100 Follower, oder auch Kapitel III

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Mittwoch, 16.06: Karla

Keine Woche später saß ich auf meinem Bett, blickte hinaus in meinen verwucherten Garten und spielte einige Akkorde auf meiner Gitarre. Seit ich keinen Gitarrenunterricht mehr hatte, spielte ich nur noch selten und wenn, dann einfach nur zum Spaß. 

Manchmal kamen dabei selbst erfundene Songs zustande, die ich mit meinem alten Rekorder aufnahm und mir ab und zu heimlich anhörte. Am liebsten nachts unter meiner Bettdecke. Ich mochte meine eigene Stimme nicht besonders, weshalb ich auch nicht wollte, dass irgendwer meine Songs hörte. 

Ein Mal hatte mein Bruder mich dabei erwischt und wollte mir stundenlang erklären, wie genial das alles sei und dass das unbedingt gefördert werden müsste. Doch eigentlich wusste er, dass seine Schwester nicht viel davon hielt, im Mittelpunkt zu stehen.

Im Gegensatz zu Ivy. Es war jetzt genau fünf Tage her, dass sie ihren Video- Blog gegründet hatte und ich hatte mich immer noch nicht an ihre blondierten Haare gewöhnt, genauso wenig wie der Rest der Klasse. 

Fast jeder, selbst die Jungs, hatten sie gefragt, warum sie das gemacht hatte. Denn bisher zählte Ivy überall als die schüchterne Loserin. Aber Ivy hatte nur gelächelt. Das war ein stolzes Lächeln gewesen. 

Ihre Diät hatte sie inzwischen immerhin an den Nagel gehängt, worüber ich mehr als erleichtert war. Nur die Schminke, hinter der sich Ivy jetzt jeden Tag versteckte, machte mich sauer. Meine Freundin war so ein hübsches Mädchen gewesen, auch ohne Schminke! 

Und jetzt sah sie aus wie jedes zweite Mädchen in der Klasse. So billig, wie eine schlechte Kopie. Und das Ganze für die lächerlichen zehn Follower, die sie auf ihrem Account „Einfach Ivy" bis jetzt gesammelt hatte. 

Dazu musste man sagen, dass es sich bei acht der Follower um sie selbst, mich, ihre jüngere Schwester Marleen und einige Leute aus unserer Klasse handelte. Trotzdem freute ich mich über jeden Follower der dazu kam, denn ich liebte diesen Blick in Ivys Augen, wenn sie über einen neuen Follower sprach.

Chessur, der neben mir lag und seinen haarigen Kopf auf mein Knie gelegt hatte, erinnerte mich wieder daran, weiterzuspielen. Er schien die Musik offensichtlich zu genießen, denn er seufzte und schloss zufrieden seine braunen Knopfaugen. Ich legte meine Finger wieder auf die Saiten, schloss meine eigenen Augen und spielte. Dabei war ich so in mein Spiel vertieft, dass ich kaum bemerkte, dass mein Handy klingelte.

Vorsichtig legte ich die Gitarre auf meinem Bett ab, woraufhin Chessur fürchterlich zu jaulen begann und suchte mein Handy. „Wo ist dieses verfluchte Ding denn schon wieder hin?", suchend blickte ich mich um und entdeckte den kleinen Krachmacher schließlich in meinem Rucksack. 

„Hallo", meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung, „ich bin' s Ivy!" 

„Hi Ivy,was gibt' s?", fragte ich. In Ivys Stimme schwang irgendetwas mit. War es Nervosität, oder Aufregung? 

„Karla, halt dich fest. Ich habe unglaubliche Neuigkeiten!", ertönte es. 

„Da bin ich aber mal gespannt.", erwiderte ich voller Neugier. 

„Während wir in der Schule waren, hat es einen echten Followeransturm gegeben."

„Echt? Wie viele sind es?", hakte ich nach.

„Hundertzweiundzwanzig Stück!", triumphierte Ivy stolz. Hundertzweiundzwanzig? Ich konnte es kaum glauben. 

„So viele?", fragte ich erneut nach. 

„Wenn ich es dir doch sage! Die Kommentarspalten sind voll mit Lob. Karla, ich glaube all meine Arbeit hat sich endlich gelohnt!" 

Auch ihre Freundin war überglücklich. Klar, Ivy hatte sich verändert, aber das gehörte nun mal zum Erwachsenwerden dazu, da hatte sie schon Recht. 

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