9005 Follower, oder auch Kapitel XII

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Dienstag, 06.07: Ivy

Es war zwanzig Uhr. Punkt zwanzig Uhr. Draußen begann es langsam zu dämmern und der Himmel war sternenklar. Ich spiegelte mich in meiner großen Fensterscheibe, als ich das Zimmer betrat und das Licht einschaltete. 

Blonde, perfekt fallende Haare strahlten mir entgegen. Dazu mein unsicheres Gesicht, auf dem sich rote Fleckchen gebildet hatten. Tatsächlich hatte ich es geschafft, fast acht Stunden ohne mein Tablet auszukommen, obwohl ich immer wieder kurz davor gewesen war, mir den Hocker vor den Schrank zu stellen und die verdammte Schreibtischschublade aufzuschließen. 

Aber ich hatte mich beherrscht- zu meinem besten und das machte mich stolz. Jetzt, wo ich wieder vor der Schublade stand, machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit. Sollte ich es wirklich tun? Was, wenn mich doch jede Menge Hate erwartete? Auf der anderen Seite war das die Wahrheit und ich konnte mich nicht ewig davor drücken. 

Im Zimmer nebenan war gerade eine heftige Diskussion zu hören. Marleen jammerte laut und meine Mutter versuchte ihr einzureden, dass wilde Ratten nun wirklich keine perfekten Haustiere waren. Unsere Aktion von heute Nachmittag war nämlich ziemlich in die Hose gegangen. 

Erst hatten unsere Eltern uns ja wirklich geglaubt, dass es sich um ein Schulprojekt handelte, aber schließlich wollte Mama den Stall auch betrachten und hatte dabei Killer entdeckt. Und jetzt stritten sie schon stundenlang darüber, dass Leni die Ratte aussetzen sollte. 

Meine Schwester hatte es sogar schon so weit gebracht, dass Mama ihr versprochen hatte einen Goldhamster, oder sogar Kaninchen zu kaufen. Doch, wie nicht anders erwartet, blieb der kleine Dickkopf bei seiner Ratte. 

"Komm schon, komm schon. Es warten ganz viele Likes auf dich!", redete ich mir ein, vergeblich. Mit furchtbaren Bauchschmerzen stieg ich auf den wackeligen Hocker und fischte nach dem Schlüssel. Nachdem ich ihn mit zwei Fingern greifen konnte und vorsichtig wieder vom Hocker stieg, war mein Arm voller Staub, der sich auf dem Schrank gebildet hatte. 

Hustend wischte ich ihn weg und trat an die Schublade. Es fühlte sich an, als läge in der Schublade eine Droge, von der ich ganz genau wusste, dass ich sie niemals einnehmen durfte. Und doch war die Neugierde zu groß. Zu groß war meine Sehnsucht nach Lob und Likes. 

"Ich mach schnell!", beschloss ich. Sobald ich den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte, und sich die Schublade mit einem leisen Klicken geöffnet hatte, startete ich das Tablet. Das Ding, in dem sich die ganze Wahrheit befand, das einzige Ding, in dem ich schwarz auf weiß lesen konnte, ob ich noch immer eine Loserin war. 

"Passwort!", meine Finger konnten das schon von alleine. Blitzschnell flitzten sie über die Tasten, und bevor ich wusste, wie mir geschah, ploppte eine Nachricht nach der anderen auf. Der Bildschirm füllte sich mit Nachrichten. 

Bevor ich eine davon lesen konnte, erschien die nächste, bis das seltsame Schauspiel endlich ein Ende gefunden hatte. Ich atmete noch einmal tief durch und schloss die Augen. Augen auf: Wahrheit! Und meine Wahrheit bestand aus genau elf Kommentaren, fünfzig Likes oder Dislikes und einer Privatnachricht. 

Okay, zuerst die Kommentare. Irgendwie musste ich versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. All die Zahlen, Worte und Anzeigen verwirrten mich jetzt schon, wo ich noch nicht einmal wusste, was sie für mich bedeuteten. Als ich den ersten Kommentar öffnete, wurde mir schlagartig übel:

"Sie ist sooo arrogant gehe auf ihre schule hab sie schon zwei mal nach einem foto gefragt hat mich einfach ignorihrt also ich würde dieser aroganten zicke nicht mehr folgen in wirklichkeit ist die auch voll hässlich" 

Ein Satz, der nicht einmal einen Punkt, oder ein Komma besaß, geschweige denn frei von Rechtschreibfehlern war und doch gab er mir einen heftigen Stich- mitten in mein kleines Versagerherz. Ich war arrogant, hässlich, nichts wert! Schon wieder kamen mir die Tränen, aber diesmal konnte und wollte ich sie nicht zurückhalten. 

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