KAPITEL 6

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Irgendwie war die Musik schon immer eine Art Zuflucht für mich gewesen, obwohl ich selbst der unmusikalischste Mensch auf der Welt war. Sobald ich einen Song hörte, der mir gefiel, konnte ich einfach abschalten und meine Gedanken vergessen. Es war ganz nach dem Motto: Welt aus, Musik an. Ich liebte dieses Gefühl, was die Musik in mir auslöste: Freiheit, einfach nur pure Freiheit. Erlöst von jeglichem Stress, quälenden Sorgen und kreisenden Gedanken, die mich um den Verstand brachten. Ich konnte ganz einfach ich selbst sein, ohne irgendjemandem etwas vorzumachen, was ich nicht war.

Und mein Musikgeschmackder war wohl ziemlich vielfältig, obwohl ich die Musik von Taylor Swift mit Abstand am meisten liebte. Für mich gab es keine besseren Songs, um einfach nur abzuschalten. In ihnen steckte so viel Gefühl und Freiheit, dass es mir jedes Mal fast den Atem raubte, wenn ich eines ihrer Lieder hörte.

Leider kannte ich nur eine einzige Person, die ihre Lieder genauso liebte, wie ich es tat und gerade die Person war... tot. Die anderen, insbesondere Liv und Leo, waren nicht gerade die größten Fans von Taylor Swift und maulten mich direkt an, wenn sie auch nur einen einzigen Ton ihrer Musik hörten, vor allem Newton zog mich gerne für meinen Musikgeschmack auf, obwohl seiner so grässlich war, dass mir jedes Mal fast die Ohren abfielen, wenn ich die laute Rockmusik aus seinem Zimmer hörte. War wohl so ein Musiker-Ding, schließlich spielte er selbst Gitarre. Dass Liv und Leo meine Lieblingsmusik hassten, hatten sie mir schon vor einiger Zeit unmissverständlich klar gemacht.

Glücklicherweise hatte ich die Wohnung heute für mich alleine, was mir ziemlich gut passte. Denn es war Samstag und ich hatte ja schließlich die ganze Zeit darauf hin gefiebert, endlich mein Zimmer etwas aufzuräumen beziehungsweise zu putzen, weil es das wirklich dringend nötig hatte. Außerdem war ich so frei gewesen und hatte mich freiwillig dafür gemeldet, auch die restliche Wohnung zu putzen. Das hieß also für Sky, Newton und Leo, dass sie die Wohnung für ein paar Stunden verlassen mussten. In unserem ersten Monat hier hatten wir diese Regelung eingeführt, weil es sonst einfach zu viel Chaos veranstaltete, wenn alle ständig durch die Gegend wuselten, während einer sich um den Haushalt kümmerte. So, wie es jetzt war, gefiel es mir mit Abstand am besten. Denn ich hatte meine Ruhe und konnte so laut Musik hören, wie ich wollte. Naja gut, nicht ganz. Da war ja noch unsere gruselige Nachbarin, die ich nicht stören durfte.

Während die Wohnung von Taylor Swifts Stimme erfüllt wurde, versuchte ich mit großer Mühe zu putzen und dabei die Wirkung zu erzielen, dass es auch wirklich sauber aussah und nicht, als wäre zusätzlich zu dem Staub noch eine Horde Footballspieler durch die Wohnung gerannt. Leider gestaltete sich das mit meiner Größe teils etwas schwierig, weil wir gefühlt nur drei Meter hohe Regale hatten, an die ich selbst mit meiner Größe von 1,75m ziemlich schlecht rankam. Wäre Newton hier gewesen, hätte er mich vermutlich ausgelacht.

Einige Staubflusen und harte Arbeit später war ich endlich in meinem Zimmer angekommen, wo ich direkt mit dem Spaß weitermachte, bis ich plötzlich fast von einer Kiste erschlagen wurde, die aus einem Regal hinausfiel und mit einem lauten Scheppern auf dem Boden landete. In wenigen Sekunden hatte sich der gesamte Inhalt über meinen Boden verteilt, bis auf das Ding, was mich am Kopf getroffen hatte und all meine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte.

Wie von selbst hatten sich meine Hände um den weißen Rahmen gekrampft, als ich realisiert hatte, was mich da fast erschlagen hatte. Welch eine Ironie des Schicksals, dass es ausgerechnet dieses Ding sein musste, das ich vor zehn Monaten sofort in die hinterste Ecke dieses Zimmers verfrachtet hatte, aus Angst, dass es etwas mit mir anstellte, für das ich nicht bereit war. Und jetzt stand ich hier mit klopfendem Herzen, schweißnassen Händen, die die Erinnerung in sich hielten und einem hartnäckigen Brennen hinter den Augen.

Und ein klitzekleiner Blick auf das Bild reichte, um einen Sturm in meinem Inneren heraufzubeschwören, der heftiger war als jeder Hurrikan. Einzelne Tränen lösten sich aus meinen Augen und liefen heiß meine heißen Wangen hinunter. Eine nach der anderen tropften sie auf mein Oberteil und hinterließen dort dunkle Flecken, die genauso gut vom Regen hätten sein können, wenn ich nicht gerade in meinem Zimmer gestanden hätte.

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