Kapitel 34

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Erneut standen sie in einem Innenhof. In ihrer Wolfsgestalt hatten sie die Strecke in einem Tag zurückgelegt. Im Wald vor den Toren der Burg hatten sie sich zurückverwandelt und Siena hatte sich bei den Wachen am Eingang als Alpha von Arlagon zu erkennen gegeben. Darauf hatte man sie hereingebeten und nach dem Alpha geschickt.

„Zumindest der Empfang ist freundlicher", meinte Siena zu ihren Begleitern.

„Kennst du ihren Alpha?", wollte Gerudin wissen.

„Nein, ich kenne noch nicht einmal seinen Namen. Mein Vater hat ihn immer den alten Grießgram genannt."

„Der Grießgram ist nicht mehr im Amt. Ich bin nun der neue Alpha", sagte ein Mann Ende Zwanzig, der auf Siena zukam. „Mein Name ist Terus."

„Entschuldigt, Alpha Terus. Ich wollte ganz bestimmt nicht respektlos sein."

„Dein Vater hatte durchaus Recht, wenn er meinen alten Herrn als Grießgram bezeichnet hat."

Terus war Siena auf Anhieb sympathisch. Er wirkte salopp, gar nicht eingebildet, wie andere Alphas. Er war sogar ausgesprochen lässig. Was ihr sofort auffiel, er war auffallend modisch gekleidet.

„Du bist also das Wunderkind", meinte er.

„Das Wunderkind? Wir kommst du auf so einen Gedanken."

„Dein Ruf eilt dir voraus."

„Und der wäre?"

„Dass du eine unglaublich gute Alpha bist. Du kümmerst dich um alle und bist nicht eitel oder eingebildet. Gleichzeitig musst du eine Kampfmaschine sein."

„Aber hallo, woher hast du diese Informationen?"

„Kürzlich war ein Kaufmann hier, der zuvor in Arlagon gewesen sein muss. Wie du die infizierten Wölfe bekämpft hast muss eine echte Heldentat gewesen sein. Außerdem ist gestern Abend ein Berater von Bernin hier durchgekommen. Er hat echte Schauermärchen über dich erzählt."

„Und, was hat er erzählt?"

„Nur Blödsinn. Jeder der Bernin kannte, konnte sich einen Reim darauf machen, dass er dich heillos unterschätzt hat. Dachte wohl, er würde nur ein schwaches Mädchen zum Kampf herausfordern. Ist schon echt fies von dir, dass du ihm nicht gesagt hast, dass du ein gewaltiger, weißer Wolf bist, ein richtiges Monster."

„Ein Monster?", erkundigte sich Siena geschockt.

Terus grinste breit und zeigte sich gespielt bestürzt von so viel Hinterhältigkeit. Dabei aber zog er Siena an sich und umarmte sie herzlich.

„Was führt dich zu mir?", sagte er dann.

„Ich würde mich gerne mit dir und wenn du willst auch mit deinen wichtigsten Männern im Rudel unterhalten", sagte Siena.

Terus bat sie also in einen gemütlichen Speisesaal. Dieser war kein Saal, der den Eindruck machte, aus dem Mittelalter zu stammen, sondern war ein modernes und schick eingerichtetes Esszimmer. Es war zwar deutlich größer als in einem normalen Haus, aber es war gemütlich.

Siena gab auch Terus und seinen Leuten einen Überblick über die Situation. Alle hörten aufmerksam zu und vor allem Terus gab ihr das Gefühl, sie ernst zu nehmen. Als sie mit ihrem Bericht geendet hatte, herrschte einen Moment absolute Ruhe.

„Du hast ein Friedensabkommen mit den Menschen ausgehandelt?", wollte Terus wissen.

„Ja, das habe ich."

„Du hast Mut?"

„Warum Mut?"

„Kein anderer Werwolf hätte es gewagt, zu den Menschen zu gehen."

„Da war Bernin ... „, sie hielt inne. „Nein, Bernin war nicht schlimmer, der war nur peinlich."

Beide kicherten sie. Doch dann wurde Terus wieder ernst.

„Ich finde es toll, dass du das Abkommen mit den Menschen ausgehandelt hast. Damit haben wir nur noch ein Problem. Deinen Onkel!"

„Und der ist unberechenbar in seinem Wahn."

„Er ist aber auch der letzte Alpha vom alten Schlag. Wir müssen uns vernetzen und ständig in Kontakt bleiben. Dann haben wir eine Chance."

„Wir sind technologisch in der Steinzeit und Wersilia sicher auch."

„Aber die moderne Kommunikationstechnik ist das, was uns neben unserer Stärke helfen wird, deinen Onkel zu besiegen. Wissen und Information sind Macht."

„Da hast du sicher Recht. Könntest du unsere drei Rudel so schnell wie möglich vernetzen lassen? Wenn du Hilfe brauchst, lass es mich wissen."

„So machen wir es. Und morgen brechen wir auf zu den Menschen und unterzeichnen den Friedensvertrag."

Im selben Augenblick betrat eine Frau, die Siena auf Mitte Zwanzig schätzte, den Raum. Sie steuerte schüchtern auf Terus zu und legte die Arme liebevoll um seinen Hals.

„Darf ich dir meine Luna vorstellen?", meinte Terus. „Siena, das ist Nui, Nui, das ist Siena, Alpha von Arlagon und Wersilia."

„Alpha Siena, freut mich dich kennenzulernen."

Nui huschte um den Tisch herum und reichte Siena die Hand. Diese stand auf und nahm die Frau in den Arm.

„Freut mich auch. Würdest du mir eventuell die Gegend zeigen. Leider weiß ich über Oristin nicht viel. Mein Vater und der alte Grießgram – ich kenne zu meiner Schande nicht einmal seinen richtigen Namen – hatten nie ein gutes Verhältnis."

„Natürlich, liebend gerne", antwortete Nui und lachte hellauf. „Alter Grießgram passt perfekt."

„Dürfte ich mich kurz frischmachen?"

„Aber ja doch, ich zeige dir das Gästezimmer."

Siena und Nui hatten sich im Nu angefreundet. Siena beeilte sich und Nui führte sie anschließend durch den Ort.

„Terus war ganz aus dem Häuschen, als er gehört hat, dass du die neue Alpha von Arlagon und eher locker drauf bist."

„Das entspricht auch seiner Art. Das ist mir auch sofort aufgefallen."

„Er hatte es mit seinem Vater nicht immer leicht."

„Das kann ich mir vorstellen. Auch mein alter Herr war nicht immer einfach. Er hat mich praktisch in der Burg eingesperrt. Vom Leben draußen hätte ich, wenn es nach ihm gegangen wäre, nichts mitbekommen. Er hat immer gemeint, ich hätte dazu noch genug Zeit."

„Und dann ging alles schnell", mutmaßt Nui.

„Er fiel im Kampf. An meinem 18.Geburtstag."

„Oh! Das tut mir leid."

„Kann man nichts machen. Man kann nicht alles vorherbestimmen."

„Aber deinem Onkel willst du die Stirn bieten."

„Ganz sicher sogar. Ich könnte es nie verantworten, wenn ein Psychopath die Welt regieren würde und ich hätte es verhindern können."

„Da hast du in Terus einen treuen Verbündeten. Es gibt dabei nur ein Problem."

„Das wäre?"

Siena machte sich schlagartig Sorgen. Sie brauchte Terus als Verbündeten. Er hatte ihr doch versichert, sie zu unterstützen und an ihrer Seite zu kämpfen.

„Terus ist nicht der geborene Alpha", begann Nui sehr zögerlich. „Ich meine, er ist der Alpha. Aber das entspricht nicht seinem Charakter. Er ist nicht der Anführer. Das musst du übernehmen."

„Du meinst, er ist ein treuer Verbündeter, aber den Kampf anführen muss ich."

„Genau! Auch wenn es mir schwerfällt, dies über meinen Mann zu sagen. Trotzdem glaube ich, solltest du es gerade in der jetzigen Situation wissen."

Siena nahm Nui in den Arm. Sie konnte sich vorstellen, wie schwer es ihr gefallen sein muss, die Schwachstelle ihres Mannes anzusprechen.

„Danke für dein Vertrauen. Du kannst dir sicher sein, dass ich dieses Wissen nicht ausnutzen werde."

„Das weiß ich. Deshalb habe ich es dir auch erzählt. Bei dir ist mein Geheimnis in guten Händen."

Kampf um ArlagonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt