,,Für dich würd' ich sieben Stunden fahr'n"

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Kein Wort meiner Brüder und kleiner FunFact: Laut Google Maps braucht man wirklich knapp sieben Stunden mit dem Zug von Marburg nach Innsbruck.

Berlin, Bonn, 2011

<Felix, Elli tanzt in Bonn die Latein EM. Das ist ist das erste Mal, dass sie seit sechs Jahren in Deutschland ist. Möchtest du mitkommen?> <Natürlich!> <Gut, dann schicke ich dir später mehr Infos. Wenn sie dich fragt, sagst du nichts. Sie weiß nur, dass ich und Kathrin kommen.> Das wäre eine willkommene Abwechslung zu dem Lernsumpf, in dem er seit Monaten steckte. Und egal, wie langweilig Felix Turniere fand, er wollte Elli wiedersehen und sie umarmen. Da nahm er es auch hin, dreimal die gleichen Abläufe zu sehen. Und es waren Lateintänze, die wesentlich spannender als Standard waren. Jedenfalls war es bei den Turnieren so, die Felix gesehen hatte.

Vorher musste er um ein freies Wochenende bitten. Agathe würde sich um Karten, Fahrt und Übernachtung kümmern. Seine Mitbewohner wollten wissen, was er in Bonn vorhatte und waren geschockt, als sie von dem Tanzturnier erfuhren. Es passte nicht zu ihrem Bild von Felix, der HipHop hörte und Breakdance tanzte. Erst als er von Ellis Teilnahme erzählte, verstand zumindest Matze, worum es ging. Die anderen hatten sie nicht kennenlernen können. Sie hörten Ellis Namen nur, wenn Felix sich abends in seinem Zimmer verschanzte, um mit jemandem zu sprechen. Das passierte mindestens einmal im Monat und dann verzichtete Felix auch auf Partys oder WG-Abende.

Normalerweise fragten sie nicht weiter nach, aber dieses Mal wollten sie wissen, was so besonders an einer Frau war, dass man für sie bis nach Bonn fuhr. ,,Elli und ich sind beste Freunde, seit wir vier sind. Wir haben nebeneinander gewohnt, bis sie vor sechs Jahren nach New York gezogen ist. Dieses Turnier ist das erste Mal, dass sie wieder in Deutschland ist." ,,Warum zieht man mit 16 nach New York?" José ging davon aus, dass sie und Felix gleich alt waren. ,,Die Eltern ihres Tanzpartners haben es angeboten. Ihr hättet auch nicht Nein gesagt, wenn man euch mit 16 einen Weg aus Marzahn oder Hellersdorf raus angeboten hätte." Die Jungs um ihn herum nickten.

,,Können wir ein Foto sehen?" ,,Von heute oder früher?" ,,Beides natürlich!" Felix verschwand kurz in sein Zimmer, um das Album zu holen, dass Agathe vor einigen Jahren gebastelt hatte. Darin waren alle Bilder bis zu Ellis Umzug gesammelt. Die neueren Fotos lagen in einer Kiste unter seinem Bett. Dort bewahrte Felix die Briefe auf, die er von Elli aus New York bekommen hatte. Er holte nur die Fotos raus. Die Briefe gingen seine Freunde nichts an.

Zurück in der Küche reichte Felix ihnen das Album und hörte dabei zu, wie sie die Fotos auseinander nahmen. Sie amüsierten sich sehr über Felix als Kind und Jugendlicher; schließlich hatten sie ihn erst auf dem Oberstufenzentrum kennengelernt. Am besten fanden sie die Bilder von Ellis Geburtstag, bei dem sie immer verkleidet waren. Es gab auch immer wieder Fotos davon, wie Felix und Elli in einem Bett schliefen. ,,Habt ihr das mit 16 immer noch durchgezogen?" ,,Ja, unsere Eltern haben mal versucht es zu verbieten, aber wir haben das wegdiskutiert." ,,Auch wenn ihr in Beziehungen ward?" ,,Auch dann, aber Elli hatte nie Zeit dafür und die Mädels, mit denen ich zusammen war, mussten einfach damit klar kommen." ,,Sind sie's?" ,,Mal mehr, mal weniger gut."

Sie hatten das Album durch und Felix reichte ihnen die neueren Fotos. Es waren Aufnahmen von Wettbewerben, mit Freunden, die Elli über die Jahre gefunden hatte und von Veranstaltungen, zu denen sie von den Arenevs geschleppt wurde. Dementsprechend unterschieden sich auch ihre Gesichtsausdrücke auf den verschiedenen Bildern. Stolz bei gewonnen Wettbewerben, ehrlich fröhlich mit Freunden und gequält lächelnd mit der Familie ihres Tanzpartners.

,,Sind sie noch zusammen?" José hatte das Foto in der Hand, auf dem Elli einen jungen Mann küsste. ,,Seit zwei Monaten nicht mehr. Beide wollten sich auf ihren Sport konzentrieren und haben sich dann getrennt." ,,Dann hast du ja jetzt freie Bahn." ,,José, ich sage dir jetzt einmal, was ich meinen Geschwistern seit Jahren erzähle: Wir waren immer nur Freunde und sind auch heute nicht mehr. Elli kommt jetzt für eine Woche nach Deutschland und dann fliegt sie wieder nach New York und lebt dort ihr Leben weiter." José glaubte seinem Freund nicht, dass er so abgeklärt damit umgehen konnte. Und auch das "nur Freunde" nahm er ihm nicht ganz ab. Er wusste aber auch, dass ihm kein Urteil zustand. Felix hatte bis vor einer Stunde nie wirklich von einer Elli erzählt.

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