Kapitel 19

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Die kleine Gruppe erreichte nach einem weiteren Tag die Außengrenze ihres Gebietes. Siena wies die Wachleute, auf die sie stießen, an, besonders wachsam zu sein. Sie erklärte ihnen, dass die Möglichkeit bestehe, dass ihnen feindlich gesinnte Werwölfe folgen könnten. Mit den Kindern und deren Eltern waren sie etwas langsamer vorangekommen. Deshalb war Siena ein wenig beunruhigt. Dass sie nun aber auf ihrem eigenen Territorium waren, beruhigte sie. Trotzdem trieb sie den kleinen Trupp weiterhin an. Sie mussten in die Burg gelangen, um sich endlich auszuruhen. Besonders für die Kinder war es eine nicht zu unterschätzende Strapaze gewesen.

Als Siena und ihre Begleiter endlich die Burg erreichten und durch das Tor ritten, liefen alle Bewohner zusammen. Im Hof wurden sie umringt. Die Menschen, die mit Siena waren, wurden zunehmend unruhiger.

„Die tun uns wirklich nichts?", erkundigte sich der Vater. Er blickte unsicher drein.

Greta, deren Pferd sich neben jenes von Siena gestellt hatte, schaute ängstlich zu ihr hinüber. Sie streckte die kleinen Arme hilfesuchend aus und Siena hob sie zu sich aufs Pferd. Das hatte sie schon während des Rittes einmal getan, als Greta dem Einschlafen nahe war. Sie hatte sie dann die längste Zeit schlafend im Arm gehalten. Das kleine Mädchen fühlte sich bei ihr sichtlich wohl und sicher.

„Was hältst du von einem schönen warmen Bad?", wollte Siena wissen.

„Ein Bad?", fragte das Kind. „Was ist das?"

„Wenn man sich ins warme Wasser legt. Da wird man richtig sauber, wärmt die müden Knochen und tut unglaublich gut."

„Wir waschen uns immer am Fluss?"

„Auch im Winter?", wollte Siena wissen.

„Nein, im Winter nicht."

„Da bleibt ihr schmutzig?"

„Ich will doch nicht erfrieren", empörte sich Greta.

„Na, dann komm, ich zeige dir, was ein warmes Bad ist. Ich brauche auch eins."

Sie schwang sich gekonnt vom Pferd und behielt das Mädchen dabei im Arm. Der Tochter des Alpha, die alle immer nur für eine verwöhnte Göre gehalten hatten, nötigte allen Respekt ab. Sie war immer noch halbwegs frisch, während man den Wachleuten den langen und angestrengten Ritt deutlich ansah. Siena blickte sich um und entdeckte Floyd, der in der Menge auf sie zukam.

„Ihr seid schon wieder da?"

„Schon ist gut. Wir mussten türmen."

„Wie türmen?"

„Hinter dem Angriff steckt mein Onkel. Er will alle vier Rudel unter seine Macht bringen und sich dann zum Herrscher der Welt aufschwingen. Er hat mich gefangen genommen und wäre mir Gerudin nicht zu Hilfe gekommen, säße ich vermutlich immer noch im Kerker."

„Im Kerker?", erkundigte sich Floyd ungläubig.

„Ich habe durch Zufall entdeckt, dass mein Onkel und einer seiner Ärzte die Werwölfe mit dem Virus infizieren. Auf der Flucht haben wir auch diese Menschen aus den Klauen dieser Barbaren befreit. Besorge Ihnen ein Zimmer, wo sie sich frisch machen und schlafen können. Greta kommt mit mir. Wir treffen uns dann alle im Speisesaal. Danach sehen wir weiter.

Lass auch für Gerudin und seiner Schwester je ein Zimmer im Trakt des Alpha vorbereiten. Sie sind die Kinder des Beta und musste natürlich mitkommen. Wenn die herausbekommen, dass Gerudin mir bei der Flucht geholfen hat, sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher. Deshalb konnten sie unmöglich zurückbleiben. Gerudin wird, wie auch seine Schwester, Mitglied unseres Rudels. Er ist mein Mate."

„Dein was?"

„Mein Mate, du hast schon richtig verstanden."

Inzwischen war Gerudin abgesessen und zu Siena gekommen. Diese stellte die beiden Männer einander vor.

„Siena!", rief plötzlich eine Kinderstimme aus der Menge. „Siena, wo bist du?"

„Rubina!", rief auch Siena. „Hier bin ich."

Sie hatte ihre kleine Freundin noch nicht in der Menge ausmachen können, aber ihre Stimme sofort erkannt. Es dauerte aber nicht lange, bis die Masse sich teilte und ein strahlendes Mädchen hervortrat.

„Mann, bist du hübsch!", lobte Siena. „Du hast echt schicke Kleider."

„Die hat mir Tante Aruna gekauft", antwortete sie stolz. „Und wer ist das?"

Sie schaute dabei auf Greta, die Siena immer noch an der kleinen Hand hielt. Das Kind drückte sich an Sienas Bein und hielt sich mit der freien Hand daran fest. Sie beäugte Rubina misstrauisch. Da die beiden Mädchen zu ihren Füßen standen, ging nun auch Siena in die Hocke, um mit ihnen auf Augenhöhe zu sein.

„Darf ich vorstellen", meinte Siena vergnügt. „Das ist Greta, ein Menschenkind, und das ist Rubina, ein kleines Werwolfmädchen, das nun bei mir wohnt."

„Hallo!", sagten beide schüchtern.

„Greta ist mit ihren Eltern da und ich habe ihr ein warmes Bad versprochen. Hilfst du ihr dabei?"

Rubina sah Greta kurz an, nahm ihre Hand und hielt sie fest. Dann schaute sie Siena an und nickte.

„Komm Greta, das Zimmer der Alpha ist super."

„Was ist ein Alpha?"

„Das ist der Chef hier", grinste Rubina.

Sie warf Siena einen entschuldigenden Blick zu und marschierte los. Plappernd führte sie ihren kleinen Gast in die Burg. Greta hingegen schien ein wenig überfordert zu sein. Einmal blickte sie sich unsicher zu Siena um, die ihr jedoch beruhigend zunickte. Damit war das Eis offenbar definitiv gebrochen. Die beiden Mädchen hatten sich angefreundet.

Nun stand Siena auf und wandte sich Gerudin zu. Auch er schien ein wenig überfordert zu sein.

„Du bist die Alpha hier?"

„Ja, das habe ich dir doch gesagt."

„Aber niemand kniet sich vor dir nieder."

„Das will ich nicht."

„Du willst das nicht? Warum?"

„Komm erstmal mit, ich zeige dir dein Zimmer, dann kannst du dich frisch machen. Anschließend möchte ich etwas essen. Ich habe Hunger."

„Den habe ich auch."

Siena sah noch, wie Floyd die Menschen in die Burg führte, nickte Vera zu, ihr zu folgen und ging in Richtung ihrer Gemächer. Sie schlenderte und hatte es offenbar nicht eilig. Sie wollte den Moment, in dem sie sich von ihrem Mate verabschieden musste, hinauszögern.

„Ich will kein Alpha vom alten Schlag sein. Ich empfinde dieses Amt als Verantwortung und nicht als Privileg. Ich bin nicht besser als die anderen, ich habe nur eine Aufgabe. Diese ist sehr wichtig, das gebe ich gerne zu, aber es ist nur eine Aufgabe. Deshalb brauche ich keinen Kniefall und keine Unterwerfungen. Ich verlange von meinen Leuten nur Loyalität. Denn nur so funktioniert, nach meinem Weltbild, das Zusammenleben."

„Das wäre bei uns undenkbar", warf Gerudin ein.

„Aber ich finde das echt cool", mischte sich auch Vera schüchtern ein.

„Hast du die Leute bei Euch angeschaut? Ich habe nicht ein Lachen gesehen, nicht einmal den Hauch von Frohsinn gespürt. Hast du im Gegensatz dazu die Leute vorhin im Hof beobachtet? Sie waren froh, dass ich wieder da bin und sie haben alle gelacht."

Gerudin blickte nachdenklich drein. Er musterte Siena mit einem verstohlenen Blick. Darin lagen Anerkennung und Achtung.

„Du und dein Onkel seid grundverschieden."

„Das möchte ich auch hoffen. Ich möchte nie so sein, wie er."

Sie waren inzwischen bei ihren Zimmern angekommen. Wie Siena feststellen konnte, hatte man für Gerudin das Zimmer neben ihren Räumen hergerichtet. Vera hingegen hatte das Zimmer gegenüber bekommen. Siena verabschiedeten sich von den beiden, blickte Gerudin aber noch nach, wie er in seinem Zimmer verschwand.

Kampf um ArlagonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt