Gute Aussichten

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Nach der ewig langen Felsenebene erreichen wir saftiggrüne Hügel. Millionen Blumen werden summend umschwirrt.
Kristallklare Bäche durchziehen die Hügel wie Adern.
Ich hatte keine Ahnung wie schön es außerhalb vom Feenkessel ist.
Als es zu dämmern beginnt, machen wir endlich halt.

Meine Beine fühlen sich wie Gummi an und ich lasse mich unter eine Eiche plumpsen.
Auch Isla sinkt ins weiche Gras und streckt sich aus.
"Uff, der reinste Marathon", stöhnt sie und ruft damit einen grinsenden Finlay auf den Plan.
"Keine Sorge Süße, morgen erreichen wir das Elfental. Da kannst du dann deinen Muskelkater auskurieren."
Seufzend erwidere ich: "Ich bräuchte schon jetzt ein paar Tage Kur. Wir sind ja gerannt, als wär der Teufel hinter uns her."
"Ist es der kleinen Livy zu anstrengend? Du könntest natürlich auch fliegen, dann musst du deine zerbrechlichen Beine nicht belasten.", Arrans Stimme trieft nur so vor Sarkasmus.
"Es heißt Livia. Und würde ich auch, ", ist meine schnippische Antwort, " aber ich bin einfach zu nett, um dir zu zeigen, was du ohne Flügel verpasst.", und klimpere dabei übertrieben mit den Augen.
Er grummelt nur irgendwas von "fliegende Ziege" und baut dann mit den anderen das Nachtlager auf.
Isla und ich sammeln Feuerholz, wobei ich von oben die Stöcke besser erspähen kann und wir viel schneller sind. Übermütig fliege ich noch ein paar Loopings, damit sich meine Flügel auch ein bisschen austoben können.

"Wenn du jetzt auch noch anfängst zu singen und tanzen, binde ich dich an dem Baum fest.", ruft mir eine säuerliche Stimme von unten zu und ich lande mit Augenverdrehen vor ihm.
Dabei entsteht rein zufällig eine Staubwolke, die ich mit einem kräftigen Flügelschlag noch verstärke.
Hustend setzt er gerade zum Schimpfen an, als uns Isla dazwischen kommt: "Hört auf euch zu zanken und lasst den Kinderkram. Ihr seid beide meine Freunde, also vertragt euch, ich befehle es! Außerdem kann es sein, dass ihr später zusammenarbeiten müsst. Es wäre etwas ungünstig, wenn ihr euch da an die Gurgel geht.", bestimmt sie streng und zieht erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
"Was?! Er könnte auch Ermittler in dem Fall werden?", entsetzt deute ich wie ein Kleinkind auf Arran.
Wieso hat mir das keiner früher gesagt?
Triumphierend grinst der nervige Elf zurück, während Isla wie ein Wackelkopf nickt.
Na, das kann ja heiter werden. Hoffentlich sind noch bessere Exemplare im Auswahlverfahren, sonst sehe ich schwarz.
Entmutigt wende ich mich ab und such mir einen Platz zum schlafen.

Lange finde ich keine Ruhe, obwohl ich so hundemüde bin. Ständig schwirren mir Gedanken im Kopf herum.
Ich drehe mich zum gefühlt hundertsten Mal auf die andere Seite und habe genau Arran gegenüber vom Feuer im Blickfeld.
Wenn er schläft, sieht er viel jünger aus.
Laut Isla ist er vier Jahre älter als ich und hat in der Armee einen Blitzstart hingelegt.
Er ist auch ein Mischling und deshalb eigentlich nur für die unteren Ränge qualifiziert, aber anscheinend ist er so zielstrebig, dass er es höher schaffen könnte.
Vermutlich ist er eine richtige Kampfmaschine und würde die Mission an sich reißen.
Andererseits habe ich auch keinen Plan, wie man die Sache angehen soll. Im Fall der Fälle werden wir uns wohl zusammenraufen müssen.

Wenn er schon mal schläft, kann ich ihn ohne Gefahr mal in Ruhe mustern.
Seine schwarzen Haare reichen bis kurz unterhalb der spitzzulaufenden Ohren. Sie sind wild verstruppelt und eine Strähne hängt ihm zwischen den Augen, was irgendwie niedlich aussieht.
Die gerade Nase fügt sich perfekt in sein Gesicht ein, nur direkt über den Lippen ist eine kleine Narbe zu sehen. Das macht sein Gesicht jedoch nur interessanter. Beim genaueren Hinsehen, finde ich auch an seinem markanten Kinn und seiner Stirn kleine weiße Linien.
Woher er die wohl hat?
Plötzlich schlägt er die Augen auf und fixiert mich, ertapt röten sich meine Wangen. Ich rühre mich nicht und starre in seine goldenen Augen. Wir liefern uns eine Weile ein Blickduell, bis er irgendwann eine Augenbraue hebt und mich herausfordernd ansieht.
Als Antwort streck ich ihm nur die Zunge raus und dreh mich um.

Ich ärgere mich, dass er mich nun doch erwischt hat und kneife kurz fest die Augen zusammen, um diese Peinlichkeit zu verdrängen. Mein Körper krippelt von seinen fragenden Blicken, die sich ganz sicher in meinen Rücken bohren. Ich beschließe, mich schlafend zu stellen und irgenwann nicke ich auch endlich ein.

"Aufstehen Liv!", kräht mir Isla ins Ohr, "In ein paar Stunden haben wir es geschafft und ich kann dir endlich meine Stadt zeigen." 
"Bin gleich fertig", Brummelnd drehe ich mich auf den Rücken, bis ich es schaffe mich aufzuhieven.

Nach einem kurzen Frühstück schlurfe ich den anderen gähnend hinterher.
Zu meinem Leidwesen nehmen wir die rasante Geschwindigkeit von gestern wieder auf. Arran macht sich wahrscheinlich einen Spaß daraus, arme müde Feen zu triezen.
"Unter diesen Moosebenen haben einst Gnome gelebt.", fängt Hamish neben mir leise an zu erzählen.
Ich versuche ihm Aufmerksamkeit zu schenken, da er offensichtlich mit mir redet.
Isla geht zwei Meter hinter mir bei Finlay und die anderen Krieger marschieren stur vor sich hin.

"Sie waren alle sehr habgierig auf die Edelsteine im Untergrund und bekämpften sich so lange bis nur noch einer übrig blieb. Ewin, so hieß der letzte Gnom, starb vor 3 Jahren mit 240 Jahren. Ich war damals bei ihm und nahm seine Geschichte auf.", nachdenklich lässt er seinen Blick über das Moor wandern, an dem wir vorbei ziehen. "Muss damals ziemlich grausam zugegangen sein.", sinniert Hamish. "Das dieses Volk einmal existierte, vergessen immer mehr."
Mir wurde noch nie von Gnomen erzählt. Selbst wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, war nie die Rede von Gnomen.
"Ich wusste gar nicht, dass es einmal fünf Völker waren.", hake ich interessiert nach. "Das glaube ich gerne. Es wird nicht oft darüber gesprochen. Die anderen Völker schämen sich, denn sie hätten das Schlimmste verhindern können. Stattdessen schaute jeder weg und dachte das regelt sich von alleine. Schließlich haben alle vom Edelsteinhandel profitiert. Seitdem sind Edelsteine selten geworden."
Schweigend denke ich darüber nach, während wir auf dem staubigen Weg marschieren.
Als die Sonne schon ziemlich hoch steht, legen wir einen kleinen Stop ein, um uns an einer sprudelnden Quelle zu erfrischen.
"Hamish?", spreche ich ihn an, "Warum hast du mich ausgesucht?"
"Ich glaube an deine Fähigkeiten. Außerdem unterscheidest du dich von den anderen Feen. Du passt nicht ganz zu den gekünstelten Tanzfeen."
War das jetzt ein Kompliment oder ein Vorwurf?
Mir kommt noch eine viel wichtigere Frage in den Sinn.
"Gibt es eigentlich schon eine Spur, welche die Suche nach dem Verursacher erleichtern würde?"
"Tut mir leid, ich weiß auch nicht mehr als du. Du könntest Arran fragen, er hält den Kontakt zum Palast."
Nur über meine Leiche.

"Wie kann er überhaupt Befehle und Infos erhalten, während er unterwegs ist?"
"Nun entweder durch Brieftauben oder Feenpost. Wobei Feenpost nur für die wirklich wichtigen Nachrichten verwendet werden."

Ich strecke mich um einen Blick auf die bepackten Pferde zu erhaschen.
Tatsächlich ist an eines ein Korb mit Tauben gebunden.

"Weiter geht's!" Arran macht einen Wink mit der Hand und unser ganzer Trupp setzt sich wieder in Bewegung.

FeenglückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt