die Tür zu der Kammer, in der er das seltsame Mädchen von gestern hatte schlafen lassen. So dankbar er ihr auch dafür war, dass sie Rose gestern so wagemutig gerettet hatte, so erleichtert fühlte er sich bei dem Gedanken, dass sie hoffentlich heute wieder gehen würde. Auf Scherereien konnte er wahrlich verzichten. Und davon versprach dieses Mädchen wirklich reichlich. ,,Seid ihr dann mal soweit?", fragte er und trat in den kleinen Raum.

Ein unwirklicher Anblick bot sich ihm und ihm stockte für einen Moment der Atem: Seine Schwester stand in ihrem weißen Nachthemd mit der von ihr heißgeliebten Spitze am Fußende des Bettes und blickte fast bewundernd zu dem Mädchen neben sich empor, dessen zarte Finger mit ihren verwoben waren. Es versetzte Kobe einen Stich, wie sehr Rose das Mädchen offenbar jetzt schon mochte. Aber das war es nicht, was ihm die Luft zum Atmen raubte, sondern vielmehr die Gestalt des Mädchens selbst neben seiner Schwester. Ruhig stand sie, barfuß und in ein altes Hemd von ihm gehüllt, vor ihm auf dem schäbigen Dielenboden. Mit den pechschwarzen, verwuschelten Haaren, einem Teint wie kostbares Porzellan und klaren, azurblauen Augen wirkte sie wie nicht von dieser Welt. Verärgert davon, dass er ihr überhaupt so viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wandte er sich rasch ab und murmelte mürrisch etwas davon, dass die beiden einfach mitkommen sollten.

Abwesend nahm er wahr, wie sie in der kleinen Stube ankamen, die Kobe sich und seiner kleinen Schwester eingerichtet hatte. Sie bestand aus einem wackeligen Tisch, drei Stühlen und einem Kachelofen, der im Winter für Wärme sorgte und zum Kochen diente. Wobei letzteres eher selten nötig war, da Rosalie und er zum Glück immer im Wirtshaus essen durften, was er wirklich zu schätzen wusste. Beim Frühstück aus Brot, Butter, Milch, Honig und Äpfeln, schwieg Kobe. Er wusste einfach nicht so recht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er konnte sie ja wohl schlecht einfach fragen, wann sie endlich gehen würde. Nur gut, dass Rosalie dafür umso mehr plapperte. Die ganze Zeit redete sie von Oskar, dem Strand und davon, was sie dort später alles machen wollte. Eigentlich hatte er sich seinen wöchentlichen freien Samstagmorgen wirklich anders vorgestellt. Schließlich fasste er sich, nachdem sie fertig gegessen hatten und er ihr allein gegenübersaß, weil Rosalie, die kaum jemals lange stillsitzen konnte, bereits aufgesprungen war, um sich ihr Kleid anzuziehen, ein Herz: ,,Wann wirst du wieder gehen?"

Sie sah ihm direkt in die Augen und blickte ihn fast hilflos an. Schließlich hob sie stumm die Schultern und wandte rasch den Blick ab.

Kobe stöhnte frustriert. Da hatte er sich ja ein gesprächiges Mädel ins Haus geholt.
,,Also gut, dann fangen wir eben nochmal neu an." Er seufzte. ,,Ich bin Kobe, der Bruder von Rosalie, die du gestern Abend gerettet hast, wofür ich dir sehr dankbar bin."

Die Augen des Mädchens hatten sich ihm wieder zugewandt und ihre Schultern schienen etwas entspannter als nur wenige Sekunden zuvor. Kobe kam sich vor als spräche er zu einem scheuen, wilden Tier. Er meinte eine stille Frage in ihren Augen zu erkennen: ,,Warum hast du Rosalie nicht einfach selbst gerettet?"

Kurz aus dem Konzept gebracht, fuhr sich Kobe mit der Hand über sein Gesicht. ,,Wir beide wohnen allein hier oben auf dem Boden. Im ersten Stock wohnen die Wirtsleute, bei denen ich angestellt bin und denen die Schenke im Erdgeschoss gehört. Wenn ich dir helfen kann, sag es bitte. Meinetwegen kannst du auch noch eine weitere Nacht hier zubringen, dann muss ich dich aber bitten zu gehen."

Das Mädchen nickte. Und auch wenn sie sich sehr beherrscht gab, meinte er für einen kurzen Moment so etwas wie Verzweiflung in ihrem Blick auszumachen.

,,Jetzt bist du dran. Wer bist du und wieso bist du hier?"

Keine Antwort. Ärger kochte in Kobe hoch. Er wollte gerade zu einer ungehaltenen Erwiderung ansetzen, da hob sie zögerlich ihre rechte Hand an ihre Kehle und öffnete tonlos ihre Lippen, als wollte sie etwas sagen. Dann schloss sie ihre Lippen unverrichteter Dinge wieder und ließ ihre Hand sinken.

,,Du bist stumm?", platze es entgeistert aus ihm hervor.

Ein Nicken und ein Blick aus Augen, in denen die unterschiedlichsten, starken Emotionen tobten. Darunter Resignation, Trauer, Frust und, wenn Kobe sich nicht täuschte, so etwas wie eine Mischung aus Trotz und Stolz.

,,Carlotta, kannst du mir bitte die Haare flechten?", wurden sie von einer neben Kobe auf- und abhüpfenden Rose unterbrochen.

Nur nebenbei bekam er mit, wie das Mädchen ihm gegenüber erfreut lächelte, die Schleifchen entgegennahm, Rosalie auf einen Stuhl verwies und schließlich hinter sie trat, um seiner Schwester eine kompliziert aussehende Flechtfrisur zu machen.

Sie war stumm? Das konnte doch einfach nicht wahr sein! So würde er noch nicht einmal erfahren, was sie hier machte und wie er dafür sorgen konnte, dass sie wieder nach Hause kam. Außerdem misstraute er ihr und hatte das Bedürfnis sie von seiner Schwester fernzuhalten. So unschuldig, wie sie wirkte, konnte sie wahrhaftig nicht sein. Nicht, nachdem er sie nackt am Strand aufgegabelt hatte. Vielleicht war sie ja verrückt oder morbid? Kobe wusste es nicht. Er wusste noch nicht einmal, ob er es überhaupt wissen wollte. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass seine nächste Schicht schon bald anfing. Am besten er fragte die Wirtin um Rat. Die hatte bisher noch immer gewusst, was zu tun war.

Das Mädchen mit den sprechenden AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt