Mittwoch, 14.07: Karla
"Und du hast das wirklich nur getan, damit uns Jo mehr Informationen gibt?", fragte Silas ungläubig. Wir saßen auf einer kleinen, mit Kaugummi beklebten Bank inmitten der mir viel zu belebten Fußgängerzone.
Seit einer Viertelstunde versuchte ich Silas klar zu machen, dass das mit Jo überhaupt nichts zu bedeuten hatte. "Jaaa", ich verdrehte genervt die Augen, "auf so einen Schleimer wie Jo stehe ich garantiert nicht. Das habe ich dir doch schon hundert Mal erklärt." "Ja, aber das sah alles so echt..."
"Psst", ich hielt meinen Zeigefinger an die Lippen und versuchte zeitgleich, meine Mailbox abzuhören, was bei dem ganzen Lärm, den die Passanten um uns herum verursachten, nicht gerade leicht war.
"Hallo Karla, hier ist Mama. Ich muss dich unbedingt..." "Und", fragte Silas dazwischen, "wer hat angerufen?" "Meine Mutter.", knurrte ich. "Und was wollte sie?", hakte er nach. "Wenn du mir nicht die ganze Zeit dazwischen funken würdest, könnte ich das heraus finden.", erwiderte ich trocken. Also nochmal von vorne.
"Hallo Karla, hier ist Mama. Ich muss dich unbedingt sprechen. Um Ivy steht es gar nicht gut. Ihre Eltern waren gestern in eine direkte Videokonferenz mit dem Verbrecher geschaltet, der Ivy da festhält. Um achtzehn Uhr muss das Geld da sein. Die beiden wissen gar nicht mehr, was sie tun sollen und Fine hatte heute Morgen einen Nervenzusammenbruch. Hier herrscht riesiges Chaos. Ruf mich am besten gleich mal an, ich mach mir Sorgen. Hoffentlich geht es wenigstens dir gut. Meld dich! Wenn Sie diese Nachricht speichern wollen, drücken Sie bitte die..."
Geistesabwesend ließ ich mein Handy sinken. Die Zeit arbeitete gegen uns. Wir mussten sofort etwas tun! "Silas", murmelte ich, ohne weitere Erklärungen, "wir müssen so schnell wie möglich zu dir nach Hause. Ich muss heraus finden, was es mit diesem Hofmanns auf sich hat!" "Wie du befiehlst.", sagte Silas und wir bahnten uns schnellen Schrittes den Weg durch die Menge zur nächsten U- Bahn Station.
Circa zwanzig Minuten später erreichten wir Silas Wohnung und er zückte seinen Schlüssel. Wir beide waren völlig außer Atem. Kaum hatten wir es uns vor dem Computer bequem gemacht, zog ich die Jacke aus, die ich über der Bluse getragen hatte und warf sie achtlos zu den anderen Sachen auf den Boden. Es gab jetzt Wichtigeres.
"Also Hofmanns sagst du?", wiederholte Silas. Ich nickte: "Das hat zumindest Jo gesagt. Aber ich weiß auch nicht, ob er sich da so sicher war." "Na toll.", nuschelte der Junge und startete den Computer, der daraufhin ein leises Surren von sich gab.
"Wir müssen alles probieren.", antwortete ich ,"vielleicht sollten wir Jo nochmal anrufen. Es könnte ja sein, dass ihm noch irgendwelche Details eingefallen sind." Aber Silas schüttelte entschieden den Kopf. "Keine gute Idee. So wie seine Mutter eben reagiert hat." Ich wollte etwas erwidern, aber eigentlich hatte er Recht.
"Aber was ist mit deiner Mutter? Wolltest du die nicht noch anrufen?", merkte er an. Das stimmte. War er jetzt eigentlich darauf getrimmt, immer Recht zu haben? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich Silas ab dem ersten Tag, als ich ihn im Sommerlager alleine im Wald sitzend kennen gelernt hatte, langsam zu einem völlig anderen Menschen entwickelte.
Er war auf einmal so klug und vernünftig. Bevor ich mein Handy zückte, knuffte ich ihm noch einmal freundschaftlich in die Schulter und verzog mich dann ans andere Ende des Flurs. Schon nach zwei Freizeichen konnte ich die mir allzu vertraute Stimme vernehmen.
"Karla, na endlich!", ich konnte Mamas Erleichterung förmlich durch den Hörer spüren. "Geht es dir gut? Bist du noch in Berlin? Warum rufst du erst jetzt an?", sprudelte es aus ihr heraus. "Ja, ja", erwiderte ich eilig, "ich bin noch in Berlin und ja- es geht mir gut! Aber das ist doch jetzt nicht so wichtig. Was ist mit Ivy?"
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Teen FictionVirtuelle Freunde sind toll! Sie loben und bewundern dich, sie sind dir für jede Antwort dankbar und füttern dich mit Selbstbewusstsein. Aber sind sie auch noch da, wenn du gerade mal nicht perfekt gestylt bist? Trösten sie dich, wenn du nicht mehr...