4. Kapitel - Carlotta

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Kaum hatte Carlotta sich aus der Umklammerung ihrer Großmutter und den liebevollen Umarmungen ihrer Schwestern befreit, war es soweit

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Kaum hatte Carlotta sich aus der Umklammerung ihrer Großmutter und den liebevollen Umarmungen ihrer Schwestern befreit, war es soweit. Die kleine Meerjungfrau konnte es noch immer nicht begreifen: Alles, worauf sie 15 Jahre lang gewartet hatte, alles Warten, Wünschen, Träumen sollte nun ein Ende haben. Oder vielmehr einen Anfang. Denn von nun an war sie frei jede Nacht aufs Neue die Welt ihrer Sehnsüchte mit eigenen Augen zu erkunden.

Fast traute sie sich nicht sich endgültig umzudrehen und in die Höhe zu steigen - bis die Neugierde erneut die Oberhand gewann und Carlotta, wie berauscht, erst zögerlich und dann immer schneller mit ihrer glitzernden Flosse weiter und weiter nach oben schwamm. Erst kannte sie sich noch relativ gut aus, kam an Orten, Fischen und Pflanzen vorbei, die sie kannte. Allmählich jedoch wurde das Wasser immer heller und kühler, die Tiere und Pflanzen seltener, bis sie schließlich mit ihrem Kopf durch die Wasseroberfläche brach und erschrocken nach Luft schnappte. Im ersten Moment hatte sie das Gefühl zu ersticken, konnte unmöglich atmen und war versucht erneut unterzutauchen. Von Erzählungen jedoch wusste sie, dass sie sich schnell an die neue Art zu atmen gewöhnen würde. Und tatsächlich.

Jetzt erst sah Carlotta sich richtig um und erblickte - nichts als eine unendliche weiße Weite. Überall waren Eisschollen verteilt. Große und kleine. Welche, die nur an der obersten Oberfläche schwammen und welche, die sehr weit in die Tiefe ragten. Etwas entfernt entdeckte Carlotta riesige Eisberge, die aus dem Wasser ragten. Neugierig schwamm sie vorsichtig darauf zu. Ein kühler, böiger Wind strich über die Oberfläche, der die Eisschollen sanft zum Schaukeln brachte und Carlotta den Geschmack von Salz ins Gesicht wehte. Sie lächelte. Niemals würde sie verstehen können, wie ihre Schwestern auf all das freiwillig verzichten konnten.

Was war denn das? Ganz in der Nähe des Eisberges tapsten vor Carlottas Augen kleine schwarz-weiße Gestalten auf den Eisschollen herum. Je näher sie heranglitt, desto besser konnte sie die Wesen erkennen. Unheimlich putzig sahen sie aus, mit ihren orangenen Schnäbeln und den kleinen, seitlichen Flossen. Beim Gehen schwankten sie leicht von einer auf die andere Seite. Sobald sie jedoch ins unbeeiste Wasser sprangen, war Carlotta von ihrer Anmut und Schnelligkeit wie verzaubert. Sie merkte kaum, wie die Zeit verging, als sie ihnen begeistert zusah und ebenso unmerklich zunehmend näher herantrieb. Pinguine, schoss es ihr durch den Kopf. Ja, so mussten die kleinen Tierchen heißen, glaubte sie sich zu erinnern. Kein Wunder also, dass es hier so kalt war.

Mit genügend Abstand, um die Tiere nicht zu verschrecken, setze sich Carlotta schließlich an den Rand eines kleineren Eisberges und lehnte sich entspannt zurück. Nur gut, dass ihr die Kälte nichts ausmachte. Die Pinguine tauchten nach und nach wieder aus dem Wasser auf und watschelten zur dicht gedrängten Gruppe ihrer Artgenossen zurück, sodass die nächsten auf die Jagd gehen konnten. Nur schade, dass gerade keine Brutzeit war. ,,Andererseits", dachte Carlotta mit aufkeimendem Übermut, ,,kann ich ja einfach wiederkommen, wenn es soweit ist." Ihre Augen funkelten vor Vorfreude. Ja, das würde sie machen. Und sie wollte noch so viel mehr sehen. Sie wollte die Schiffe mit ihren Matrosen sehen, den Strand, die Vögel zwitschern hören, an Blumen riechen, das Essen der Menschen kosten, ...

Gut, dass sie jetzt alle Zeit der Welt dafür hatte. Gleich morgen würde sie wieder aufbrechen. Egal wohin. Einfach, wohin die Strömung sie treiben würde.

Das Mädchen mit den sprechenden AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt