Leere. Tiefe, dunkle Leere, die mich von innen heraus zu verschlingen schien. Das war alles, was ich fühlte, als ich es endlich schaffte, mich einigermaßen zu beruhigen. Und trotzdem war da gleichzeitig noch so viel mehr, dass sich ein seltsamer Druck über meine Brust legte und meine Kehle eng wurde. Denn Emmas Worte zogen sich in einer langen, unverwischbaren Spur über meine geschundene Seele, brandmarkten sie, damit ich nicht auch nur die kleinste Chance hatte, sie je zu vergessen. Ihre Brandmarkung hinterließ ein Zeichen, tief und schmerhaft, das ich für den Rest meines Lebens auf meiner Seele tragen würde, genauso wie der Schmerz in meinem Herzen. Immer und immer wieder schossen mir ihre Worte durch den Kopf, es war wie ein Kopfkino, nur intensiver und viel realer.
Irgendwo in all dem Schmerz war auch Verwirrung, weil ich mir nicht im Geringsten erklären konnte, wie es möglich war, dass dieser Brief nach mehr als einem Jahr zu mir gefunden hatte, Tausend Meilen entfernt von meinem eigentlichen Zuhause. Egal wie ich es drehte und wendete, ich fand keine Antwort auf diese dringende Frage. Vermutlich hätte es mir vollkommen egal sein sollen, wie der Brief zu mir gekommen war, weil es keine Rolle spielte, aber mein Herz schrie förmlich nach einer Antwort. Hatten Sky, Leo oder vielleicht sogar Newton den Brief hergelegt, weil Emma es so gewollt hatte? Oder waren es ihre Eltern gewesen, die ihn hergebracht hatten? Warum jetzt und nicht schon nach ihrem Tod? Fragen über Fragen und ich konnte nicht eine einzige beantworten. Für mich gab es keinen Sinn dahinter, warum ich ihn ausgerechnet jetzt bekommen hatte, wo ich doch über zwei Wochen nicht einmal hier gewesen war.
Auch wenn ich mir diese ganzen Fragen nicht beantworten konnte, war da ein Teil von mirvon meinem Herzen, der sich plötzlich vollständig fühlte, als wären diese letzten Worte meiner besten Freundin alles gewesen, was es gebraucht hatte, um mit dem Kapitel von Emmas Tod abzuschließen. Es machte absolut keinen Sinn, aber mit einem Mal konnte ich wieder atmen, wurde nicht mehr von meiner eigenen Zerrissenheit erdrückt. Es schien, als passten die zerbrochenen Teile meines Herzens wieder ineinander, während meine Lebensgeister zurückkehrten. Neben der dunklen Leere fühlte ich mich plötzlich lebendig und wie ich selbst, auch wenn es schrecklich wehgetan hatte, die Worte zu lesen, die Emma kurz vor ihrem Tod geschrieben haben musste. Einsam und allein.
Was sie in ihrem Brief geschrieben hatte, war schrecklich gewesen, so unglaublich schmerzhaft und herzzerreißend, aber ich wusste, dass ihre Worte zum größten Teil der Wahrheit entsprachen. Jedes einzelne, auch wenn ich mir wünschte, dass einige es nicht taten. Denn Emma war nicht schwach gewesen oder hatte sich selbst aufgegeben, im Gegenteil, sie war die stärkste Person, die ich je gekannt hatte. Sie hatte nichts falsch gemacht, sie hatte bloß etwas auferlegt bekommen, das sie nicht verdient hatte. Etwas, wofür ihr weder ihre Seele noch ihr gesamtes Wesen bereit gewesen waren. Doch das machte sie noch lange nicht zu einem schwachen Menschen. Für mich war und blieb sie eine Heldin, meine beste Freundin und Seelenverwandte. Sie konnte nichts dafür, genauso wie wir. Es machte mich so unendlich traurig, dass sie sich selber als schwach betrachtet hatte.
Als sich in Mitten des Wasserfalls aus Tränen ein trauriges Lächeln auf meine aufgesprungenen Lippen schlich, brachte es ein Gefühl mit sich, das ich schon viel zu lange vermisst hatte: Der Wille zu kämpfen. Ich wusste vielleicht nicht, wie der Brief hergekommen war oder warum, aber wer auch immer ihn zu mir gebracht hatte, hatte sich etwas dabei gedacht, es ausgerechnet jetzt zu tun. Vielleicht, weil er wusste, was für einen Kampf ich in meinem Inneren ausfocht. Möglicherweise würde ich es nie erfahren, aber ich konnte dafür sorgen, dass die letzten Worte meiner besten Freundin ihre Bedeutung in mir fanden. Ich konnte kämpfen. Um mich. Um Newton. Um unsere Freundschaft. Ich konnte endlich tun, was ich schon viel früher hätte tun sollen.
Um nichts in der Welt würde ich die Erinnerungen an Emma und unsere gemeinsame Zeit vergessen wollen, wie Emma es in ihrem Brief von mir verlangt hatte, aber ich würde endlich dafür sorgen, dass die Erinnerungen mich nicht mehr zerstörten, sondern zu Emmas Vermächtnis wurden. Sie waren zu kostbar, zu besonders, um sie einfach so zu vergessen. Emma war zu kostbar, um sie aus meinem Gedächtnis zu radieren. Deswegen musste ich endlich lernen, mit ihnen zu leben, sie als das anzuerkennen, was sie waren: Erinnerungen. Kein schwarzer Abgrund oder ein Messer, das mir jeden Moment ins Herz stechen konnte. Einfach nur Erinnerungen. Es würde lange dauern, bis ich endlich mit ihnen leben könnte, aber es war nicht unmöglich, und genau daran würde ich festhalten, wenn ich damit anfing, meinem Herzen zu zeigen, das es okay war, sich zu erinnern.
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LEAVE THE PAST BEHIND
Romance»Wir sind voll von Chaos, aber genau deswegen liebe ich uns zusammen so sehr.« Als Everlyn Monroe zusammen mit ihren Freunden ihre einst so geliebte Heimat Portland verlässt, hat sie nur ein Ziel vor Augen, das sie um jeden Preis erreichen möchte: e...