--- Follower, oder auch Kapitel XXVII

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Mittwoch, 14.07: Karla

"Dürfte ich denn vielleicht fragen, was ihr beiden hier wollt?", fragte der Taxifahrer. Er war groß, schlaksig und hatte schwarze, leicht verwuschelte Haare, die hin und wieder von ein paar ersten grauen Strähnen durchzogen wurden, die er geschickt mit den restlichen Haaren zu bedecken versuchte. Leider war ihm das nicht ganz gelungen. 

"Ihr seht noch ziemlich jung aus, habt keine Kamera bei euch und für Journalisten seid ihr auch noch nicht alt genug.", stellte er fest und musterte uns noch einmal, so als müsste er erst überprüfen, ob er sich nicht doch geirrt hatte. 

"Äh ja, das ist richtig", stammelte ich und überlegte, was ich sagen sollte, um nicht für verrückt erklärt zu werden. Wir suchen gerade meine entführe Freundin und dachten, sie könnte hier vielleicht irgendwo sein. Nein. Ich musste selbst zugeben, dass das reichlich absurd klang. 

Eigentlich hatte ich auch überhaupt keine Lust, dem Fahrer noch lange zu erklären, was wir hier trieben, nachdem wir durch ihn so viel wertvolle Zeit verloren hatten. Schon zu Beginn der Fahrt war er über die Straßen gekrochen, als gäbe es dort so etwas wie eine Tempo- 10- Regelung, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass ich ihm dafür jetzt fast all mein Geld geben musste. 

Doch als es dann auch noch unterwartet angefangen hatte zu regnen und die Scheibenwischer nicht angesprungen waren, hatte sich das Taxi definitiv in eine Schnecke auf vier Rädern verwandelt. 

"Ich höre?", dieser Mann konnte vielleicht nerven. "Na ja", setzte ich schnell an, "wir machen so eine Art Schnitzeljagd. Geocaching! Ja genau, Geocaching." Innerlich war ich mehr als stolz, so eine gute Ausrede gefunden zu haben. 

"Ach so. Sagt das doch gleich. Dann wünsche ich euch viel Erfolg!", der Fahrer nickte uns noch einmal zu und schloss die Autotüren. Dann setzte er sich selbst in den Wagen und fuhr (nicht halb so langsam wie vorhin) los. Silas und ich schauten noch eine Weile zu, wie das Taxi die kurvige Fernstraße entlang fuhr und sich schließlich immer weiter entfernte. Wir waren alleine. 

Je mehr ich darüber nachdachte, warum wir eigentlich hier waren, desto schlimmer wurden meine Zweifel: wir hatten es mit einem echten Verbrechen zu tun und nach dem, was uns Jo erzählt hatte offensichtlich auch mit nicht allzu harmlosen Verbrechern. Was, wenn wir zu spät waren? Oder wenn sie Ivy an einen ganz anderen Ort gebracht hatten? "Wie viel Uhr ist es?", wollte Silas wissen. Ich fischte nach meinem Handy. "Sechzehn Uhr dreiundfünfzig.", hauchte ich. In meinem Kopf lief ein unsichtbarer Timer ab. Eine Stunde und sieben Minuten. 

Die trostlose Gebäudelandschaft, die sich vor unseren Augen erstreckte machte es nicht viel besser. Unzählige Häuser und Fabriken, allesamt aus rotem Backstein ragten in den Himmel, an dem sich schon wieder bedrohliche Wolken gebildet hatten. Eingeschlagene Fenster, verblichene Buchstaben und Efeuranken prägten das Bild und ließen die vor uns liegenden Gebäude noch bedrohlicher wirken. Manche der Häuser waren sogar ganz eingestürzt, oder halbherzig abgerissen worden. Hier konnte man auch gut einen Horrorfilm drehen. Schnell schob ich den Gedanken beiseite. 

"Ich glaube, wir müssen uns aufteilen.", stellte ich fest. "Das glaube ich auch.", Silas warf einen kritischen Blick in den Wolkenhimmel, bevor er sich wieder mir zuwendete. "Hast du dein Tastenhandy dabei?", fragte ich. "Leider nicht", er durchforstete zur Kontrolle seine Jackentaschen, doch sie waren alle vier, bis auf ein paar Taschentücher und Verpackungen, leer. 

"Dann nützt es nichts. Einer von uns muss rechts lang gehen, der andere links. Und wenn jemand Hofmanns, oder die Hausnummer vierundachtzig bis siebenundachtzig gefunden hat, treffen wir uns wieder hier in der Mitte. Vor dem Turm mit den vielen Efeuranken.", schlug ich vor und deutete mit dem Zeigefinger auf den schmalen Turm, der sich tatsächlich fast genau in der Mitte befand. 

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