Bereits am frühen Nachmittag des nächsten Tages tummelten sich unzählige Gäste, darunter Nachbarn, Freunde, Familie und Arbeitskollegen meines Dads in unserem großen, von meiner Mom gepflegten Garten. Meine Mom hatte zusammen mit meiner Grandma unzählige Kuchen gebacken, während mein Dad voller Freude seinen Grill aufgestellt hatte und ihn hütete, als könnte er jeden Moment geklaut werden. Tische und Stühle standen geordnet auf dem gemähten Rasen und die ein oder andere Girlande schmückte unseren weißen Gartenzaun. Es war kaum zu glauben, wie viel Mühe meine Mom sich gegeben hatte. Mit den lauten Stimmen der sich unterhaltenden Gäste und dem Duft nach Essen kam ich mir vor wie auf einem Besuch beim Jahrmarkt. Alles war laut, bunt und der Himmel so strahlend blau, dass ich das Gefühl hatte, in Kalifornien und nicht Portland zu sein. Und unter all den Gästen machte ich sogar hin und wieder die Gestalten meiner Eltern aus, die diese Feier viel mehr zu genießen schienen als ich. Natürlich war es schön, auch den Rest meiner Familie wiederzusehen, aber ohne Emma, Newton, Leo und Sky war es einfach nicht dasselbe.
Schon als ich am Morgen aufgewacht war und mit meinen Eltern gefrühstückt hatte, war ich nicht wirklich hier gewesen. Irgendwo zwischen den Gedanken an Emma und Newton hatte ich es gerade so geschafft, ein Gespräch mit Mom und Dad zu führen, ohne direkt in Tränen auszubrechen. Ich hatte Mom geholfen, die letzten Vorbereitungen zu treffen und später sogar ein paar Hände geschüttelt und Familie und Freunde in den Arm genommen, bis ich mich aus dem fröhlichen treiben zurückgezogen und zur Beobachtung übergegangen war, um niemandem mit meiner stetig sinkenden Laune den Tag zu verderben. Das Organ in meiner Brust schmerzte, während ich mich am liebsten irgendwo zusammengerollt und geweint hätte, wären da nicht meine Eltern, deren offensichtliche Verliebtheit mich jedes Mal aufs Neue umhaute. Wann immer sie sich ansahen, schienen die Welten der beiden heller zu leuchten und einen neuen Sinn zu bekommen. Dass zwei Menschen einander so bedingungslos und echt lieben konnten, kam mir fast unmöglich vor. Aber meine Eltern waren die letzten Menschen, denen ich diese Liebe nicht gegönnt hätte. Sie hatten es mehr als alle anderen verdient, glücklich zu sein und diesen Tag zu genießen.
Zu gerne hätte ich es auch gekonnt, aber ich war nie richtig in Portland und meinem ehemaligen Zuhause angekommen. Alles, was ich zu sein schien, war ein Gast. Und das war auch besser so, weil ich nie hatte hier sein wollen. Schon gar nicht, seitdem ich Emmas Eltern über den Weg gelaufen war, die mich mit einem strahlenden Lächeln in den Arm genommen und begrüßt hatten. Obwohl seit unserem letzten Treffen an Emmas Beerdigung viel Zeit vergangen war, waren Melodie und Dean Langton genauso gewesen, wie ich sie immer gekannt hatte: warmherzig, offen und voller Leben. Ihre Welt schien heil zu sein, obwohl ihre älteste Tochter tot war.
Nun saß ich auf der kleinen Schaukel im Apfelbaum unseres Gartens, wo keiner mich finden würde, wenn ich nicht gefunden werden wollte. Als Kind war ich oft hergekommen, wenn ich Zeit für mich gebraucht hatte. Auch heute schien diese morsche, kleine Schaukel ihren Dienst zu tun. All der Schmerz in meinem Herzen überwältigte mich so sehr, dass ich nicht anders konnte, als in Tränen auszubrechen und mein sorgfältig aufgetragenes Make-Up zu zerstören. Aber das war egal, weil es eben nur Make-Up war, das ich ganz im Gegensatz zu meinem Schmerz einfach wegwaschen konnte. Ich hatte nicht weinen wollen, aber dieser Tag war für mich kein fröhliches Fest, auch nicht der Tag, an dem mein Dad Geburtstag hatte. Für mich war es der Tag, an dem all mein Schmerz an einem Ort vereint wurde, weil man eben nicht vor seinen Erinnerungen davonlaufen konnte. Ich war mir sicher, dass Emma über mein Verhalten den Kopf geschüttelt hätte, aber heute konnte ich nicht stark sein. Nicht, wenn ich von so vielen Menschen umgeben doch noch einsam war, weil etwasjemand fehlte.
Plötzlich war da dieses Gefühl in meiner Brust, das sich fast anfühlte wie Sehnsucht. Sehnsucht nach einem Menschen, der mir näherstand als jede andere noch lebende Person auf diesem Planeten. Wie gerne wäre ich einfach nach Silverhaven zurückgegangen, um bei ihm zu sein. Bei dem Mann, der immer für mich da war, wenn ich ihn irgendwie brauchte. Newton hier, an meiner Seite, zu wissen, hätte es auf eine unerklärliche Weise einfacher gemacht, herzukommen. Aber er war nicht hier und wollte es wahrscheinlich nicht einmal, weil er nicht wusste, dass ich ihm längst verziehen hatte, was unseren Streit anging. Ich hätte womöglich jede Lüge in Kauf genommen, nur, um Newton heute bei mir zu wissen. Denn Newton war wie ich: ein bisschen verrückt, immer offen für Neues und in jeder noch so seltsamen Situation mit einem guten Witz dabei. Ich wusste, wenn er hier wäre, dann würde ich nicht Trübsal blasend im Apfelbaum sitzen. Er würde bei mir sein und mir zu Liebe irgendwas Verrücktes tun, obwohl es ihn innerlich genauso schmerzte wie mir. Newton würde mich zum Lachen bringen, weil er der einzige Mensch auf diesem Planeten zu sein schien, der das wirklich konnte.
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LEAVE THE PAST BEHIND
Romance»Wir sind voll von Chaos, aber genau deswegen liebe ich uns zusammen so sehr.« Als Everlyn Monroe zusammen mit ihren Freunden ihre einst so geliebte Heimat Portland verlässt, hat sie nur ein Ziel vor Augen, das sie um jeden Preis erreichen möchte: e...