KAPITEL 26

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Ich hasste Friedhöfe. Ehrlich. Sie waren düster, traurig und angsteinflößend und ließen in mir jedes Mal die Erinnerungen an einen Horrorfilm, in dem unzählige verwesende Zombies aus ihren Gräbern herauskrochen, aufsteigen. Bis heute verstand ich nicht, wie Menschen freiwillig einen Friedhof betreten konnten, auch wenn dort ihre verstorbenen Geliebten ruhten. Für mich war es jedoch der letzte Ort, an dem ich meine freie Zeit verbringen wollte, was mir umso bewusster wurde, als Newton und ich den Friedhof betraten, auf dem Emma begraben lag. Der Friedhof war verhältnismäßig klein und beherbergte nur eine kleine Anzahl von Gräbern, die natürlich alle fein säuberlich aneinandergereiht waren und aussahen, als hätten die Bewohner unseres Stadtteils nichts Besseres zu tun, als jeden Tag die Gräber zu pflegen. Umgeben war der kleine Friedhof von einem großen, schwarzen Messingzaun, während den Eingang ein goldenes Schild mit der Aufschrift Little Graveyard zierte (Einfallsreich, ich weiß) und ein gepflasterter Weg zwischen den Gräbern hindurchführte, damit ja niemand den kostbaren Rasen betrat. In dieser Hinsicht waren die Bewohner unserer kleinen Stadt einfach spießig. Man hätte wahrscheinlich vom Boden essen können, so gepflegt und sauber war es hier.

Ich löste meinen Blick von den Gräbern und schüttelte den Kopf, während ich versuchte, mein rasendes Herz zu beruhigen. Mein Atem ging unregelmäßig und ein Teil von mir, der Teil, der nie einen anderen Ausweg als Davonlaufen sah, wünschte sich, ich würde einfach umdrehen und den Friedhof verlassen. Damals hätte ich diesem Teil von mir sicher nachgegeben, doch dieses Mal griff ich reflexartig nach Newtons Hand und umklammerte sie, als wäre es die einzige Möglichkeit, mich an Ort und Stelle zu halten. Für eine Sekunde trafen sich unsere Blicke. Newtons, der voller Entschlossenheit und Ruhe war, und meiner, in dem ein Sturm toben musste. Ein kurzes Nicken, ein Händedruck, dann setzten wir langsam einen Fuß vor den anderen. Es waren so viele Worte in meinem Kopf, doch keines von ihnen verließ meinen Mund. Es war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um zu reden. Ich wusste nicht einmal, ob ich die Kraft dazu hatte.

Also schwieg ich, auch wenn ich es hasste, nicht zu reden, und ließ mich von Newton weiterziehen, während über uns der strahlend blaue Himmel war. An einem Tag wie diesem zeigte sich die Natur von seiner besten Seite, dabei wünschte ich mir nichts mehr, als dass es regnete, weil es so viel besser zu unserer Stimmung gepasst hätte. Mit Regen wäre es so viel einfacher, herzukommen, aber die Sonne und der strahlend blaue Himmel machten es mir verdammt schwer, nicht daran zu denken, was für eine Ironie das Ganze doch war.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht merkte, wie Newton plötzlich stehen blieb. In der letzten Sekunde schaffte ich es gerade noch so zu bremsen und nicht in seinen Rücken hineinzulaufen. Aber ich wusste, warum wir stehen geblieben waren. als ich es wagte, den Kopf zu drehen und auf das Grab hinabzublicken, nahm die Anspannung in meinem Inneren zu, genauso wie das Schlagen meines Herzens und der Schmerz in meiner Brust, der mir in den vergangenen Monaten so oft den Atem geraubt hatte. Mein Blick begann sich zu verschleiern, dann spürte ich, wie Tränen über meine Wangen rannen. Ich presste mir eine Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen.

Emma Marie Langton

11th May 2001 - 18th January 2019

"If tears could build a stairway and thoughts a memory lane, I would walk right up to heaven and bring you home."

Die Worte trafen mich wie ein Messerstich mitten in das verletzliche Fleisch meines Herzens, während die Tränen ungehemmt meine Wangen hinunterliefen und ich nun doch zu schluchzen begann. Meine Umgebung verschwamm, die Geräusche wurden leiser. Es war wahr. So unglaublich war. Ich hätte mein Leben gegeben, um Emma zurückzuholen und ihr all ihren Schmerz nehmen zu können. Doch das hier war kein Fantasyroman, in dem Menschen von den Toten auferstanden. Das hier war das echte Leben, in dem Tote tot blieben und uns für immer verloren gingen. Ich würde Emma nie wieder sehen, nicht in diesem Leben. Und der Gedanke daran, den Rest meines Lebens ohne dieses wunderbare Mädchen zu verbringen, zerriss mir das Herz. Ich vermisste sie, ich brauchte sie, aber Emma war fort. Sie würde nicht zurückkommen.

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