--- Follower, oder auch Kapitel XX

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Sonntag, 11.7: Ivy

Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so über ein Stück halb vertrocknetes Brot mit Butter und Käse gefreut. Hungrig stopfte ich das harte Stückchen in mich hinein und griff gleich zum nächsten. 

Auch Sophie hatte sich inzwischen das fünfte Stück genommen. Kein Wunder. Schließlich hatten wir den ganzen Tag nichts gegessen und mussten uns ein einziges Wasserglas teilen. "Gute Nachrichten Mädels.", flüsterte der vermummte Mann, nachdem wir beinahe den gesamten Brotteller leer gegessen hatten und hektisch eine ganze Flasche Wasser in uns hinein gekippt hatten. 

Sophie und ich blickten erwartungsvoll auf. Ich konnte nicht sagen, wie ich mich fühlte. Zum einen hatte ich Angst vor diesen "guten" Nachrichten, aber ich hatte meine Hoffnung noch immer nicht vollständig verloren. 

Der Typ ging einige Schritte im Raum umher und mit jedem Schritt stieg meine Anspannung an. Dann, endlich lies er sich auf den hölzernen Hocker nieder, der in einer Ecke des Raumes stand. 

"Wenn ihr uns jetzt die Nummern euer Eltern gebt, dann können die euch vielleicht in Kürze frei kaufen." "Frei kaufen", Sophie starrte den Unbekannten entsetzt an, "das machen meine Eltern nie!" 

"Na schön", murmelte der Mann, "du hast die Wahl." "Ich mach es.", erwiderte ich. "Gute Entscheidung.", die Gestalt kramte in der Jackentasche ihres dunklen Kapuzenpullis und zückte einen Notizblock. 

Ich diktierte ihr die Nummer. "Sophie, bitte", flehte ich, "gib ihm die Nummer. Vielleicht kommst du dann frei." Beauty-Sophie  zögerte. 

Aber dann willigte auch sie ein. "Ihr seid weise, Mädels. Wenn eure Eltern ganz brav sind, dann hört ihr noch was von mir.", erklärte er und lachte wieder so grässlich. Anschließend richtete er sich auf und ging zur Tür. 

"Und was ist mit dem Essen?", rief ich ihm hinterher. Ich wollte keinesfalls, dass sich die Situation von gestern wiederholte. Aber der Mann hatte die Tür schon wieder verriegelt. 

"Verdammt.", fluchte ich und stützte meinen Kopf verzweifelt in die Hände, während Sophie leise zu schluchzen begann. "Hey", flüsterte ich, "was ist los?" 

"Ich hab mich mit meinen Eltern zerstritten. Schon seit ich mich mit dem Video- Blog selbstständig gemacht habe. Sie meinen, das wäre kein richtiger Job und so jemanden wie mich", sie schluchzte auf, "wollen sie nicht als Tochter haben." 

"Aber du bist doch erst neunzehn", stellte ich fest, "glaubst du nicht die zahlen, wenn sie von deiner Entführung hören?" "Das glaube ich nicht. Und ich könnte es ihnen nicht mal übel nehmen. Ich hab mir ja schließlich dieses Leben ausgesucht." 

"Das würden meine Eltern niemals zulassen.", murmelte ich. Beauty-Sophie tat mir leid. Sie war eine der erfolgreichsten Bloggerinnen Deutschlands. Und trotzdem hatte sie offenbar mehr Probleme, als man vor der Kamera erahnen konnte. 

"Das tut mir leid, Sophie.", sagte ich. Die Bloggerin wischte sich eilig die Tränen beiseite: "Schon in Ordnung." "Wirklich?", fragte ich ungläubig. "Wirklich", wie zur Bestätigung blickte sie mir in die Augen und drehte sich dann von mir weg. Wir starrten die Mauer an. Jetzt gab es nur noch eins: hoffen, hoffen, hoffen.



Sonntag, 11.7: Karla

"Dieser verflixte Idiot!", ich war immer noch sauer, als ich aus dem Bus stieg und in Ivys Straße einbog. Nichts hatte ich heraus gefunden. Rein gar nichts. Und hatte mich stattdessen noch von diesem arroganten Kerl und seinem mehr als unsympathischen Vater anbrüllen lassen. 

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