Kapitel 16

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Das ganze Wochenende schließe ich mich in meinem Zimmer ein, um zu lernen. Es wirkt wie eine Erholungskur für meine Gedanken. Mit biologischen Teilchen im Kopf, geht es mir besser. Abstand, ist das, was ich gerade brauche. Abstand von Sebastian. Abstand von dem Gefühl der Leere in seiner Gegenwart.

Nach eineinhalb Tagen, kann ich schon über nichts anderes mehr reden, wie über den Lernstoff. Die Prüfung wird schwer, aber nicht unmöglich. Til hält sich auffällig fern. Er weiß, wie sehr ich es hasse beim lernen gestört zu werden. Und ihm ist genauso bewusst, dass ich mal Zeit für mich brauche. Meine schlechte Aura schwirrt durch die Wohnung.

Zuversichtlich trete ich in die Prüfung. Nur bei wenigen Aufgaben muss ich länger überlegen. Bei keiner versage ich. Das Gefühl etwas wirkliches erreicht zu haben, erfüllt dich auf magische Weise.

Mein Lächeln verschwindet den ganzen restlichen Tag nicht. Auch die darauffolgenden bleibt es auf meinem Gesicht. Til traut sich wieder in meine Nähe. Für ein paar Tage ist mein Leben perfekt. Dann kommt das Erwachen.

Ich schuffte mich ab, um ja nicht zu denken. Den Blick halte ich stets von der Küchentür fern. Es ist mir egal, wer dahinter steht, rufe ich mir wiederholt ins Gedächtnis. Die Gäste wirken zufrieden und ich bin es auch, oberflächlich.

Ein schwerer massiver Stein legt sich auf meine Brust, als ich an unsere letzte Begegnung denke. Es war so merkwürdig wieder in diesem Haus zu sein. Kaum vorstellbar, dass er die ganzen letzten vier Jahre dort gelebt hat. Wie konnte er in seinem Bett liegen und nicht an unsere gemeinsamen Nächte denken? Hat es ihn denn gar nichts bedeutet?

Erneut sage ich zu mir selbst, dass es unwichtig ist, dass es mir egal ist. Die Schicht vergeht schnell, dennoch bin ich danach geschafft. Anstatt mit Gabi auf ihr Taxi zu warten, gehe ich sofort nach Hause. Nur eine flüchtige Umarmung zur Verabschiedung.

Nutzlos liegt mein Körper auf dem Bett und hört Musik. Meine Seele befindet sich in anderen Ländern, in verschiedenen Welten. Plötzlich holt mich der ätzende Piepston meines Handys aus meiner Trance. Sebastian.
Müde taste ich nach dem Stück Technik.

Zu meiner Verblüffung ist es nicht Sebastian. Mein Herz schlägt zehn Mal schneller, als ich die Nummer sehe. Genauso schnell bildet sich Wut, über die Erkenntnis der Nummer und der Tatsache, dass diese eine, eigentlich unwichtige Nummer, mich nervös macht. Ich öffne die Nachricht.

49 5830 221: Lion, versuche mir zu vergeben. Auch, wenn ich es nicht verdiene.

Wenn man versuchen könnte jemanden zu vergeben, wenn dieser darum bittet, wäre unsere Welt noch nicht einmal halb so schlimme. Es ist ja noch nicht einmal eine bewußte Entscheidung. Manchmal vergibt man einem Menschen im tiefsten Herzen, obwohl man ihn eigentlich weiterhin hassen will.

Klar, man kann seinen Groll unnötig hinausziehen, aber wenn er wirklich noch da ist, dann ist er vorhanden. Obwohl, es ist kein Hass. Es ist eine Wunde im Innern, die immer noch nicht ganz verheilt ist. Es hat sich noch keine Narbe gebildet. Es tut noch weh.

Der Wunsch ihm doch einfach zu vergeben, wieder mit ihm normal reden zu können, steigt in mir unwirkürlich auf. Wütend werfe ich mein Handy zurück auf die Matratze. Ich kann ihm nicht vergeben. Es tut weh, immer noch so weh.

Auch noch, diese Unverschämtheit mir zu schreiben, trotz er genau weiß, wie ungern ich nur ein Wort mit ihm wechsle. Aufgeladen stampfe ich durchs Zimmer. Ich bin so wütend auf ihn. Auf ihn und auf mich selbst. Warum habe ich versöhnlich Gedanken? Wieso muss ich in letzter Zeit so oft an ihn denken?

Am Ruhe und Meditation ist jetzt gar nicht mehr zu denken. Aufgewühlt schaffe ich Ordnung in meinem Reich. Hibbelig ordne ich unnötiger Weise meinen Kleiderschrank. Welch Wirkung, nur eine kurze SMS haben kann.

Spät Nachts, nachdem ich mich stundenlang von Netflix berieseln lassen hab, entscheide ich, seine Nachricht zu beantworten.

Lion: Ich kann nicht.


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