KAPITEL 30

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In der darauffolgenden Woche konnte auch Newton endlich in seine neue Wohnung, von der er mir in Portland erzählt hatte, einziehen. In mitten der Hitze trugen Chase, der extra aus Los Angeles gekommen war, Newton und ich zahlreiche Kisten, Möbel und was es sonst noch so gab in die neue Wohnung, die zugegebenermaßen gar nicht übel war und perfekt zu Newton passte. Das Mitbewohnerproblem hatte sich zwar noch immer nicht geklärt, aber Newton versicherte Chase und mir immer wieder, dass er bis zum Beginn des neuen Semesters sicher jemanden finden würde. Und wahrscheinlich hatte er recht. Denn wenn erst die ganzen neuen Erstsemester kamen, waren Wohnungen sicher heiß begehrt.

Newton war der letzte von uns gewesen, der noch in unser WG gewohnt hatte und nun, da er auch aus der Wohnung raus war, hatten wir die Schlüssel endlich an unseren ehemaligen Vermieter zurückgeben können, was sich wirklich seltsam gewesen war, weil es sich so verdammt endgültig angefühlt hatte. Wir hatten nur wenige Wort miteinander gesprochen, als wir uns zur Schlüsselrückgabe getroffen hatten, und kaum waren die Schlüssel zurück beim Vermieter gewesen, waren Sky und Leo ohne ein weiteres Wort verschwunden. und es hatte sich angefühlt wie ein Aufwiedersehen, auch wenn wir uns damals geschworen hatten, einander niemals aus den Augen zu verlieren. Leo und Sky waren so viele Jahre lang zusammen mit Emma und Newton meine besten Freunde gewesen. Plötzlich waren diese Menschen zu Fremden geworden, mit denen ich nur noch den Schmerz und Verlust von Emmas Tod teilte. Nicht mehr und nicht weniger. Und auch wenn mein Kopf längst kapiert hatte, dass wir diese Freundschaft möglicherweise nicht retten konnten, weigerte sich mein Herz mehr denn je, es zu akzeptieren. Ich hatte meine Freunde niemals verlieren wollen, aber wie hielt man eine Freundschaft zusammen, deren Wille mit dem Tod einer Freundin untergegangen war? Emma hatte das nicht gewollt, das wussten wir alle, und doch war sie auf eine verdrehte Weise daran schuld, dass wir es nicht mehr schafften, uns wie Freunde zu behandeln und zu Fremden geworden waren.

Ich wusste nicht, was aus unserer Freundschaft werden würde oder ob Sky und Leo überhaupt in Silverhaven bleiben würden, jetzt, wo sie Newton und mir gegenüber keine Verpflichtungen mehr gegenüber hatten. aber ich wusste, dass sie immer ein Teil meines Herzens, meines Lebens bleiben würden, weil ich so viele unbeschreiblich schöne Jahre mit ihnen gehabt hatte, die ich nie vergessen wollte. Sky und Leo würden immer fehlen, daran konnten auch Liv, Ashley und Chase nichts ändern, auch wenn die drei mindestens zu genauso guten Freunden geworden waren, aber sie hatten nie das erlebt, das Newton, Sky, Leo und ich miteinander teilten.

Seufzend erhob ich mich von meinem Bett und versuchte, die deprimierenden Gedanken mit einem Kopfschütteln zu vertreiben, ehe ich mich langsam auf den Weg in die Küche machte, in der ich zu meiner Überraschung einer vollkommen übermüdeten Ashley über den Weg lief, die es gerade so schaffte, nicht mit dem Kopf voran auf ihren Teller zu landen. Ich warf ihr unauffällig einen besorgten Blick zu und runzelte die Stirn, als Ashley langsam von ihrem Kaffee aufsah und ich die tiefen Augenringe unter ihren mintgrünen Augen entdeckte. Ich sagte es wirklich nicht gerne, aber sie sah wirklich übel aus. Als hätte sie Jahre nicht geschlafen. »Guten Morgen, Sonnenschein«, begrüßte ich sie mit einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es sie wenigstens etwas strahlen lassen würde.

Fehlanzeige. Weder zuckten ihre Mundwinkel noch machte sie sich überhaupt die Mühe, es zu versuchen. Alles, was ich bekam, war ein kaum hörbares »Morgen«, das mehr oder weniger im Klang der Kaffeemaschine unterging. Scheinbar war ihr nicht nach einem Gespräch, was ich durchaus verstehen konnte. Aber ich wünschte mir so sehr, dass sie mit mir sprach. Mir war klar, dass ich nicht Liv war und Ashley kaum jemandem vertraute, aber wir kannten uns seit fast einem Jahr. Alles, was ich wollte, war Helfen. Ich wollte einer guten Freundin, der es scheinbar nicht gut ging, helfen.

Ich unterdrückte den Seufzer, der in mir aufstieg, schnappte mir meine volle Kaffeetasse und ließ mich Ashley gegenüber auf den Stuhl fallen. Ich wollte gerade dazu ansetzen, etwas zu sagen, als mir etwas auffiel, von dem ich mich wirklich fragte, wie ich es zuvor hatte übersehen können. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Nicht nur, dass Ashley unglaublich tiefe Augenringe hatte, nein. Da prangten auch noch tiefe Kratzer auf ihrer Wange, die aussahen, als hätte ihr jemand bösartig seine Fingernägel ins Fleisch gerammt. Und der blaue Fleck an ihrer rechten Schläfe war so tiefblau, dass es höllisch wehtun musste. Außerdem wurde mir mit einem Mal bewusst, wie verkrampft und angespannt Ashley auf ihrem Stuhl saß, als hätte sie Schmerzen oder müsste jeden Moment aufspringen, um davon zu laufen. Dazu ihre wild, abstehenden orangefarbenen Haare und ihr Anblick bereitete mir unglaubliche Sorge. Was zur Hölle war ihr passiert?

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