KAPITEL 25

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Zwei Tage später saßen wir schließlich im Flieger nach Portland, da wir uns gegen das Auto entschieden hatten. Der Aufwand war mit dem Flieger einfach deutlich geringer als mit dem Auto, was gleichzeitig aber auch bedeutete, dass ich nur zwei Stunden Zeit hatte, um mich auf das vorzubereiten, das uns in Portland erwarten würde. Bereits jetzt spürte ich die Nervosität und Angst in jeder Zelle meines Körpers. Meine Hände waren feucht, dass ich sie immer wieder an meiner schwarzen Jeans abwischen musste, um mein Herz hämmerte so brutal gegen die Innenseite meiner Brust, dass es fast wehtat. Und da ich in der letzten Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, fühlte ich mich dementsprechend, als hätte mich ein Lkw überfahren. Ein Kiefer ausrenkendes Gähnen konnte ich nur mit Mühe zurückhalten.

Normalerweise gab es kaum etwas, das mir Angst machen konnte (mal abgesehen von Spinnen), aber heute ließ mich dieses Gefühl einfach nicht los. Es war sogar so stark, dass ich das dringende Bedürfnis verspürte, aus dem verdammten Flieger zu springen, nur um nicht nach Portland zu müssen. Auch wenn es meine Idee gewesen war, konnte ich mir definitiv bessere Orte vorstellen für einen Ausflug. Newton war in diesem ganzen Drunter und Drüber der Einzige, der mich davon abhalten konnte, dass ich mich wirklich aus dem Flieger stürzte, obwohl er mindestens genauso nervös war wie ich. Doch den gesamten Flug über saß er neben mir und hielt meine Hand in seiner. Wir sagten kein Wort und trotzdem spürte ich, wie sich der Sturm in meinem Inneren etwas legte, wenn sein Daumen in einer federleichten Berührung über meinen Handrücken strich oder sein Knie meines berührte. Für einen Außenstehenden hätte es wie eine zufällige Berührung aussehen können, doch ich wusste ganz genau, dass Newton es extra tat, um mich zu beruhigen, weil er wusste, wie es in meinem Inneren aussah, seit wir den Flieger betreten hatten.

Auch mir war nicht entgangen, dass es in Newtons Innerem ähnlich aussehen musste wie bei mir. Er mochte sich nach außen hin vielleicht nichts anmerken lassen, weil er ein Meister in der Maske der Gleichgültigkeit war, aber ich war nicht blöd. Ich sah, wie sein Bein unruhig wippte, er sich unbewusst durch sein Haar fuhr oder seine Hand zur Faust ballte, wenn er glaubte, dass ich nicht hinsah. Vielleicht mochten das ganz natürliche Dinge sein, aber in den vergangenen fünf Jahren, in denen ich Newton nun schon kannte, hatten wir gelernt, den anderen zu lesen. Zu erkennen, wie es in ihm aussah, ohne auch nur ein Wort miteinander zu sprechen. Ich hatte gelernt, wie es aussah, wenn Newton glücklich war, vor Wut explodierte oder in Ruhe gelassen werden wollte. Und ich wusste genau, wie es aussah, wenn er nervös war oder sich schlichtweg unwohl fühlte. Es gelang mir zwar nicht immer, seine Gefühle zu lesen, aber heute entging mir nicht die kleinste Gefühlsregung. Alles, was ich sah und fühlte, sagte mir, dass Newton genau den gleichen Sturm in sich trug wie ich.

Als das Flugzeug am Abend nach zwei unendlich langen Flugstunden endlich in Portland landete, konnten wir gar nicht schnell genug aus dem Flugzeug kommen. Hand in Hand, ohne den anderen loszulassen, gingen wir unser Gepäck abholen und steuerten dann direkt auf den Ausgang des Flughafens zu an dem ich das letzte Mal einen Tag vor Dads Geburtstag gewesen war. Da wir unsere Eltern nicht hatten anrufen wollen, um uns abzuholen, hatten Newton und ich uns kurzer Hand einen Leihwagen besorgt, auch wenn das die ganze Sache deutlich komplizierter gemacht hatte. Schließlich wussten unsere Familien Bescheid, dass wir kamen, und meine Mom wäre ganz sicher gesprungen, um uns abzuholen, hätte ich sie darum gebeten. Am Auto angekommen ließ ich Newtons Hand los und öffnete den Kofferraum, in dem wir unser weniges Gepäck verstauten. Dann glitt Newton hinter das Steuer, während ich es mir auf dem Beifahrersitz gemütlich machte. Der Wagen roch neu und sauber und als wäre er seit Monaten nicht mehr in Gebrauch gewesen. Als Newton den Motor startete und vom Parkplatz des Flughafens fuhr, fiel die Anspannung etwas von mir ab und ich fand schließlich meine Sprache wieder.

»Unglaublich«, murmelte ich so leise, dass Newton es gerade noch hören konnte. »Das letzte Mal, als wir zusammen hier waren, war kurz nach unserem Abschluss. Das kommt mir fast vor wie eine andere Zeit, obwohl es gerade mal ein Jahr her ist.« Mein Blick glitt über die vorbeiziehende Landschaft. Sie war so vertraut und fremd zugleich.

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