KAPITEL 9

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Den Donnerstag verbrachte ich größtenteils in der Uni und mit einer anschließenden Schicht im Café, das genauso voll gewesen war wie an jedem anderen Tag der Woche, dass man meinen konnte, es wäre das einzige Café in der Stadt. Leyla und ich waren so sehr von Tisch zu Tisch gehetzt, dass ich am Abend tot müde ins Bett gefallen war und erstmal 10 Stunden am Stück durchgeschlafen hatte. Freitag hatte ich dann endlich mit meiner Mom telefoniert, um die letzten Details für Dads Geburtstag zu besprechen, obwohl ich alles andere als erfreut darüber gewesen war. Ich erzählte ihr, dass ich Liv mitbringen würde und unser Flug Freitagabend ging, sodass wir am nächsten Tag rechtzeitig zu Dads Geburtstag da waren. Meine Mom war, wie ich Liv bereits vorhergesagt hatte, natürlich sofort Feuer und Flamme gewesen, als sie hörte, dass Liv mich begleiten würde und versicherte mir, dass sie sich wahnsinnig freute, meine neue Freundin kennenzulernen, was mich grinsend die Augen verdrehen ließ. Nach dem Gespräch mit meiner Mom hatte ich es gerade noch so geschafft, Liv anzurufen, ehe Newton in mein Zimmer gestürzt war und mich für den Rest des Tages aus eine seiner Launen mit ins Fitnessstudio geschleppt hatte, obwohl ich Sport und alles, was dazu gehörte, abgrundtief hasste.

Am nächsten Tag schaffte ich es dann endlich, einige Aufgabe für die Uni zu erledigen, die mir bereits seit längerer Zeit Kopfschmerzen bereiteten, weil es sich größtenteils um Aufgaben aus psychologische Diagnostik I, dem Kurs bei Professor Lanchester, handelte. Zwischendurch schob ich trotz meines mörderischen Muskelkaters, den ich Newton zu verdanken hatte, und meinem leidenschaftlichen Hass zu Sport sogar eine kleine Joggingrunde ein, die ich am Ende mehr als bereute. Für Essen und Trinken blieb mir an diesem Tag kaum Zeit, weil ich dafür die Ruhe gebraucht hätte, die ich zwischen all dem Stress einfach nicht fand. Als ich mich dann am Abend schließlich doch daran machte, etwas zu essen, landete ich kurzerhand mit Newton zusammen auf der Couch, wo wir uns irgendeinen Marvelfilm reinzogen und Pizza aßen, die einfach himmlisch war und meinen ausgehungerten Magen wieder zum Leben erweckte.

Doch so perfekt dieser Abend auch war, schaffte ich es nicht einmal 10 Minuten, mich auf den Film zu konzentrieren. Stattdessen schweiften meine Gedanken wieder und wieder zu dem nächsten Wochenende, das ich mit Liv in Portland verbringen würde, gefangen in meiner eigenen Vergangenheit. Und so schön es auch sein würde, meine Eltern nach über 10 Monaten endlich wieder in die Arme zu schließen, würde es doch nicht das gleiche sein. Denn ich musste an den Ort zurückkehren, der mir mehr Schmerzen bereitete als alles andere auf dieser Welt. Und das machte mir Angst. Ich hatte mich immer für stark gehalten, für einen Menschen, den nichts so schnell aus der Fassung bringen konnte. Doch mit Emmas Tod hatte sich alles verändert und mit einem Mal hatte ich das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen und langsam, aber sicher auf einen tiefen Abgrund zu zusteuern, aus dem ich nicht so schnell wieder herausfinden würde. Außerdem war da noch immer die Tatsache, dass ich Emmas Eltern, die damals für mich zusammen mit Emma wie eine zweite Familie gewesen waren, seit ihrer Beerdigung nicht mehr gesehen hatte, geschweige denn überhaupt versucht hatte, mit ihnen zu reden. Doch so langsam dämmerte mir, dass es unmöglich sein würde, ihnen nicht auf Dads Geburtstag zu begegnen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste mich darauf gefasst machen, sie zu sehen. Zwischen all diesen Dingen war Liv mein einziger kleiner Lichtblick, auch wenn

»Verdammt, Everlyn», knurrte Newton plötzlich in meinen Gedankenstrudel, ehe ich erschrocken zusammenzuckte und mein Blick zu ihm schoss. Sein Kiefer malte. »Deine Gedanken sind so laut, dass du sie mir förmlich entgegen schreist.« Er fuhr sich durch seine dunklen Haare und blickte mich an. In seinen schokoladenbraunen Augen lag ein seltsamer Schatten, der mir Gänsehaut bereitete. Als ich noch immer nichts sagte, seufzte Newton leise und sah mich fragend an, der Schatten in seinen Augen war fort. »Hast du überhaupt irgendwas von dem Film mitbekommen, Eve?«

Ich senkte meinen Blick auf das Kissen in meinem Schoß und versuchte, die dezenten Kopfschmerzen, die sich nun bemerkbar machten, zu ignorieren. »Glaubst du mir, wenn ich Ja sage?«, fragte ich mit schief gelegtem Kopf und biss mir auf die Unterlippe, als Newton den Kopf schüttelte. Ich seufzte. »Dann nicht, nein«

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