Kapitel 8

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Alle wichtigen Leute des Rudels waren im Speisesaal der Burg versammelt. In der Mitte stand ein großer Tisch, an dem Siena, Aruna, Floyd, der Rudelarzt, der Anführer der Wache und noch einige andere saßen. Man hatte einen eigenen Stuhl neben Siena gestellt, auf dem Rubina saß und sich mit sichtlichem Genuss den Mund vollstopfte.

„Iss nicht so schnell, es ist doch genug da", mahnte Siena. Sie musste grinsen, wie begeistert ihr kleiner Schützling zulangen konnte.

„Dasch schmeckt herrlisch", antwortete Rubina mit vollem Mund. „Gibsch ausch Naschspeische?"

„Nachspeise gibt es auch. Schokoladekuchen, Pudding und noch einiges mehr", versicherte Aruna.

„Bleibst du einen Moment bei Tante Aruna? Ich muss nur mit ein paar Leuten reden", sagte Siena zu Rubina.

Diese riss sofort ängstlich die Augen auf und hörte auf zu kauen. Ihr war die Unsicherheit deutlich anzusehen.

„Wo gehst du hin?", fragte sie besorgt.

„Ich bleibe hier im Raum. Keine Sorge. Wenn du mich brauchst, rufst du einfach nach mir."

„Okay!", sagte die Kleine.

Beruhigt setzte sie die Mahlzeit fort. Siena dagegen ging zum Anführer der Wache und zum Rudelarzt, die zufällig nebeneinander am Tisch saßen. Sie ging zwischen den beiden Stühlen lässig in die Hocke.

„Aber Alpha!", meinte Nefta, der Anführer der Wache.

Man sah ihm an, dass er sich unwohl fühlte. Er blickte ganz verlegen in die Runde. Siena allerdings konnte sich sein Verhalten nicht erklären. Nun blickte auch sie verwirrt drein.

„Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht?"

„Aber Alpha, das ist doch unter Eurer Würde."

„Was?"

„Dass Ihr zu uns kommt und dann auch noch in die Hocke geht."

„Was ist daran falsch?"

„Naja, falsch nicht gerade. Aber Ihr seid die Alpha."

„Ja und?"

„Wir sollten zu Euch kommen und nicht umgekehrt. Außerdem sollte die Alpha immer höher sein, schließlich ist sie auch in einer erhabenen Stellung."

„Ich hätte Euch rufen lassen sollen? Ist das Euer Ernst?"

„Na-natürlich!", stotterte Nefta.

„Leute, macht Euch doch locker. Wir sollten gut zusammenarbeiten und da ist es für mich wichtig, dass wir auf Augenhöhe sind. Jeder gibt in seiner Position sein Bestes. Das braucht das Rudel und das möchte ich."

Inzwischen blickte der ganze Saal zu den drei. Es war wieder einmal absolut still im Saal. Siena kam es vor, als hätte sie einen Tabubruch begangen.

„Hast du etwas falsch gemacht?", hörte man plötzlich die Stimme von Rubina.

Siena erhob sich. Sie schaute zu ihrem Schützling und lächelte ihr zu.

„Ich hoffe nicht", sagte sie. Dabei war das Gesagte an alle Anwesenden im Saal gerichtet. „Ich möchte nicht die Unnahbare sein. Ich bin eine von Euch und wir sollten zusammenarbeiten. Förmlichkeiten sind da fehl am Platz. Wir sollten offen und ehrlich miteinander umgehen und das im gegenseitigen Respekt. Alle die hier im Saal sind haben meinem Vater treu gedient und ich hoffe, Ihr seid auch auf meiner Seite. Ich will nicht, dass ihr Euch weniger wichtig fühlt als ich. Es ist doch genau umgekehrt. Ich habe noch viel von Euch zu lernen und bin Euch dankbar, wenn ihr mir helft."

Im ganzen Saal war kein Laut zu hören. Siena blickte unsicher in die Runde. Sie wusste nicht, wie das Gesagte ankommen würde. Aber es war das, was sie dachte und es kam von Herzen.

„Ich helfe dir", sagte Rubina laut. „Zumindest dort, wo ich kann."

„Ich auch", riefen daraufhin alle andere Anwesenden wie auf Kommando.

Siena war gerührt. Sie erhob ein Glas, das vor ihr auf dem Tisch stand und hob es in die Höhe.

„Lasst uns gut zusammenarbeiten. Es geht nicht um uns, es geht um alle!"

Jubel brach aus und selbst die Bedienungen applaudierten. Siena hatte wieder einmal die Herzen aller im Sturm erobert.

Als es endlich wieder ruhiger wurde, ging sie erneut zwischen Nefta und dem Doc in die Hocke.

„Gut, nachdem wir das geklärt haben, hätte ich eine Bitte. Lass die Leichen der Angreifer einsammeln und verbrennen. Einige bringst du zum Arzt. Er soll sich die Toten anschauen. Sie hatten, als sie noch lebten, Schaum vor dem Mund und so komisch rötlich leuchtende Augen. Ich glaube, die hatten eine Krankheit oder waren auf Drogen. Wir müssen herausfinden was es ist."

„Wie Ihr befehlt!", antwortete Nefta.

„Wie du befiehlst. Sag du zu mir und widersprich mir, wenn du anderer Meinung bist. Ich will wissen, was Ihr denkt. Ich werde nicht kneifen und, wenn es soweit ist, eine Entscheidung treffen. Aber bevor ich die Entscheidung treffe, will ich wissen, was jeder einzelne von Euch denkt. Nur so kann ich alle Überlegungen abwägen und habe eine bessere Basis zum Entscheiden."

„Ich soll Euch widersprechen?"

„Du sollst mir sagen, was du denkst. Ich verlange nicht, dass alle meiner Meinung sind und wir sollten unsere Überlegungen miteinander teilen. Wenn ich die Entscheidung getroffen habe, dann wäre es Widerspruch. Vorher ist es ein Meinungsaustausch", erklärte sie ihm. „Und sag endlich du!"

„Wie du willst", gab er nach.

„Ich bräuchte drei bis vier Tote", meldete sich nun der Rudelarzt. „Wenn die solche Symptome hatten, muss ich sie genau untersuchen. Gut, dass Siena an vorderster Front mitgekämpft hat. Sonst würden wir es nicht wissen."

„Dürfen wir uns entfernen?", erkundigte sich Nefta.

„Du brauchst nicht fragen", antwortete Siena und verdrehte die Augen. „Wir sind hier nicht in der Schule."

Während Nefta und der Arzt aufstanden, um sich an die Arbeit zu machen, erhob sich Siena und blickte in die Runde. Alle blickten sie bewundernd an. Das war ihr peinlich und sie ging zurück auf ihren Platz, wo Rubina den Löffel weglegte.


„Puh, jetzt bin ich aber satt!"

„Hat's geschmeckt?"

„Das war echt lecker", antwortete sie begeistert. Dann wurde sie traurig. „Bei meiner Oma gab es nie so köstliche Sachen und auch nicht so viel."

„So köstliche Sachen und so viel gibt es hier auch nicht immer. Heute feiern wir", erklärte Siena.

„Das verstehe ich", sagte die Kleine. „Aber mir fehlt meine Oma."

Siena nahm sie in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. Das arme Mädchen hatte schon keine Eltern mehr und nun war ihr auch noch die einzige Person genommen worden, die ihr geblieben war. Wie grausam konnte das Schicksal nur sein.

„Ich bin nicht deine Oma und ich kann sie dir auch nicht wiedergeben. Aber ich kann für dich da sein. Das verspreche ich dir!"

Rubina schlang sie Arme um ihren Hals und legte ihren Kopf in ihre Halsbeuge.

„Ich lasse dir ein Zimmer neben meinem vorbereiten", sagte Siena.

„Darf ich nicht bei dir wohnen?"

„Bei mir?"

„Ja, die Hütte von Oma war klein und wir haben zusammen in einem Zimmer geschlafen. Ist dein Haus so groß, dass du mehrere Zimmer hast?"

Alle mussten schmunzeln. Die Kleine war auch wirklich zu süß. Siena wuschelte ihr durchs Haar.

„Dann wohnst du in meinem Zimmer. Auch wenn meine Hütte etwas größer ist, als die deiner Oma, so kannst du trotzdem gerne bei mir schlafen."

„Au ja!", frohlockte die kleine Rubina.

Kampf um ArlagonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt