KAPITEL 5

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Die nächste Woche zog im Schneckentempo an mir vorbei, dass ich dem Wochenende umso mehr entgegenfieberte, um endlich wieder ein paar Stunden für mich allein zu haben. Ich liebte mein Pyschologiestudium sehr, aber es gab zu viele Dinge in meinem Leben, Dinge wie der Tod meiner besten Freundin, die mich ablenkten und das Studium unglaublich kräftezehrend machten. Was auch immer ich tat, ihr Name tauchte so oft in meinem Kopf auf, dass ich mir manchmal wünschte, ich könnte meine Erinnerungen gegen etwas eintauschen, was mir Freude und keinen Kummer oder Schuldgefühle bereitete, nur damit ich mich mehr auf meine Zukunft in der Psychologie konzentrieren konnte.

Und als würde es nicht schon reichen, dass die Woche schrecklich langsam an mir vorbeizog, wurde ich zu allem Überfluss auch noch Zeuge von Newtons mieser Laune. Denn als ich ihn am Dienstag auf seinen Laptop angesprochen hatte, weil ich ihn gerne noch einmal ausgeliehen hätte, hatte er mich knallhart ignoriert. Also war ich lieber wieder abgezogen und hatte Newton seiner Laune überlassen, die er lieber an einem Boxsack statt an mir hätte auslassen sollen. Denn dieser besaß wenigstens kein Herz, das sich seine Worte zu ernstnehmen könnte.

Als ich am Freitag nach der Uni in meinem Auto saß, hatte ich endlich das Gefühl, atmen zu können. Der ganze Stress hatte mir so sehr die Kehle zu geschnürt, dass ich früher oder später vermutlich erstickt wäre. Ich sehnte mich so sehr nach einem guten Thriller, der mich den Stress vergessen ließ. Außerdem hatte ich mir schon seit Wochen vorgenommen, mein Zimmer zu putzen, zu ordnen und aufzuräumen. All das würde ich endlich tun und dabei meine Lieblingsplaylist hören. Für mich gab es keine bessere Art, entspannen zu können, als mit diesen kleinen Dingen.

Also startete ich den Motor meines Autos und fuhr vom Parkplatz der Uni hinein ins Wochenende. Ohne jegliche Verpflichtungen.

Zuhause angekommen, traf ich in der Küche überraschenderweise auf Newton, mit dem ich um diese Uhrzeit gar nicht gerechnet hatte. Eine Stimme in meinem Inneren warnte mich, vorsichtig zu sein und nichts zu überstürzen. Ich wusste weder, ob Newton seine Laune wieder im Griff hatte, noch, warum er zu Hause statt beim Basketballtraining war. Wenn ich Pech hatte, dann würde er mich nicht anders behandeln als Dienstag. Ich hoffte natürlich sehr, dass das nicht der Fall war.

Einige Stunden zuvor hatte ich ihn auf dem Campus der Uni mit Chase und ein paar anderen Studenten gesehen, von denen ich stark ausging, dass sie zu Newtons Kommilitonen gehörten und demnach ebenfalls Musik studierten wie er. An seinem Arm hatte wie so oft eine kleine zierliche Blondine gehangen, deren Name ich ausnahmsweise mal kannte, weil sie tatsächlich in ein paar meiner Kurse war: Stacey Miller. Ich kannte sie zwar nicht besonders gut, aber ganz sicher würden wir keine besten Freunde werden, so viel stand fest, und das lag garantiert nicht daran, dass sie sich so an Newton ranmachte. Ich meine, ich konnte es ihr und allen anderen nicht verübeln, denn Newton war alles andere als hässlich, aber Stacey hatte so etwas an sich, was mich aufhorchen ließ.

Jedenfalls hatte Newton glücklich ausgesehen. Er hatte sein tiefes Lachen gelacht, gescherzt und grinsend mit seinen Kommilitonen geredet. Nichts hatte darauf hingewiesen, dass er nicht bester Laune war, er hatte so unbeschwert gewirkt. Aber darauf konnte ich mich nicht verlassen, denn in der Öffentlichkeit spielten wir alle eine andere Rolle als hinter den Mauern unserer Wohnung. Newton beherrschte dieses Spielchen mit Abstand am besten. Er verstellte sich, wie der Wind wehte.

Auch wenn ich gefasst darauf war, dass er mich gleich ignorieren könnte, spürte ich einen kleinen Stich in meiner Brust, wenn ich daran dachte, dass er bei seinen Kommilitonen und Stacey Miller immer so fröhlich sein konnte. Ich wollte so sehr, dass er bei mir immer glücklich sein konnte, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, warum ich das so unbedingt wollte. Aber er konnte seine schlechte Laune selbst bei mir nicht vergessen und das tat aus irgendeinem Grund weh. Ich nahm es ihm nicht übel, aber manchmal wünschte ich mir sehr, dass es anders war.

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