Notorious Mate [Pausiert]

Kapitel 34

Wie betäubt bekomme ich mit wie Tess mich sanft zum Sofa zieht und in eine Decke wickelt. Mit ruhigen Händen streicht sie mir mein dunkles Haar aus dem Gesicht und trocknet sanft meine Tränen mit einem Taschentuch.

Weder stellt sie Fragen, noch macht sie einen Kommentar zu meinem Aussehen. Sie hat genug gehört, um sich denken zu können, was passiert ist. Ich hoffe einfach, dass sie mich nicht verurteilt.

„Es ist nicht wie du denkst", sage ich mit schwankender Stimme. Die Worte, die aus meinem Mund kommen klingen schwach und zerbrechlich. Mein Hals ist trocken.

„Ich denke nichts", sagt Tess flüsternd. Ihre sanfte Stimme hat eine beruhigende Wirkung auf mich, doch fast wünsche ich mir, dass sie mich anschreit und mich fragt, wie ich es wagen kann, einen anderen Mann als meinen Gefährten zu küssen. Schon Derek hat mich nicht angeschrien und dabei hätte ich es verdient. Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so schlimmes getan.

„Es war nicht geplant oder irgendwas", erzähle ich weiter. „Wir waren betrunken und meine Gefühle haben ganz verrückt gespielt. Ich kann es mir selbst nicht wirklich erklären."

„Es ist alles okay, Isabel. Du musst mir nichts sagen.", erwidert Tess sanft. Ich habe sie enttäuscht und Derek auch. Und mich selbst. Und dann habe ich auch noch meine Freundschaft mit Jace ruiniert!

„Nichts ist okay. Ich habe Jace geküsst", flüstere ich und ein kalter Schauer lässt mich zittern. Ich fühle mich ekelhaft und schmutzig. Als hätte ich mich eine Stunde lang erst im Morast und dann in einer New Yorker Mülltonne gewälzt.

„Ich weiß", sagt Tess und seufzt. „War ja zu erwarten."

„Was?", entfährt es mir und ich wende mich endlich meiner Freundin zu. Ihr Blick ist auf den Sessel ihr gegenüber gerichtet und ihr braunes Haar verdeckt den Rest ihres Gesichts. Ich kann nicht mal die Farbe ihrer Augen sehen.

„Ihr habt seit zwei Jahren miteinander geflirtet. Das verschwindet nicht einfach weil sich plötzlich ein anderer für dich interessiert", erklärt sie und seufzt.

„Nein, bitte nicht", flüstere ich, „Nimm mich nicht in Schutz."

Ich will nicht, dass Tess Ausreden für mein Verhalten sucht. Ich habe das nicht verdient. Dass sie überhaupt noch mit mir redet, verunsichert mich.

„Deine Gefühle sind mit dir durchgegangen. Das passiert den Besten."

Dann sind das wohl nicht die Besten, will ich verbittert sagen, doch ich schlucke die Worte runter.

Langsam stehe ich auf und schlurfe in mein Zimmer. Es ist Samstag also kann ich mich einfach in meinem Zimmer einschließen und mich in den Schlaf heulen.

Erst am Montag komme ich zurück aus dem kleinen Raum. Tess hat mir immer wieder etwas zu Essen und zu trinken gebracht, doch ich konnte es nicht wirklich anrühren. Das ganze Wochenende lang habe ich nur reinen Schmerz gefühlt, doch an diesem Montagmorgen fühle ich mich wie neu geboren.

Mein ganzer Schmerz ist verschwunden, meine Augen sind trocken. Ich muss nicht mehr meinen letzten Augenblick mit Derek erleben, muss nicht mehr sehen wie er mit grauen schmerzvollen Augen aus meiner Tür läuft.

Ich fühle nicht mehr, denke nichts mehr.

Wie in Trance habe ich mich direkt nach dem Aufstehen angezogen und gehe jetzt zur Vorlesung. Ich habe bereits zu viele Stunden verpasst, das kann ich mir nicht mehr erlauben.

Ein paar Minuten zu früh betrete ich den großen Vorlesungsraum und setze mich in die letzte Reihe. Ich hoffe, dass Jace heute nicht auftaucht, doch ich erwarte es auch nicht. Normalerweise geht er mir aus dem Weg, wenn irgendetwas zwischen uns war. Bei jedem Streit oder unangenehmen Begegnung, ist er bisher immer den Vorlesungen fern geblieben und mir ausgewichen. Bis wir uns dann das nächste Mal sehen, haben wir oft schon längst vergessen, worum es bei unserer Auseinandersetzung ging, doch ich denke, dass ich unser derzeitiges Problem eher nicht vergessen kann.