Kapitel 5

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„Siena ist zu jung, um Alpha zu werden. Schon gar nicht in einer solchen Situation."

Romuald, der Beta von Sienas Vater, hatte das Wort ergriffen. Alle wichtigen Persönlichkeiten des Rudels hatten sich auf Sienas Anweisung hin, im Speisesaal versammelt.

„Wer soll es deiner Meinung nach dann sonst werden?", wollte Siena wissen. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt.

„Ich könnte das Amt vorübergehend ausüben und dich darauf vorbereiten", schlug er vor.

„Du?", fauchte Siena.

„Warum nicht?"

Siena wusste, dass Romuald sich schon immer gerne als Alpha des Rudels aufgespielt hätte. Er hatte schon seit jeher keine Gelegenheit ausgelassen, um sich aufzuspielen. Sie hatte das mehrmals mitbekommen und ihren Vater auch einmal darauf angesprochen. Dieser hatte ihrer Ansicht nach zu viel Verständnis. Gegen ihn konnte der Beta sich unmöglich stellen, das wusste sowohl ihr Vater als auch Romuald. Deshalb hielt sich der Beta zurück und nütze nur die Spielräume, die sich ihm in dieser Situation boten. Doch nun war plötzlich alles anders. Nun gab es keinen starken Alpha mehr, den er unmöglich in Frage stellen konnte. Nun hatte er es mit einem gerade mal 18 Jahre alten Mädchen zu tun. Siena war sofort klar, dass er seine Chance wittern würde. Der Beta würde versuchen, sich zum Alpha aufzuschwingen, und gleichzeitig alles unternehmen, um sie kaltzustellen. Sie musste ihn auf jeden Fall ausbremsen.

„Warum du nicht Alpha werden kannst? Fragst du mich das ernsthalt?", knurrte Siena verärgert. „Weil du ein Beta bist. Du hast nicht das Format für einen Alpha und du wirst es auch niemals haben."

Diese Worte saßen und trafen Romuald ausgesprochen hart. Ein Knurren kam tief aus seiner Kehle. Doch Siena ließ sich nicht davon beeindrucken. Sie war nun der Alpha und würde sich diese Position auf keinen Fall streitig machen lassen.

„Du kennst die Gesetze des Rudels?", fragte sie ihren Widersacher.

„Es geht doch nicht um die Gesetze des Rudels, es ist doch nur vorübergehend."

„Wo warst du, als das Tor zu verteidigen war", fuhr ihn Siena an. „Ich habe dich nicht gesehen, solange es gefährlich war."

„Weil du dort warst?", lachte Romuald verächtlich.

„Ich habe gekämpft. In den Straßen des Ortes und am Tor", fauchte Siena vor Wut schnaubend. „Während du dich verkrochen hast, wie ein räudiger Köter."

„In den Straßen des Ortes. Wie willst du das geschafft haben? Es kam doch keiner raus."

„Du nicht, das weiß ich", konterte Siena. „Du hast es nicht einmal versucht. Du hast dich versteckt und hattest die Hosen gestrichen voll."

Sie kannte die Meinung ihres Vaters. Romuald war früher einmal ein guter Beta gewesen. Aber das war inzwischen ewig lange her. Bereits seit Jahren war er faul und eingebildet geworden. Ihr Vater hätte nie im Leben gewollt, dass er an ihrer Stelle das Rudel leiten würde. Er hatte diese Aufgabe ihr übertagen und sie würde sie sich garantiert nicht von einem Möchtegern wegnehmen lassen.

„Siena und ich waren zusammen mit Aruna draußen. Wir haben unzählige Angreifer getötet, die meisten hat Siena erwischt", stellte sich Floyd neben seine Freundin.

„Wie seid ihr denn aus der Burg hinausgekommen. Dass ich nicht lache", konterte Romuald.

„Man muss eben etwas Fantasie haben. Wo ein Wille, da gibt es auch einen Weg", hielt ihm Siena entgegen.

„Die beiden waren tatsächlich vor dem Tor und sie haben ganz allein etwa 35 Angreifer getötet. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen", mischte sich nun auch der Anführer der Wache ein.

„Das kann jeder behaupten", fauchte der Beta.

„Geh hinaus und schau selbst nach", brauste nun auch der Anführer der Wache auf.

„Und wenn schon. Ein Alpha muss nicht nur ein guter Kämpfer sein, er muss auch Führungsqualitäten besitzen. Auch in schwierigen Situationen muss ein Alpha einen klaren Kopf bewahren."

„Ach ja, von wegen, einen klaren Kopf bewahren", konterte der Anführer der Wachen. „Wer hat denn reagiert und klare Anweisungen gegeben, obwohl sie neben ihrem sterbenden Vater kniete? Das war Siena. Sie hat angeordnet den Ort zu durchsuchen und von Angreifern zu säubern. Sie hat eine Trage verlangt und den Auftrag erteilt, den Rudelarzt zu verständigen. Niemand sonst hat etwas unternommen. Wer hat also wie ein Alpha reagiert?"

„Ich verlange, dass abgestimmt wird", beharrte der Beta.

„Du weißt, dass keine Abstimmung vorgesehen ist. Die Nachfolge ist klar", stellte Siena klar.

„Ich habe das Recht, eine Abstimmung zu verlangen."

„Vater, sei bitte still!", mischte sich Floyd wieder ein.

„Du hast mir schon gar nichts zu sagen", fuhr Romuald seinen Sohn an.

„Ich ernenne Siena zur rechtmäßigen Nachfolgerin unseres getöteten Alpha", rief der Anführer der Wache. „Es lebe Alpha Siena!"

„Es lebe Alpha Siena!", rief der ganze Saal.

Nur einer schloss sich dem Chor nicht an. Der Beta knurrte laut. Er war mit dem Verlauf der Beratung überhaupt nicht einverstanden. Er kochte innerlich. Er wusste, dass sein Plan gescheitert war, sich an Sienas Stelle zum Alpha aufzuschwingen. Ihm war klar, dass dies seine einzige Chance war, wenn überhaupt. Wenn er es nicht jetzt schaffen würde, wäre er für immer der Beta. Dann musste eben ein anderer Plan her.

„Ich fordere dich zum Kampf!", rief er Siena zu.

„Mann, Vater, mach dich nicht unglücklich", rief Floyd. „Siena ist eine Alpha, sie trainiert hart und sie kämpft verdammt gut. Du hast gegen sie keine Chance."

„Ich habe das Recht, den Alpha zum Kampf zu fordern. Das ist Rudelrecht!"

„Aber du machst dich und deine ganze Familie unglücklich. Willst du mir das wirklich antun?"

Floyd hatte einen verzweifelten Unterton in seiner Stimme. Er glaubte nicht an seinen Vater und das verletzte diesen nur noch mehr.

„Ich fordere dich zum Kampf! Willst du kneifen?", sagte Romuald in Sienas Richtung. Er war entschlossen. Und wenn es das letzte sein würde, was er tat. Er musste es versuchen.

„Ich kneife ganz bestimmt nicht. Wenn du nicht auf deinen Sohn hören willst, dann soll es halt so sein."

„Gut! Heute Abend am Trainingsplatz!"

„Von mir aus auch gleich", antwortete Siena gelassen. „Du bist dir aber schon im Klaren, dass du nicht weiterhin Beta sein kannst. Ich kann dir nicht mehr trauen."

„Und wer soll es dann werden?"

Er sagte dies mit einem überheblichen Ton, als sei er der Meinung, es gebe niemanden, der dieses Amt besser ausüben könnte als er. Wie konnte es diese Göre nur wagen, nun auch noch seine bisherige Position in Frage zu stellen.

„Ich ernenne Floyd, deinen Sohn, zu meinem Beta."

Jubel brach aus. Das ganze Rudel stand hinter Siena und ließ dies den überheblichen Beta spüren. Allmählich wurde klar, dass er von niemandem geachtet wurde. Niemand stellte sich hinter ihn.

„Wenn du gegen mich verlierst, dann wirst du aus dem Rudel ausgeschlossen", machte Siena weiter.

„Wenn ich verliere?", antwortete er gehässig. „Träum weiter, kleines Mädchen."

Kampf um ArlagonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt