Kapitel 26

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Blinzelnd wache ich wieder auf und finde mich erneut in der Metallzelle unter Jace' Haus wieder.

Meine Gefühle sind zwar noch aufgewühlt, aber mein Emotions-Staudamm hat sich wieder erneuert. Er ist höher und stabiler als je zuvor, doch auch das wird nicht mehr reichen, wenn es wieder die Kontrolle übernimmt und diese unfassbare Panik in mir auslöst.

„Bist du wieder zurück oder ist es das andere Du?", bemerkt Derek, der noch immer gegen der Wand lehnt. Er scheint sich wirklich keinen Millimeter bewegt zu haben, doch Jace ist verschwunden und die Sonne fällt auch nicht mehr durch das vergitterte Fenster.

„Was wäre dir denn lieber?", frage ich zurück und fahre kurz über mein Gesicht. Die Metallschlinge um meinen Hals drückt mir fast die Luft ab, aber immerhin sind meine Arme und Beine frei, nicht so wie bei Derek.

„Ich weiß es nicht", antwortet er ehrlich und wuschelt sich kurz durch die Haare. Nun stehen sie ihm seltsam vom Kopf ab, doch es sieht irgendwie süß aus. „Ich habe ein bisschen Angst davor, mit deinem eigentlichen Selbst zu reden, aber ich habe dann doch mehr Angst vor ihr."

Ihr? Seit wann ist mein Alter Ego denn eine Frau?

„Wir sollten ihr einen Namen geben, sonst ist das ziemlich verwirrend", bemerke ich seufzend.

Also, wie nennt man ein mörderisches inneres Selbst? Ich will etwas episches, etwas gefährliches, das allen sofort klarmacht, dass das alles kein Witz ist.

„Wie willst du sie denn nennen?", lacht Derek nun und sieht mich verwirrt an.

Seine schwarzen Augen funkeln belustigt. Das sanfte Schimmern darin bringt mich völlig aus dem Konzept.

„Äh", stottere ich und suche in meinem Kopf nach irgendwelchen Worten, „Ich- Ich hab an Kali gedacht. Du weißt schon, die Göttin der Zerstörung."

Sein eindringlicher Blick sucht mein Gesicht ab und ein leichtes Lächeln legt sich auf seine vollen Lippen. Er sieht gerade einfach so schön aus und ich weiß absolut nicht wieso. Er ist seit mehreren Tagen hier unten eingesperrt, doch er sieht immer noch aus wie ein Model.

Wieso müssen auch immer alle so gut aussehen? Wie soll man da als normaler Mensch nur mithalten?!

„Kali. Gefällt mir irgendwie", bemerkt er.

Ja, mir auch.

„Was machst du hier unten eigentlich den ganzen Tag?", will ich nach ein paar Minuten Stille wissen.

Nur ruhig neben ihm zu sitzen gefällt mir nicht. Umso länger er still ist, desto mehr fühlt sich das Schweigen an wie ein unüberwindbarer Abgrund. Besonders da unsere Zweisamkeit von keinem von uns gewollt ist, fühlt sich die gesamte Situation seltsam an. Er und ich sitzen hier im Keller meines besten Freundes während alle anderen bei der Sommersonnenwende sind.

Oh Mann. Die Sommersonnenwende! Sollte es ihm und mir heute nicht besonders schwerfallen uns voneinander fernzuhalten? Aber irgendwie spüre ich noch nichts. Ich fühle mich nur... leer.

„Ich denke nach", antwortet Derek mir und ich blinzle ihn überrascht an. Was habe ich nochmal gefragt? „Du weißt schon. Über das Rudel, über uns und diesen bescheuerten Kontrollverlust."

Sein Gesicht ist verkniffen und er sieht schnell zu Boden als ich seinen Blick auffange. Schämt er sich etwa?

„Dir wird es morgen wieder gut gehen", sage ich und schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln, das ich nicht fühle und das er sowieso nicht fühlt. Irgendwie will ich, dass er glücklich ist, doch mein Gefühl sagt mir, dass wir beide so schnell keine Ruhe haben werden. „Cathrin sagte, dass du wegen der Sommersonnenwende nicht mehr Herr deiner Sinne bist und deine Verwandlung nicht steuern kannst."

Notorious Mate [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt