Kapitel 27

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Wieso muss ich eigentlich laufend in diesem schrecklich tristen Raum aufwachen? Diesmal wird er allerdings nur von krankhaft hellen Neonröhren beleuchtet und ein kurzer Blick zu dem vergitterten Fenster zeigt mir, dass es in der Zwischenzeit Nacht geworden ist. Wie lange war ich bewusstlos?
Das Ritual hat um 22 Uhr angefangen, denn um 22:07 Uhr geht die Sonne unter. Es ist Tradition es im letzten Licht der Sonne durchzuführen. Und mal wieder habe ich es verpasst.
„Wieso guckst du so komisch?"
Überrascht sehe ich kurz zu Derek, doch der liegt nach wie vor auf dem Betonboden. Seine Hände stützen seinen Kopf, seine Augen sind geschlossen. Freut mich, dass er einfach so schlafen kann während ich bewusstlos bin. Allerdings konnte er das schon immer gut. Im Unterricht ist er auch immer weggedöst. Er ist einfach ein müder Mann.
„Wieso bist du hier?", frage ich zurück und wende mich jetzt doch Tess zu. Ihr braunes Haar hat sie in eine Flechtfrisur festgesteckt und diese mit einem Blumenkranz vervollständigt. Dazu trägt sie das hellblaue luftige Kleid, das wir zusammen mit Cathrin gekauft haben. Sie sieht wunderschön aus, aber sie sollte wirklich beim Fest sein.
„Ich wollte dich nicht allein lassen. Du weißt schon, falls er die Kontrolle verliert", antwortet sie sanft und nickt zu Derek hin.
Leise lachend schüttle ich den Kopf. Dauernd wurde mir gesagt, dass unsere Mate-Bindung uns heute zueinander ziehen würde sodass wir schon beinahe miteinander schlafen müssen, doch er liegt einfach dort auf dem Boden und ich spüre gar nichts.
Haben wir uns vielleicht getäuscht? Ich bin erleichtert, dass er sich nicht unkontrolliert verwandelt und versucht mich zu vergewaltigen, aber ich habe auch Angst. Was wenn er sich nach wie vor nicht richtig verwandeln kann und es gar nicht an der Sommersonnenwende gelegen hat? Ich wüsste nicht einmal was wir dagegen tun sollten.
„Ach, der?", antworte ich augenverdrehend, „Ich denke, der steht heute nicht mehr auf. Geh und amüsier' dich."
Ich will wirklich nicht, dass sie wegen mir alles verpasst. Jahrelang hat sie mir vorgeschwärmt wie es ist, wenn man die ganze Nacht lang mit anderen Werwölfen durchtanzt und dabei wie gepusht ist von der Sommersonnenwende. Immer wieder hat Tess betont, wie großartig man sich dabei fühle. Alle tanzen so lange sie können, küssen sich, lieben sich und das alles unter einem Zelt aus Sternen. Es hört sich eher nach einem Hippie-Festival an, doch Tess hat mir immer versichert, dass ein alter Brauch über allem liegt, durch den man sich noch besser fühlt. Alles sei intensiver und schöner. Ich will das auch erleben, zumindest ein einziges Mal.
„Rede doch nicht so einen Schwachsinn", lacht Tess und reißt mich dadurch aus meinen Gedanken, „Ich amüsiere mich auch hier! Und wegen ihm musst du dir schon gar keine Sorgen machen: Der hat so viel Eisenhut intus, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn er überhaupt nochmal die Augen aufmacht."
„Was?!", rufe ich und springe schnell auf die Beine. Irgendwas streift meine Beine, doch ich kann nur weiter fassungslos meine beste Freundin anschauen.
Ich wusste, dass sie Derek unter Kontrolle halten mit Eisenhut, doch ich wusste nicht, dass sie ihn anscheinend vergiften und töten wollten. Wer macht sowas?!
Irritiert blinzelt sie, dann hüpft sie von dem Metalltisch, auf dem sie gesessen hat. „Was ist denn, Süße? Das ist das Beste für ihn, okay?"
„Das Beste?!", sage ich. Meine Knie fangen an zu zittern und heiße Tränen schießen mir langsam in die Augen. Er- nein, das kann nicht sein. Tess ist nicht so herzlos und sie und Jace wissen genau, dass ich ihnen das nie verzeihen würde. Ich-Er- Wir sind immerhin Gefährten! „Sein Tod ist nicht das Beste!"
Meine Fassungslosigkeit hält zum Glück irgendwie meine Gefühle in Schach, aber eigentlich will ich schreien. Sie können ihn doch nicht so einfach töten!
„Was?!", ruft Tess jetzt. Ihre Hände haben sich zu kleinen Fäusten geballt, die sie versucht in ihren Röcken zu verstecken. „Wir haben ihn doch nicht umgebracht! Izzy, beruhige dich erstmal. Er lebt, er ist nur betäubt. Ein bisschen Eisenhut wird ihn kaum töten können!"
Erleichterung strömt durch mein Herz und nun fließen die Tränen doch. Ihm geht's gut, er lebt, alles ist okay. Wieso bin ich auch so bescheuert? Natürlich würden Jace und Tess das nicht tun! Wieso hätten sie es auch tun sollen? Jace wollte sich raushalten und Tess weiß wie weh es tut, wenn man seinen Gefährten verliert. Naja, zumindest weiß sie es in der Theorie.
Ich bin unnormal emotional und das gefällt mir gar nicht. Gerne würde ich ein wenig Distanz zur Situation schaffen, doch ich fühle mich vor allem hilflos und die Ketten verstärken diesen Eindruck noch.
„Er sollte morgen früh wieder aufwachen, also keine Panik", sagt Tess dann noch und schenkt mir ein schiefes Grinsen. Sie streicht sich schnell das Kleid glatt, dann zieht sie wie in Zeitlupe die Augenbrauen hoch. „Du magst ihn."
Vor meinem geistigen Auge schlage ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn. Wirklich? Das nimmt Tess davon mit? Nicht, dass ich meine besten Freunde eines Mordes beschuldigt habe, nein, ihr ist nur wichtig, dass ich mir Sorgen um Derek gemacht habe.
Seufzend schließe ich für ein paar Sekunden die Augen. Das kann doch alles nicht wahr sein! „Vielleicht mag ich ihn ein bisschen", gebe ich zu.
Mit einem Mal hat mich alle Kraft verlassen und ich gehe die paar letzten Meter zum Tisch und schnappe mir einen der ungemütlichen Metallstühle. Jace sollte bei seiner Einrichtung wirklich mehr auf Komfort achten!
„Ein bisschen", kichert Tess sofort und springt vor mir auf und ab wie ein Häschen. Dabei entblößt sie mir ihren altrosanen Slip als ihr Rock etwas zu weit hochrutscht, allerdings kenne ich ihren kompletten Unterwäscheschrank, da wir immer zusammen Wäsche waschen, also ist das nicht weiter schlimm. „Gib's zu: Du bist verknallt!"
Was?! Ich? Verknallt? Also bitte! Ich bin doch nicht verknallt, wie denn auch? Klar, wir hatten ein paar Dates und die waren auch ganz okay und ja, wir haben uns geküsst und dieser Kuss war wirklich... gut, aber ich bin doch nicht verliebt! Jahrelang hat er mich gequält, aber er ist nicht mehr wie damals und ich bin auch nicht mehr das kleine Mädchen, das von jedem gemobbt wurde. Ich bin älter geworden, selbstbewusster und er, er ist anders. Derek hat dazugelernt. Er ist kein anderer Mensch, aber er hat an sich gearbeitet.
„Ich mag ihn", wiederhole ich und halte Tess' auffordernden Blick. Beleidigt zieht sie einen Schmollmund und hört auf zu hüpfen, doch mehr sage ich nicht. Ich bin noch nicht bereit dafür, meine Gefühle laut auszusprechen. Ich bin mir ja nicht mal sicher wie diese Gefühle aussehen!
„Geh schon, Tess", sage ich jetzt und lächle sie an. Sie ist so verrückt. „Ich weiß, dass du die ganze Nacht tanzen willst. Geh schon. Ich komme mit meinem bewusstlosen Gefährten schon zurecht."
Sie will schon wieder etwas sagen, doch ich unterbreche sie mit einer scharfen Geste. Müsste Tess wegen mir ihren liebsten Feiertag verpassen, dann könnte ich mir das nicht verzeihen. Es wäre zwar schöner wenn ich dabei sein könnte, doch dafür sollte ich erstmal Kali aus meinen Gedanken raushalten.
„Viel Spaß", sage ich noch zu Tess, dann schubse ich sie zur Tür.
Sie wirft mir nochmal einen Blick über die Schulter zu, doch ich winke ihr nur und werfe ihr einen Kussmund zu. Lächelnd verdreht sie die Augen, dann schließt sie die Tür hinter sich.
„Du magst mich also."
Mit einem leisen Schrei fahre ich schnell herum.
Was zur Hölle? Wie?
„Erschreck mich doch nicht so!", fahre ich Derek an, der in der Zwischenzeit die Augen geöffnet hat und sich mühsam in eine sitzende Position drückt. Unter normalen Umständen würde ich ihm helfen, doch unsere Fesseln lassen nicht zu, dass wir uns berühren. Wir kommen nur knapp auf etwas unter einen Meter aneinander ran. „Wie kannst du überhaupt irgendwas machen? Du solltest dich nicht so viel bewegen können."
Lachend schüttelt er den Kopf, dann lehnt er sich schwerfällig mit dem Rücken an die Wand. „Ich bin stärker als du glaubst."
Ja, und ich bin schwächer als vermutet. Wir sind wirklich ein tolles Paar. Obwohl wir eigentlich kein Paar sind. Na, vielen Dank auch, Tess. Jetzt bin ich komplett verwirrt.
„Spürst du schon irgendwas? Ich meine, es ist Sommersonnenwende, aber irgendwie spüre ich nichts und Tess meinte, dass-", rede ich drauf los und unterbreche mich dann selbst. Wieso bin ich auch so nervös? Was ist nur los mit mir? Normalerweise rede ich nie so viel oder schnell.
„Du meinst doch eher, ob ich über dich herfallen will, nicht wahr?", bemerkt er und schenkt mir ein schiefes spitzbübisches Grinsen. Hart schlucke ich und nicke wie hypnotisiert. Hat er was gesagt? Ich- ich kann mich nicht konzentrieren, aber er- er sieht anders aus als sonst. Er sieht männlicher aus, kantiger, sexyer.
Meine Hände verkrampfen plötzlich und meine Oberschenkel spannen sich an. Was macht er mit mir? Ich fühle mich einfach nur hilflos und warm. Mein ganzer Körper pulsiert und ich werde das Gefühl nicht los, dass er dafür verantwortlich ist.
Plötzlich zieht sich ein kleiner Muskel in mir an und sofort rausch mir das Blut in die Wangen. Schnell sehe ich zu Boden. Das hat er nicht bemerk. Niemals! Er ist auf der anderen Seite des Raums und sowas sieht man nicht. Nicht einmal ein Werwolf sieht das!
„Verdammt", höre ich ihn leise fluchen, dann klirren die Ketten auch schon.
Zwanghaft starre ich auf die glänzende Tischplatte und hoffe einfach, dass er mir das durchgehen lässt. Seitdem wir alleine sind spüre ich plötzlich die Mate-Bindung und am liebsten würde ich zu ihm gehen. Mein Körper kribbelt und pulsiert. Alles in mir drängt mich zu ihm. Meine Haut brennt und ich weiß genau, dass seine Berührung mir die sanfte Kühle schenken würde, die ich gerade so dringend brauche.
„Sieh mich an", sagt er, doch seine Stimme geht in einem tiefen Knurren unter. Seine Stimme lässt einen kleinen Blitz durch meinen Körper fahren, der gleichzeitig eine Gänsehaut über meinen Rücken schickt. Meine Haut fühlt sich so unfassbar empfindlich an. Der Stoff meiner Kleidung ist zu rau und kratzig.
Ganz langsam hebe ich den Kopf und sehe zu Derek. Er steht auf der anderen Seite des Tisches, die Ketten sind gespannt und seine Augen sind pechschwarz. Zögerlich suche ich sein angespanntes Gesicht ab, aber ich sehe nur das, was ich auch fühle: Verlangen, Wut, Trauer, Angst, Zweifel, Abscheu und eine unglaubliche Euphorie, die alles überdeckt.
Seine Iriden färben sich ganz langsam gelb während sie zur Pupille hin weiterhin tiefschwarz bleiben. So etwas Schönes und gleichzeitig Schreckliches habe ich noch nie gesehen. Er ist so schön, doch er ist auch ein Monster und seine Instinkte kratzen an der Oberfläche.
Wieder klirren seine Ketten und im nächsten Moment bricht ein lautes Knurren aus seiner Kehle. Mein Sichtfeld beschränkt sich nur noch auf ihn. Mein Körper zittert und ich kralle mich schon fast schmerzhaft in den Tisch um mich ihm nicht noch weiter zu nähern.
Mein Herz pocht schmerzhaft in meiner Brust und pumpt mit viel zu viel Druck überheißes Blut durch meine Adern. Macht er das mit mir oder liegt das an der Mate-Bindung? Meine ganze Welt verrutscht während die Farben des blanken Metalls und die von Dereks Gestalt immer intensiver werden bis ich es nicht mehr aushalte. Meine Augen brennen, doch ich kann nicht wegsehen.
Wieder knurrt er und wirft sich gegen die Ketten, die einfach nicht nachgeben wollen. Gleichzeitig habe ich Angst, dass er freikommen und über mich herfallen könnte, aber ich will es irgendwie auch. Mein Unterleib pocht beinahe schmerzhaft bei dem Gedanken an uns beide, doch ich sollte nicht so fühlen. Ich will nicht so fühlen. Tief in meinem Unterbewusstsein weiß ich, dass ich nicht mit ihm schlafen will, doch ich kann mich nicht zurückhalten. Meine Instinkte haben mich übernommen.
Seine breite Brust bewegt sich heftig unter jedem schweren Atemzug, was meine Knie ganz weich macht.
Ich will ihm sagen, dass er sich beruhigen soll, doch kein Ton kommt über meine Lippen. Panik breitet sich langsam in mir aus und krampft meinen Magen zusammen. Wieso kann ich nichts sagen? Wenn er freikommen würde, könnte ich nicht mal schreien! Ich bin ihm vollkommen ausgeliefert.
Plötzlich krümmt sich sein Körper und lautes Krachen ist zu hören. Innerhalb von Sekunden steht wieder dieser riesige Wolf vor mir. Mein kleines Herz pumpt immer heftiger, doch ich kann mich einfach nicht bewegen.
Dereks lautes Knurren lässt meinen ganzen Körper zittern, doch noch nicht mal mein kleiner Finger zuckt. Ich bin wie festgefroren, was meine Panik nur noch beflügelt.
Immer wieder wirft sich Derek gegen die Ketten, doch sie halten und ich kann weder zu ihm, noch kann ich zurückweichen. Meine Angst will dass ich abhaue, doch unsere Verbindung drängt mich zu ihm.
Hätten mir die Ketten nicht sowieso schon die Wahl genommen, dann hätte ich vielleicht den größten Fehler meines Lebens begangen.


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Hey hey, wie euch vielleicht aufgefallen ist, habe ich jetzt endlich rausgefunden, wie man einen Text auf Wattpad formatiert (anscheinend ist es so auf dem Handy Standart, aber als Laptoptipper muss man es nochmals speziell formatieren...).

Jetzt zu meiner Frage: Wollt ihr es lieber in dieser Formatierung oder so wie es bisher auch war?
(Ich würde es dann entsprechend ändern)


Lasst mir auch gerne einen Vote/Kommentar da ;)

Notorious Mate [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt