Kapitel 6

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Kalte Luft schleicht sich unter meine Kleidung. Langsam fange ich an zu frösteln. Ich warte. Eine halbe Stunde, noch eine. Obwohl mir klar ist, dass er nicht kommen wird, warte ich weiter. Frierend stehe ich in der Kälte der Dunkelheit. Ein Penner sucht sich neben mir einen Schlafplatz, wodurch ich ein Stück weit weggehe. Er hat sein Handy ausgeschaltet. Nichts erreicht ihn. Auch nicht mein stiller Wunsch, dass er jetzt vor mir steht. Dass er mich in seine Arme nimmt. Dass er mich innig küsst. Verzweifelt sinke ich zu Boden. Ich öffne meinen Mund, um zu schreien, doch alles bleibt still. Ich versuche zu schreien, bis ich ersticke.

Kerzengerade sitze ich schweißgebadet in meinem Bett. Zitternd stehe ich auf. In der Küche bereite ich mir einen Kaffee zu, während ich versuche nicht an meinen Albtraum zu denken. Schon seit einiger Zeit habe ich nicht mehr daran gedacht. In mir kommt der Wunsch hoch ihm eine zu verpassen. Er hätte es verdient.

"Gut geschlafen? Lisa, Melina und Pier haben gefragt, ob wir wieder Lust hätten mit ihnen loszuziehen." Gähnend schenkt sich Til auch etwas vom Kaffee ein. Vernünftiger Weise sollte ich verneinen, entscheide mich aber dagegen. "Gerne." Mit einem gestellten Lächeln verlasse ich die Küche wieder. "Seit wann so begeistert dabei?"

Sie reden, sie lachen, sie tratschen. Keiner hört dem Professor wirklich zu. Mich eingeschlossen. Anderthalb Stunden sitze ich nur da und starre an die Wand. Ich denke an nichts, ich nehme nichts auf. Ich sitze einfach nur da und starre vor mich hin. Ich warte auf das Ende des Seminars, so wie ich auf ihn gewartet habe.

"Hey, Lion." Sebastian begrüßt mich fröhlich. Den hatte ich völlig vergessen. Hey. Müde trotte ich durch den Korridor. "Du siehst schlecht aus Mann. Also fertig. Hast du nicht gut geschlafen?" Kopfschüttelnd beschleunige ich meinen Schritt. "Das tut mir leid. Hast du vielleicht heute Zeit und Lust mit mir einen Kaffee zu trinken?"

In Gedanken gehe ich meine Möglichkeiten durch und lande bei einem Ja. Die Alternativen wären Lernen und sich den Kopf über ihn zu zerbrechen, mit Til irgendetwas machen, vorausgesetzt er ist da und verblödend vor Netflix sitzen.

Sebastian wählt das Café aus. Es ist klein, aber gemütlich. Zum wach werden nehme ich einen extra großen Cappuccino, obwohl da genauso viel Koffein drin ist wie in einem kleinen Espresso. "Geht es dir gut?" Besorgt begutachtet mich Sebastian. "Ja." Eine Lüge, wie jede andere. "Lust heute aus zu gehen?" Überrascht lächelt mein Gegenüber. "Immer."

"Gut. Du kannst mich davor bewahren von Lisa dumm und dusselig gequatscht zu werden." Lachend nimmt er einen Schluck von seinem Kaffee. "Klingt nicht so, als würdest du die Leute mögen mit denen du zu tun hast."

"Nein, nein, die sind wirklich in Ordnung. Nein. Ich bin nur nicht so der Party-Typ." Verstehend nickt er. "Kann ich verstehen. Es ist mal ganz lustig, aber irgendwann kann es einem auch zu viel werden." Wir trinken schnell aus und machen uns dann auf den Weg. Sebastian begleitet mich noch bis vor die Tür. Nachdem ich ihm die Uhrzeit genannt hat, wann er kommen soll, lässt er mich wieder allein.

Til klaut drei Shirts von mir und zwei Hosen. Nachdem er diese anprobiert und verschmäht hat. Macht er sich an die nächsten Sachen aus meinem Schrank. Er hat mit Pier eine Wette, dass er als Streber gekleidet jemanden aufreißen soll, oder so. Ein nettes Kompliment, dass dafür mein Kleiderschrank herhalten muss.

Während er meine Klamotten durcheinander schmeißt, berichte ich Malte die spannendsten Dinge meines Tages. Das Treffen mit Sebastian interessiert ihn besonders. Sein Leben sieht zur Zeit deutlich spannender aus. Er zusammen mit Jana einen Welpen adoptiert. Der kleine Racker ist zum anbeißen niedlich.

Sebastian kommt auf die Minute pünktlich. Zugegeben, er sieht verboten gut aus in seiner schwarzen Lederjacke und mit dieser grauen Stoffmütze auf seinem Kopf. Bei Tils Anblick muss er lachen. Ich trage eine Nummer kleiner wie er, weil er viel zu oft ins Fitnessstudio geht. Somit sieht es beinahe so aus, als würde meine Kleidung jede Sekunde nachgeben. "Gehen wir?" Sein mürrischer Gesichtsausdruck passt perfekt zum Streberlook. Auch ich muss leicht lachen.

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