,,It tears me apart to sacrifice it all"

632 26 4
                                    

Kein Wort meiner Brüder in diesem Kapitel. Petit Fours sind französisches, sehr süßes Gebäck. 

New York/ Berlin, Oktober bis Dezember 2005

High School, Training, Hausaufgaben, Schlaf. High School, Training, Hausaufgaben, Schlaf. High School, Training... Seit Wochen verlief jeder Tag gleich. Die einzige Abwechslung waren die Wettbewerbe und Auftritte am Wochenende. Aber nach zwei Monaten war auch das eher zum Alltag geworden. Elli begann sich zu langweilen. New York war ein Traum, der mit jeder Minute verblasste und zu trister Realität wurde. Sie vermisste Neukölln, ihre Siedlung in Rudow und vor allem Felix. Ihr wurde nur ein Telefonat pro Woche erlaubt und das brauchte sie für ein paar Minuten mit ihrer Mutter auf. Dmitri und seine Eltern hatten auch nie viel von Felix gehalten und würden ihr wahrscheinlich verbieten ihn anzurufen. Dabei musste sie sich doch entschuldigen. Sie wäre auch furchtbar wütend gewesen, wenn er ohne ein Wort von einem Tag auf den anderen verschwunden wäre.

Auch die Schule langweilte Elli. Das einzig wirklich herausfordernde Fach war Englisch, weil man von ihr die gleichen Sachen wie von den Muttersprachlern erwartete. In Mathe waren sie in Deutschland schon weiter, in Geografie kam europäische Topographie dran, was sie vor Jahren behandelt hatten. Und dass nahezu alles mit Multiple Choice getestet wurde, machte es auch nicht schwerer. Durchs Tanzen konnte Elli hervorragend auswendig lernen und das half ihr jetzt wieder.

Im sozialen Bereich lief es wesentlich schlechter für Elli. Sie tat sich schwer Anschluss zu finden. Die ständig wechselnden Zusammensetzungen der Kurse störten sie enorm. So konnte doch unmöglich Zusammenhalt entstehen. Innerhalb des Jahrgangs existierte der irgendwie, aber wenn man nach zwei Jahren dazustieß, fühlte man sich nicht zugehörig. Und weil sie durch das stundenlange Training jeden Tag nicht an AGs teilnehmen konnte, fehlte auch da die Möglichkeit Freundschaften aufzubauen. 

Dmitri hatte es da leichter. Er durfte zu den Parties, die ihr verboten wurden und scherte durch seine Tanzkünste in Windeseile eine Freundesgruppe um sich. Dass sie seine Tanzpartnerin war und er ohne sie gar nicht an den Wettbewerben teilnehmen konnte, interessierte niemanden. Alle hatten nur Augen für den Russen aus Berlin. So verbrachte Elli weiterhin jede Mittagspause allein an einem Tisch in der hinteren Ecke der Caféteria.

Donnerstagabend und Dmitri war wieder einmal zu einer Party am nächsten Tag eingeladen. Elli wusste, dass er noch andere mitbringen durfte und wagte einen neuen Versuch. Sie saßen beim Abendessen und spielten Happy Family, als Elli den Mut aufbrachte, nachzufragen: ,,Könnte ich vielleicht mit Dmitri zu der Party morgen gehen? Ich lasse mich auch hinfahren und abholen, trinke keinen Schluck Alkohol und halte mich von Jungs fern." Elli hatte mitbekommen, welche Register ihre Mitschülerinnen zogen, um am Wochenende weg zu dürfen. Olga und Alexander sahen sie ausdruckslos an. ,,Solche Feiern gehören sich nicht für ein Mädchen wie dich. Und du musst ausgeruht sein vor dem Wettbewerb am Sonntag." ,,Aber Dmitri muss auch am Sonntag tanzen und darf trotzdem hingehen." ,,Jungs regenerieren schneller. Und jetzt iss auf. Sonst kannst du die Ballettvorstellung nächsten Monat vergessen." Wäre Elli rebellischer, hätte sie jetzt aufgehört zu essen und wäre aufgestanden, aber die Vorstellung war eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen sie abends raus durfte und das New York City Ballet wollte sie auch unbedingt live sehen. Also nahm sie ihr Schicksal hin und überlegte, was sie wohl Freitagabend anschauen könnte. Irgendein Sender würde schon einen brauchbaren Film übertragen.

Obwohl das Training zum Alltag gehörte, war es Ellis Lichtblick. Maksim Chmerkovskiy war extrem hart und perfektionistisch, aber er brachte sie in kurzer Zeit weiter als das letzte Jahr bei ihrem langjährigen Trainer in Berlin. Maks setzte auf ständige Wiederholungen, einen harten Ton, aber auch Lob, wenn er es für angebracht hielt. An manchen Tagen brüllte er sie wegen Kleinigkeiten nieder, nur um sich fünf Minuten später positiv über ihre Haltung zu äußern. Elli mochte es am liebsten, wenn Maks sich über Dmitris fehlenden Ausdruck beschwerte und ihn von seinem hohen Ross holte. Ihr Tanzpartner guckte dann immer wie ein bockiges Kind, fügte sich aber der Kritik ihres Trainers. Er wollte seine Eltern nicht enttäuschen, die viel Geld für seine Karriere bezahlten und hohe Erwartungen an ihn und seine Partnerin stellten.

Schritt für SchrittWo Geschichten leben. Entdecke jetzt