KAPITEL 22

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Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem Gefühl, beobachtet zu werden. Etwas, das ich noch viel mehr als Schokoladenkuchen hasste. Mit noch verschlafenem Blick ließ ich meine Augen durch den Raum wandern, bis mir plötzlich schlagartig wieder einfiel, wo ich war, und mein Blick mit einer Geschwindigkeit, bei der ich unter normalen Umständen Angst bekommen hätte, dass meine Augen mir aus meinem Kopf sprangen, zu der schwarzen Schlafcouch schossen, von der mein bester Freund mich mit seinen schokoladenbrauen Augen beobachtete. Sein Blick war klar, wachsam und kein bisschen verschlafen, als säße er nicht erst fünf Minuten so dort. Ich schluckte und wollte etwas sagen, doch mein Mund bewegte sich nicht. Stattdessen kehrten die Bilder vom gestrigen Abend zurück in meinen Kopf und ließen meine Wangen brennen. Verdammt Scheiße, wir hätten uns beinahe geküsst!

Nachdem Chris uns gestern Abend ins Haus gerufen hatte, um mit ihm und Emilia zu Abend zu essen, war es verflucht nochmal seltsam zwischen Newton und mir gewesen. Wir hatten zwar miteinander geredet und rumgewitzelt wie sonst auch, aber irgendwas hatte sich verändert. Wenn ich nur wüsste, was...Noch seltsamer war es dann geworden, als Chris uns beide in das gleiche Gästezimmer gesteckt hatte. Denn unter normalen Umständen hätten wir uns das Bett geteilt, das hatten wir in den vergangenen Jahren oft getan und es war nie ein Problem gewesen, aber Newton hatte sich ohne ein Wort auf die Schlafcouch gelegt und mir das Bett überlassen. Ich wollte mich nicht darüber beschweren, aber es hatte sich angefühlt, als hätte er eine dicke Mauer zwischen uns gezogen. Dementsprechend war meine Nacht nicht besonders ruhig gewesen, weil ich nicht hatte aufhören können, über alles, was zwischen uns passiert war, nachzudenken. Zu gern hätte ich ihn gefragt, was das gestern Abend gewesen war, aber die Worte schafften es nicht über meine Lippen, irgendetwas hielt sie zurück.

»Du weißt hoffentlich, dass es sich nicht gehört, andere beim Schlafen zu beobachten. Das ist widerlich und grenzt definitiv an Stalking.«, sagte ich schließlich mit vom Schlaf rauer Stimme, ehe Newton ein tiefes, leises Lachen ausstieß, bei dem sich meine Nackenhaare aufstellten. Mit einem schiefen Grinsen ließ ich meinen Kopf gegen das Kopfteil des Bettes sinken.

»Als Stalking würde ich das nun wirklich nicht bezeichnen.«, erwiderte Newton, in seinen Augen funkelte es gefährlich, als auch er zu grinsen begann. Ein Grinsen von der Sorte, die ich so sehr liebte.

Ich schnaubte und zog abschätzig eine Braue nach oben. »Nicht? Jetzt bin ich wirklich neugierig, wie du es bezeichnen würdest.«

»Es ist vielmehr ein Analysieren der Lage.« Seine Mundwinkel zuckten, während ich ungläubig den Kopf schüttelte. Ein bisschen mehr Einfallsreichtum hatte ich schon erwartet, immerhin war das hier Newton Tyler, bei dem jeder Clown einpacken konnte.

»Die Lage analysieren?« Ich lachte. »Was bitte gibt es hier zu analysieren, Newton? Meinen Schlaf? Mich? Deine Ideen waren auch schonmal einfallsreicher.«

Empört sah Newton mich an. »Ey! Das war wirklich nicht nett.«, schimpfte er mit gespieltem Ernst und griff nach seinem Kopfkissen. Im ersten Moment dachte ich noch daran, etwas zu erwidern, doch dann flog plötzlich das Kissen in einem Affentempo auf mein Gesicht zu, dass ich es gerade noch so schaffte, meinen Kopf wegzuziehen, ehe das Kissen mit einem leisen Geräusch an der Wand über mir abprallte.

Ich fluchte und funkelte ihn angriffslustig an, doch er grinste nur selbstzufrieden und lehnte sich gegen die Rückenlehne der Couch. »Na warte, du Idiot.«, knurrte ich und griff im selben Moment nach meinem eigenen Kopfkissen. Als Newton meinen entschlossenen Blick bemerkte, wuchs sein Grinsen auf eine dimensionale Größe, die mich rasend machte. Woher zur Hölle nahm er sich das Recht, mir ein Kissen gegen den Kopf zu schleudern?

Mit einem leisen Schnauben sprang ich schneller als der Wind aus meinem Bett und stürzte mich samt meinem Kissen auf Newton, satt es ihm nur an den Kopf zu werfen. Leider machte ich den Fehler, mich von meiner Entschlossenheit und meinem Wunsch nach Rache ablenken zu lassen. Ich unterschätze meinen besten Freund maßlos. Er war nicht nur irgendein unsportlicher Typ mit Reflexen wie ein Faultier, nope. Er war Basketballer und um Längen trainierter und schneller als ich. Ehe ich mich versah, lag ich auch schon unter ihm, während er auf allen vieren über mir kniete, ein Bein zwischen meinen Oberschenkeln, das andere daneben. Meine Hände hatte er über meinem Kopf fixiert, sodass mir nichts anderes übrigblieb, als hilflos rumzuzappeln. Keine Ahnung, wo das Kissen gelandet war, doch vermutlich lag es auf dem Boden zusammen mit meinem Stolz.

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