,,I'm standing in the ashes of who I used to be"

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Auf dem Foto sind Maks und Peta, die tatsächlich existieren und Profitänzer bei der US-Version von Let's Dance sind. Im Kapitel ist ein Wort meiner Brüder.

New York/ Berlin, Dezember 2015

Gerade war Sasa noch in der Luft, dann hörte sie ein Ploppen und jetzt war da nur noch Schmerz. Sie versuchte aufzustehen, musste aber schnell feststellen, dass das unmöglich war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Musik stoppte und auch Dmitri merkte, was passiert war. Die Punktrichter fragten, ob sie weitertanzen würden. Sasa konnte nur mit dem Kopf schütteln, während sie die aufkommenden Tränen unterdrückte. Die Verletzung war schon schlimm genug, jetzt noch zu weinen, würde ihr den letzten Funken Würde nehmen. Ihr Trainer Maksim richtete Sasa auf und half ihr dann, von der Tanzfläche zu humpeln. Sie sahen im Augenwinkel, wie Dmitri zu seinen Eltern ging und dabei mit dem Kopf schüttelte. Wahrscheinlich ärgerte er sich über die verflossene Chance auf den Titel, auf den das junge Tanzpaar die letzten Monate hin trainiert hatte.

Backstage bekam Sasa ein Kühlpack auf ihr Knie gedrückt. Peta, Maks' Freundin, die auch zum Trainerteam gehörte, erzählte irgendwas, aber Sasa konnte nicht zuhören. Ihr Knie und wie es damit weitergehen würde, beherrschten ihre Gedanken. ,,Ey, hörst du mir überhaupt zu?" ,,Mmh." ,,Okay, dann noch einmal: Wir warten auf Maks, dann fahren wir dich ins nächste Krankenhaus und sehen da weiter." ,,Und Dimitri?" ,,Der ist mit seinen Eltern nach Hause gefahren." Irgendwie hatte Sasa damit gerechnet. Für ihn war sie schon immer nur die Tanzpartnerin und nicht mehr wichtig, sobald das Training vorbei war. Trotzdem war Sasa enttäuscht, dass es auch jetzt so war. 15 Jahre zusammen tanzen und das war der Dank...

Maks kam mit einem bedauernden Lächeln in den Raum. Es schmerzte ihn, seine Schülerin so zu sehen. Seit neun Jahren trainierte er sie und fieberte bei jedem Erfolg mit. Während Dmitri wegen seiner Eltern tanzte und genoss, wie beliebt es ihn in der Frauenwelt machte, gab es für Sasa nichts anderes. Tanzen war ihr Lebensinhalt und Maksim sorgte sich jetzt schon, was passieren würde, sollte ihr dieser genommen werden. Sasa stand morgens auf, ging zu den Kursen für ihren Trainerschein, kam dann zum Training mit Dmitri, gab danach Kindern Unterricht und besuchte abends noch Tanzbars, um weiter zu tanzen. Letzteres hatte Maks eher durch Zufall herausgefunden. Einem guten Freund von ihm gehörte eine solche Bar und als Maks diese mal besuchte, erkannte er die junge Frau auf der Tanzfläche. Als er fragte, wer sie war, bekam er "Sasa" als Antwort und die Erklärung zum Namen gleich dazu. Seit diesem Abend nannte auch Maks seine Schülerin so.

Zur gleichen Zeit, 6.381 km entfernt, kam Felix gerade von der Bühne. Er war noch so gehypt und voller Energie, dass er seinem Bruder mit einem gebrüllten: ,,DAS WAR SO GEIL!" entgegen sprang. Ein Poetry Slam hat sich lange nicht mehr so gut angefühlt wie der heute mit Malte. Das Publikum ging bei jedem Witz mit und pushte dadurch auch Felix und Malte in neue Höhen. Der Text floss einfach heraus und machte ihnen auf der Bühne nochmal mehr Spaß als beim Schreiben. Adrenalin floss noch immer durch Felix' Adern und ließ ihn nicht still stehen. Das würde heute schwierig werden mit runterkommen und einschlafen...

In der Notaufnahme angekommen, mussten Sasa, Maksim und Peta erst einmal warten. Sasas Knie war hochgelagert und wurde durchgängig gekühlt, in dem Versuch, der Schwellung entgegen zu wirken. Einige der anderen Wartenden sahen sie irritiert an, weil Sasa immer noch ihr Kostüm und das Wettkampf-MakeUp trug. Sie hatten ihr lediglich eine Trainingsjacke über gezogen und die Tanzschuhe gegen Sneakers getauscht.

Mittlerweile wusste auch Sasas Schwester Kathrin Bescheid, die immer wieder nachfragte, wie es lief. Sie war Krankenschwester und hatte nach den Beschreibungen am Telefon Vermutungen, was die Diagnose betraf. Kathrin hoffte einfach, dass diese nicht bestätigt wurden.

Nach zwei Stunden Wartezeit und verschiedenen Untersuchungen kam die Ärztin mit bedrückter Miene zurück in das Behandlungszimmer. Kathrins Befürchtungen sollten sich bewahrheiten: Riss des vorderen Kreuzbandes und des Innenbandes. Ruhigstellen, bis es abgeschwollen war und dann vermutlich OP. Im Anschluss lange Physiotherapie. Es würde Monate dauern, bis Sasa wieder tanzen durfte.

Das Adrenalin hatte Felix' Körper schneller verlassen als erwartet. Richtig runter von dem High war er dennoch nicht. Er brauchte eine Zigarette, bevor er wieder reingehen und Fotos machen konnte. Heute waren alle da, seine Geschwister, seine Freunde, selbst sein Vater mit seiner Freundin war vorbei gekommen. Nur eine Person fehlte: Elli. Ihr plötzliches Verschwinden hatte sich damals wie der Einschlag eines Asteroiden angefühlt. Es hatte einen Krater hinterlassen, der lange nicht verschwinden sollte. Erst als sie ihn nach zwei Monaten anrief, begann er langsam zu schrumpfen. Es überraschte Felix, dass er genau jetzt an sie dachte. Dann fiel ihm ein, dass Elli heute eine WM tanzen würde.

Sie waren unabhängig voneinander so weit gekommen in den letzten Jahren und auf dem besten Weg sich ihre Träume zu erfüllen. Elli konnte vom Tanzen leben und Felix wurde mit jedem Auftritt und Video bekannter. Sie waren zwei Kids aus Neukölln, die ihr Leben lang dafür geackert hatten, von dort wegzukommen. Elli hatte vielleicht mehr Glück gehabt als Felix, der bei ein paar Abbiegungen mehr wohl auf der schiefen Bahn geblieben wäre, aber auch ihr Weg war nicht immer geradlinig gewesen.

Felix riss sich aus seinen melancholischen Gedanken. Dafür war hier weder Ort noch Zeit. Jetzt war erstmal Fanbefriedigung angesagt. Und dann hieß es den Abend ordentlich zu feiern. Felix konnte Elli auch später noch fragen, wie die WM gelaufen war.

Maks hatte Sasa zu sich und Peta mitgenommen. Sie würde niemals die Treppen zu ihrer Wohnung jetzt noch schaffen und in seinem Haus war das Gästezimmer im Erdgeschoss. Und auf ihre vier neugierigen Mitbewohner hatte Sasa jetzt wahrscheinlich auch keine Lust. Peta half Sasa dabei sich umzuziehen und abzuschminken und brachte sie danach ins Gästezimmer. Obwohl sie sich noch nicht so lange kannten wie Maks und Sasa, waren sie in den letzten Jahren zu guten Freundinnen geworden. ,,Ich bring dir nachher was zu essen. Ruf uns, wenn du was brauchst." Wieder einmal nickte Sasa nur. Sie hatte keine Lust mehr auf diesen Tag, aber für Schlaf war es auch noch zu früh. Im Krankenhaus hatte man ihr genug Schmerzmittel verabreicht, um das Knie nicht mehr so stark zu spüren. Die Gedanken ließen sich trotzdem nicht weglenken. Also nahm Sasa ihr Handy zur Hand und googelte die Turnierergebnisse. Warum sie sich selbst Salz in die Wunde streute, war ihr unklar, aber sie musste wissen, wer gewonnen hatte und wie ihr Unfall eingetragen worden war. Das "DNF" erleichterte sie, erinnerte Sasa aber auch daran, dass sie irgendwas tun musste, damit ihr deutsches Umfeld nicht davon erfuhr. Sie wollte kein Mitleid von Menschen, die einen Ozean entfernt waren.

Am nächsten Morgen sah Sasa wieder direkt auf ihr Handy. Ihre Schwester hatte ihr geschrieben, dass sie ein Kämpferherz war und es wieder nach oben schaffen würde. Die nächste Nachricht trieb ihr Tränen in die Augen

<<Krassester Auftritt meines Lebens gestern. Wie lief die WM?>>

Sasa konnte Felix jetzt nicht antworten. Die WM lief wie sie in den nächsten Monaten: wenig bis gar nicht. Dagegen schien es bei ihm zu rennen. Felix hatte sich in den letzten Wochen auf seine Solo-Show vorbereitet und wollte sie gestern vor einem größerem Publikum testen. Sie konnte ihn jetzt nicht von seinem Hoch runterziehen. All seine Konzentration sollte sich darauf richten und nicht auf seine verletzte Kindheitsfreundin verschwendet werden, der er jetzt eh nicht helfen konnte. Zum Glück konnte Felix nicht sehen, dass sie die Nachricht gelesen hatte. Die blauen Haken waren schon lange aus und das "zuletzt online" ebenfalls. Es war sowieso merkwürdig, dass Felix ihr gerade jetzt schrieb. Die letzten Nachrichten waren drei Wochen her und sie war vollends darauf vorbereitet, dass diese Freundschaft bald ihr Ende finden würde. Da hatte Sasa noch nicht geahnt, wer, beziehungsweise was, dieses Ende herbeiführen würde. Aber sie musste jetzt hart bleiben. Felix sollte ungestört seinen Traum verfolgen, so wie sie es die letzten Jahre getan hatte. 

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