--- Follower, oder auch Kapitel XVII

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Freitag, 09.07: Karla

Zischend floss das Wasser aus dem Duschkopf, der über mir in die Decke eingelassen war. Es war lange her, dass ich mich das letzte Mal so sehr auf eine ausgiebige Dusche gefreut hatte. Ich drehte den Regler eilig auf die heißeste Stufe. 

Eigentlich war ich auch nicht so der Typ fürs "heiß Duschen", aber heute war das einfach mal nötig. Nach zwei Minuten Warten musste ich enttäuscht feststellen, dass das Wasser nicht über den lauwarmen Zustand hinaus kam. Verdammt! Ausgerechnet, wenn man es mal brauchte. Na ja, was erwartete ich denn auch? Schließlich war ich hier in einem Feriencamp und nicht in einem 5 Sterne Hotel. Zum Glück. Und leider.

Nachdem ich mir den gröbsten Schmutz und vielleicht auch eins, zwei kleine Sorgen abgewaschen hatte, stellte ich die Dusche wieder ab. Dann tapste ich fröstelnd über die kalten Fliesen. Als ich wieder bei unserem Zelt ankam, hatte Alessia ihre Augen bereits geschlossen und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. 

Ich hatte ihr heute nicht die Wahrheit erzählt, was ziemlich schwer gewesen war. Immer, wenn der Fuchs wieder einmal zu lachen begonnen hatte, musste ich mitlachen, auch wenn mir gerade wirklich nicht zum Lachen zumute war.

Vorsichtig kroch ich in meinen Schlafsack zurück. Doch sobald meine Augen zugefallen waren, dachte ich wieder an Silas Worte: "Du und ich- wir haben den selben Vater." Den selben Vater. Den selben Lügner. Wie konnte man denn unbeschwert leben, wenn man wusste, dass man gerade gleich zwei Frauen gleichzeitig belog und zwei Familien am Ende wieder zerstörte? 

Ein furchtbarer Gedanke. Und irgendwie konnte ich mich noch immer nicht damit abfinden, dass man Vater ein solcher Idiot war. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste mit jemandem darüber reden. Am besten mit Jona. 

Mein Handydisplay zeigte zweiundzwanzig Uhr drei an. Konnte ich meinen Bruder um diese Zeit noch anrufen? Einen Versuch war es wert. Genau so leise wie ich hinein gekrochen war, kroch ich auch wieder aus dem Zelt. Ich schaute noch kurz nach, ob ich Alessia geweckt hatte, doch sie lag noch immer friedlich auf einer Seite und atmete regelmäßig ein und aus. Sie sah tiefen entspannt aus. 

Vor dem Zelt war es durch den Regen an diesem Nachmittag noch immer ziemlich feucht und kühl. Der dunkle Himmel war bewölkt und von den vielen glitzernden Sternen von Vortag war nicht mehr das Geringste zu erkennen. Auch mein Handy war bereits von einer feuchten Schicht überzogen, als ich es in die Hand nahm und Jonas Nummer eintippte. 

Mit einem Mal war ich mir nicht mehr so sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war. Immerhin würde die Nachricht auch für Jona zunächst ein ziemlich großer Schock sein. Bevor ich noch einmal darüber nachdenken konnte, hatte ich schon die grüne Taste gedrückt. Jetzt gab es kein Zurück mehr- vorausgesetzt Jona war überhaupt noch wach. 

Schon nach zwei Mal Tuten konnte ich eine Stimme am anderen Ende der Leitung wahrnehmen: "Jona Schmitt" Im Hintergrund waren viele verschiedene Stimmen zu hören und die von Jona wäre beinahe in der lauten Technomusik untergegangen, die man mehr als deutlich hören konnte. War er etwa auf einem Konzert? 

"Hallo Jona, hier ist Karla.", meldete ich mich. Eine Weile kam keine Antwort, dann wurden Stimmen und die Musik immer leiser, bis sie schließlich beinahe verklungen waren. "So, tut mir leid. Bei dem Lärm versteht man kein Wort. Also, wer ist da?", fragte Jona. 

"Karla", erwiderte ich knapp. "Karla", Jona klang ziemlich erstaunt, "um diese Zeit. Ich meine..." "Es ist gerade mal zehn", fiel ich ihm ins Wort, "wo bist Du gerade?" 

"Studentenparty", lachte mein Bruder. Das hätte ich mir ja denken können. Freitag Abend. Was war denn ein Studentenleben ohne Partys? Offenbar hatten auch die Franzosen Geschmack. 

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