--- Follower, oder auch Kapitel XVIII

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Samstag, 10.07: Karla

Die morgendlichen Sonnenstrahlen brannten auf meinem Gesicht, als ich auf dem mit Kies ausgeschütteten Parkplatz stand und auf das Taxi wartete, das mich zurück nach Hause bringen sollte. 

Mein Bauch knurrte leise vor sich hin. Ich hatte kaum einen Bissen hinunter bekommen. Auch der Abschied von Alessia war mir nicht leicht gefallen. Es schien verrückt, aber ich hatte inzwischen das Gefühl, sie schon jahrelang zu kennen. 

"Karla", ertönte es plötzlich hinter mir und ich drehte mich überrascht um. Als wenn der Fuchs geahnt hätte, dass ich gerade über ihn nachgedacht hatte. "Denkst Du, ich lasse dich einfach so gehen?", lachte sie und legte gleichzeitig ihren Arm um meine Schulter. 

Ohne zu antworten starrte ich die Bäume an, die um uns herum verteilt waren. "Der Spaß hat doch gerade erst richtig begonnen.", stöhnte ich. "Mensch, Du hast doch jetzt meine Handynummer. Wir könnten uns jederzeit treffen.", versuchte Alessia mich zu trösten. 

"Ja, ja. Mühlenbach bis München. Weißt Du, wie weit das ist?", ich blickte niedergeschlagen zu Boden. "Wahre Freundschaften bestehen über tausende Kilometer. Stell dir vor, ich würde in Australien wohnen. Und wir wären trotzdem Freunde." Ich nickte. Irgendwie hatte sie auch wieder Recht. 

In diesem Moment fiel mir etwas ein. Eilig durchforstete ich meine Reisetasche, die bis oben hin mit zerknüllten Klamotten vollgestopft war und suchte nach den Armbändern, die mir Jona geschenkt hatte. 

Nach einer Weile, in der mich Alessia ziemlich verwirrt angestarrt hatte, wurde ich endlich fündig. Das war mal wieder typisch für mich. An so etwas dachte ich und meine Bürste hatte ich Zuhause vergessen. 

"Hier", ich zog die beiden Lederbänder vorsichtig aus der Tasche und überreichte Alessia eins davon. Es  bestand aus zwei dunklen Riemen, die mit bunten Perlen und kunstvollen Groschen verziert waren und unterschied sich nur durch die Farben von meinem.

"Freundschaftsarmbänder?", fragte Alessia gerührt und blickte mich beinahe wehmütig an. "Ja. Immer wenn wir an unserem Arm hinunter schauen, und dieses Armband sehen, dann denken wir an den anderen.", ich legte mir mein Armband an und knotete es zu. 

Der Fuchs tat es mir gleich. "Danke für alles. Du bist so ein großes Vorbild für mich. Und sag mir Bescheid, ob die Waschbären gewonnen haben.", flüsterte ich und fiel Alessia in den Arm. Sie lächelte triumphierend, aber man merkte auch ihr die Trauer an. 

"Ich hoffe, ihr findet deine Freundin.", erwiderte sie. Ich traute mich nicht, sie zu korrigieren. Und irgendwo in mir mochte ich Ivy auch immer noch. Nicht so sehr, aber wenigstens ein klitzekleines Bisschen. Es war jetzt an mir, meinen Fehler wieder gut zu machen.

Das Geräusch von Autoreifen, die auf dem Kiesparkplatz zum Stehen kamen, riss mich aus den Gedanken: das Taxi. Ein letztes Mal blickte ich in Alessias sommersprossiges Gesicht. Dann schloss ich den Reißverschluss meiner Tasche, winkte noch einmal zum Abschied und schlurfte dann in Richtung Auto. 

Der asiatisch aussehende Taxifahrer stieg aus und nahm meine Tasche entgegen. "Dankeschön", murmelte ich, während ich auf den Beifahrersitz kletterte. Sofort versank ich in dem weichen Leder, das durch die Sonnenstrahlen schon ziemlich heiß war, und konnte Alessia kaum erkennen. 

Sie stand noch immer auf dem Parkplatz und lächelte mir aufmunternd zu. "So", der Taxifahrer stieg wieder ein und zog seine Türe zu, "dann kann es jetzt losgehen." Ich nickte schwach, winkte meiner Zeltnachbarin zu und richtete dann meinen Blick wieder auf die graue Straße. 

Der Mann startete den Wagen und fuhr langsam los. Vielleicht kam es mir auch nur langsam vor. Die Bäume und deren dunkle Schatten, die sich über die Fernstraße gelegt hatten zogen wie in Zeitlupe an uns vorbei. 

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