„Ach, wen haben wir denn da? Wenn das nicht unser kleines Menschlein ist", Amber lacht ihr glockenhelles Lachen als sie mir etwas zu fest in die Wange kneift.
Ich seufze und lasse es über mich ergehen.
Angst verspüre ich bei ihr schon lange keine mehr, eher Resignation.
Es gibt sowieso nicht viel, das ich tun könnte. Sie ist die Tochter des Alphas, fast so etwas wie unsere Prinzessin und wenn ich auch nur das Gesicht verziehe, wird sie mich bestrafen.
Ihre Freundinnen glücken leise als Amber ihr Gesicht langsam auf meine Höhe bringt, wofür sie sich nach unten beugen muss.
Kurz vor meiner Nasenspitze bleibt sie stehen. „Du bist so ziemlich das Hässlichste, was ich mir vorstellen kann, aber vielleicht hilft da ja ein Haarschnitt!"
Sie lacht und sofort reicht eine ihrer Handlangerinnen Amber eine Schere.
Ich schlucke und ein Schauer fährt mir über den Rücken.
Natürlich habe ich nicht die schönste Frisur, die man sich vorstellen kann, aber ich liebe meine schwarzen Locken. Ich habe sie von meinem Vater geerbt und obwohl er mich und meine Mom im Stich gelassen hat, vermisse ich ihn. Ich vermisse die schönen Stunden, die wir spielend im Garten verbracht haben. Stundenlang haben wir gerangelt und ich habe so getan als sei ich ein gefährlicher Wolf. Lachend hat er sich jedes Mal ergeben und als Preis bekam ich ein Eis.
Langsam kommt sie mit der Schere auf mich zu, doch ich bewege mich nicht.
Sie und ihre Handlangerinnen haben mich umstellt, eine Flucht ist gar nicht erst möglich.
Gallse steigt mir langsam hoch.
Schon immer hat sie es geliebt auf mir rumzuhacken, mich daran zu erinnern wo mein Platz ist. Wo er immer sein wird.
Ich bin ein Fußabtreter.
„Ist das wirklich nötig, Amber? Lass sie doch einfach in Ruhe."
Ein jüngeres Mädchen bahnt sich langsam ihren Weg durch die Armee aus Amberklonen, die Amber ihre Freundinnen nennt.
Als sie vor mir steht erkenne ich in dem Mädchen Ambers jüngere Schwester Alexandra.
Die beiden haben allerdings recht wenig gemeinsam.
Während Amber eine große blonde Amazone ist, ist Alexandra etwa so groß wie ich mit braunen Haaren und einem süßen, eher runden Gesicht, das halb durch eine Brille verdeckt wird.
Auch vom Charakter könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Alexandra hat Mitleid mit mir, doch sie kann mir nicht helfen. Amber dahingegen kennt dieses schwächliche Wort nicht.
„Und wieso sollte ich sie in Ruhe lassen? Ich will ihr doch bloß helfen", sagt Amber unschuldig, doch in ihren Augen liegt ein warnendes rotes Glühen. Sie ist wütend.
Alexandra verdreht die Augen. „Du weißt doch, dass er sie wollte."
Ich schlucke erneut.
Das ist nicht gut. Gar nicht gut.
Pure Angst fließt durch meinen Körper, doch ich kann mich nicht bewegen.
Nicht schon wieder er. Noch einen weiteren Knochenbruch ertrage ich nicht, so viel Schmerz schaffe ich nicht mehr und dann denkt er, ich sei schwach. Er würde es nur noch mehr genießen mir wehzutun.
Er würde mir niemals einen einfachen Haarschnitt verpassen, nein, er würde mich demütigen, mich verarschen und verletzen.
„Geh schon. Du weißt, wo er ist", herrscht Amber mich an.
Ja ich weiß, wo er ist. Ich weiß immer, wo er ist, denn sonst könnte ich ihm ja schlecht aus dem Weg gehen.
Nervös schleiche ich durch die Gänge der Schule und bete zu allen Göttern, dass mich niemand sieht.Als ich also beim Football-Feld ankomme, zittern mir bereits die Knie. Am liebsten würde ich mich einfach wieder umdrehen und verschwinden.
Jede Woche verpasst er mir gut sichtbar ein paar große blaue Flecken, um mich als sein Eigenes zu markieren, wie er behauptet.
Dass ich jetzt also Angst habe, ihn zu treffen, kann mir niemand verübeln.
Tief atme ich durch und nehme das große freie Feld vor mir auf, das von allen Seiten von einer mannshohen Mauer und Tribünen eingefasst ist. Er wartet schon am Field-Goal-Tor auf mich und sieht mir entgegen.
Mutig laufe ich bis zu ihm und bleibe mit gesenktem Kopf stehen.
„Sieh mich an", herrscht er und schnell folge ich seinem Befehl.
Er wäre ein Traum von einem Mann, wenn er nicht so ein Arschloch wäre. Seine hochgewachsene, muskulöse Figur mit den breiten Schultern, das markante Gesicht mit dem leichten Bartschatten und natürlich sein weiches schwarzes Haar.
Kurzum: Er ist perfekt, nun ja zumindest sein Aussehen ist perfekt.
Mal wieder sind seine schwarz eingefärbten Augen auf mich gerichtet. Ich wünschte, ich wüsste welche Emotion sich hinter dieser Farbe verbirgt, doch noch nie hat mich ein anderer Werwolf aus schwarzen Augen angesehen.
Durch diesen intensiven Blick bekomme ich eine Gänsehaut.
Wieso bin ich heute auch nur in die Schule gegangen?
Bisher waren die meisten Werwolfaugen, wenn sie mich sahen, entweder Rot vor Wut und Rage oder sie waren Lila und zeigten mir dadurch ihre Abscheu.
Sein durchdringender Blick lässt mich zittern und als er dann auch noch einen Schritt auf mich zu macht, geben fast meine Beine nach.
Ein Wimmern will aus meiner Kehle entweichen, doch ich schlucke es schnell runter.
Mach es jetzt bloß nicht noch schlimmer als es ist! Bleib ruhig, atme.
Ich nehme gierig ein paar Atemzüge und versuche meine Angst zu verdrängen, doch sie will einfach nicht weichen.
"Wie- wie kann ich dir helfen, Derek?", stammele ich leise und vermeide den Augenkontakt mit ihm.
Sein Kiefer spannt sich an, dann tritt er noch einen Schritt näher.
Nervös mache ich langsam ein paar kleine Schritte rückwärts damit er mir nicht zu nahe kommt.
Unser Katz-und-Maus-Spiel ist nichts Neues, doch es macht mich jedes Mal aufs Neue nervös.
Was wird er mir wohl heute antun? Meine Lippe aufschlagen vielleicht? Mir meine Hand brechen? Oder wirde er heute gnädig sein?
Was rede ich das nur? Er lässt mich nie einfach laufen!
"Wie alt bin ich?", fragt er und ich kann nicht anders als ihn anzustarren.
"I- ich weiß nicht."
Beinahe muss ich lachen so surreal ist die Situation, in der ich mich gerade befinde.
"Ich bin jetzt 18", sagt er und sieht mir bedeutungsvoll in die Augen.
Verwirrt blicke ich ihn an.
Ich verstehe nicht worauf er hinaus will.
Dass ich nicht verstehe, worum es geht, scheint ihn wütend zu machen.
Seine Schritte zu mir werden größer und meine zurück schneller. Ich renne nun beinahe vor ihm davon.
Panik umschließt meinen Magen mit eisernem Griff und verzweifelt blinzle ich mir meine Angsttränen fort.
Wieso muss er mich auch so sehr hassen?
"Wieso weißt du nicht was das bedeutet?", knurrt er und ich schlucke.
"I- ich weiß nicht."
Ich weiß überhaupt nichts.
Genervt atmet er tief ein.
Plötzlich spüre ich den kalten Beton der Wand in meinem Rücken und drücke mich so flach wie möglich dagegen.
Wenn ich mich ganz klein mache und jämmerlich aussehe, lässt er mich ja vielleicht gehen!
Hoffnung kitzelt kurz unangenehm mein Herz, doch dann bleibt er mit festen Schritten keinen halben Meter vor mir stehen.
Geräuschvoll knalle ich mit dem Rücken und dem Kopf an die Mauer, die das Footballfeld umgibt.
Keinen halben Meter von mir entfernt bleibt er stehen.
Nun gibt es kein Entkommen mehr.
"Sobald ein Werwolf 18 ist, kann er seine Gefährtin finden.", erklärt er nun.
"Und... und was hat das mit mir zu tun?"
Mein Gestammelts nervt mich, doch ich habe zu viel Angst um das Zittern meiner Stimme unterdrücken zu können.
Panisch suchen meine Augen das Footballfeld ab, doch ich finde nichts außer Gras.
Ich will doch nur, dass irgendjemand vorbeikommt und dieses Monster von mir wegzieht!
"Die Werwölfe des gesamten Staates waren für meinen Geburtstag hier und sie war nicht dabei."
Eine leise Vorahnung beschleicht mich und ich schlucke hart.
Gefährten leben nie weiter als 100 Kilometer voneinander entfernt.
Als ich damals noch an all diese Märchen geglaubt habe - als ich noch die Chance auf ein normales Leben hatte - da habe ich es geliebt, mir das erste Treffen mit meinem Mate vorzustellen. Er würde wie zufällig aus der Nachbarstadt herkommen und mich finden. Er würde mich beschützen.
Wie naiv ich doch war.
"Ich bin nicht deine-"
"Ich weiß", unterbricht er mich hart, dann sieht er zu Boden.
"Was willst du dann?", frage ich vorsichtig, aber dennoch mit fester Stimme.
"Du bist der einzige Werwolf im gesamten Staat, den ich seit meinem Geburtstag nicht mehr gesehen habe."
"Ja... und?"
Ich bin nicht seine Gefährtin, das weiß ich mit Sicherheit, aber was er von mir will weiß ich noch immer nicht.
"Vergiss es", knurrt er, dann ist er weg.
Er- er hat mich tatsächlich gehen lassen!
Als ich am nächsten Tag in die Schule komme ignorieren mich alle. Eigentlich ist das ganz schön so, da ich nun endlich nicht mehr beleidigt werde, doch auch die Lehrer behandeln mich wie Luft.
Kurz zweifele ich an meinem Verstand als ich nach der Stunde auf meine Mathelehrerin zugehe und sie gar keine Notiz von mir nimmt.
Ist das eine neue Form der Bestrafung? Bin ich es nun nicht mal mehr wert beleidigt zu werden?
Ein scharfer Stich zieht in mein Herz, doch ich verstecke meine Gefühle schnell wieder hinter meiner Mauer aus Resignation.
So ist es einfacher.
Als es dann endlich zur Mittagspause läutet, schlurfe ich zur Cafeteria.
„Ach, Isabel, da bist du ja!", ruft Derek aus. Kurz bevor ich die Schwelle zur Cafeteria überschreite fängt er mich ab und legt einen Arm um meine Schultern, wodurch er mich durch die Schulflure leiten kann.
Er schiebt mich mehr als dass ich selbst gehe und meine Gummisohlen quietschen unangenehm auf dem dunklen Sachbrettmuster des Ganges.
Er klingt viel zu fröhlich dafür, dass er mich sieht.
Ich weiß nicht, was hier gespielt wird, aber es kann einfach nichts Gutes sein.
„Da bin ich ja", wiederhole ich nervös und nestle an einem von meinen Armbändern.
„Weißt du, mir ist aufgefallen, dass wir uns eigentlich gar nicht kennen...", setzt er an und lächelt schief während seine Augen weiterhin schwarz blitzen.
„Was willst du?", rutscht mir härter als beabsichtig raus und schnell beiße ich mir auf die Zunge.
Wieso provoziere ich ihn so?! Ich will doch nur lebend wieder aus dieser Schule raus!
Seine Schultern spannen sich an und sein Lächeln wirkt plötzlich angestrengt.
Oh nein.
„Wir könnten doch heute Abend was zusammen unternehmen", sagt er gepresst.
„Wieso?" Ich bin das Ganze wirklich leid. Mir ist klar, dass er mich nur wieder verletzen will.
Verletzen und demütigen.
So wie damals in der 7. Klasse als er mir zum Valentinstag eine Karte in den Spind gesteckt hat mit dem Namen meines Schwarmes, auf der er behauptete, dass er mich mögen würde und dass ich, wenn ich ihn auch mochte, am Ende des Schultags in die Bücherei kommen solle um ihn zu treffen.
So leichtgläubig wie ich war bin ich natürlich hingegangen, nur um Derek und ein paar seiner Freunde vorzufinden, die mich auslachten.
So etwas wird mir nie wieder passieren.
„Wieso denn nicht?", fragt er zurück und bleibt stehen. Er dreht mich und sich einander zu bevor er weiterspricht: „Das könnte doch lustig werden."
Ich seufze. Und wie das lustig wird – für ihn. Ich werde nur ein paar neue blaue Flecken kassieren.
„Hey, können wir das Ganze nicht einfach vorspulen? Also ich falle darauf rein, treffe mich mit dir und was dann? Kommt dann das Footballteam und bespritzt mich mit Katzenpisse? Machst du ein Video von mir wie ich Loser dachte, dass mich jemand mögen könnte? Schlägst du mich mit Amber zusammen?"
Ein paar Sekunden starrt er mich einfach nur an, bevor er fest seine Lippen zusammenpresst.
„Wieso glaubst du, dass ich sowas tun würde?", fragt er dann und seine Augen werden mittelblau. Das ist das erste Mal seitdem ich mich erinnere, dass seine Augen nicht Schwarz sind, wenn er mich ansieht.
Er ist also tatsächlich traurig darüber, dass ich so von ihm denke.
Aber wieso?
Seine Augenfarbe verrät seine Gefühle und seine Absichten und es tut mir fast leid, ihn so angefahren zu haben.
„Weil du das schon getan hast", murmle ich und beiße auf meine Unterlippe.
„Oh", sagt er, dann ist er still.
Die Glocke ertönt und ich beeile mich in den Unterricht zu kommen.
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Wie findet ihr es bis jetzt? :)
Passende Songs zu diesem Kapitel:
Derek:
Notorious von Adelitas Way
Isabel:
Devil on my Shoulder von Billy Talent
Shotgun von The Outline
Wenn ihr beim Lesen an einen bestimmten Song denken müsst, dann kommentiert ihn und ich schreibe ihn in die Liste :)
Vorgeschlagene Songs:
Fuck was I von Jenny Owen Youngs
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Notorious Mate [Pausiert]
WerewolfIsabel lebt unter Werwölfen. Ihre Eltern sind Werwölfe, ihre Mitschüler sind Werwölfe und die gesamte Stadt besteht aus Werwölfen, aber dennoch ist sie ein Mensch. Jeden Tag wird sie verletzt und beleidigt, da sie eine Schande für die Gestaltwandler...