Kapitel 22

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Es riecht herrlich nach Ei, Speck und frisches Toast. Meine Mutter hat an nichts gespart. Auch Sebastian staunt nicht schlecht, als wir in die Küche kommen. Mama sitzt schon da mit einer Zeitung in der einen und einen Kaffe in der anderen Hand.

Sofort gesellen wir uns dazu. Sie hat sogar Orangensaft besorgt und frische Weintrauben gekauft. Solche Frühstücke bekomme ich höchstens, wenn ich Geburtstag habe. "Habt ihr zwei gut geschlafen?", fragt sie freundlich. Genüsslich essen wir alles auf.

Den restlichen Morgen verbringen wir mit Memoryspielen. Wie früher in meiner Kindheit räume ich alles ab und lasse die anderen verlieren. Am Nachmittag bin ich und Sebastian allein, weil meine Mutter zu ihrem Nachbarn geht für eine Stunde. Aus einer Stunde werden zwei und aus zwei, drei.

Sebastian und ich sehen so lange einen Film. Und noch einen. Liebevoll legt er einen Arm um mich. Ich kuschle mich ganz nah an ihn. Es tut gut von jemanden festgehalten zu werden. Wir sehen "Die Schadenfreundinnen". Automatisch identifiziere ich mich mit dem fremdgehenden Ehemann, mit dem Unterschied, dass es bei mir nicht gefühlt tausende sind.

Ob er etwas ahnt? Nein. Bestimmt nicht. Mein schlechtes Gewissen frisst mich auf. Wenn wir allein sind ist es zehn Mal schlimmer. Ich könnte mich schlagen dafür. Mit Sebastian läuft es so gut. Aber, nein, ich muss alles kaputt machen.

Automatisch stellt sich mein Gehirn vor, was Thomas wohl gerade macht. Um diese Uhrzeit erledigt er bestimmt gerade die Hausarbeit, oder vielleicht ist auch Sophie zu Besuch da und die beiden unterhalten sich über ihre Uni. In meinem Kopf sitzen wir drei auf der Couch. Sophie und meine Wenigkeit berichten über die verschiedenen Universitäten, die wir besuchen, während Thomas uns von seinen Erfahrungen vor über hundert Jahren berichtet. Anschließend nimmt er mich in den Arm, so wie Sebastian gerade.

Kopfschüttelnd richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Film. Scheiß Unterbewusstsein. Er wollte nicht, dass ich gehe. Aber er ist nicht erschienen. Er hat mich weggeworfen. Es gibt kein zurück mehr. Wie man so sagt, Zeit ist eine Illusion, somit kann man sie auch weder zurück, noch vor drehen.

Wir Leben, die Sonne geht auf und unter, und dann irgendwann sterben wir. Das alles teilweise noch begleitet von einem Glauben, der uns die Sache mit dem "Ende" des Lebens leichter macht. Und das wars. Was man in seinem Leben macht, entscheidet man meiner Meinung nach selbst. Und Vergangenes ist Vergangenes. Nichts kommt wieder.

Keine Umarmung. Kein Kuss. Keine Nacht. Das alles erscheint nur ein einziges Mal im Leben, dann ist es vorbei und das Nächste kommt. So einfach ist das. Nur mein Herz sieht das noch nicht so ganz ein. Am Besten man folgt in der Liebe besser seinem Kopf.

Gegen Abend schafft es meine Mutter sich von dem Nachbarn loszureißen. Mit einem bösen Blick bedeutet sie mir meinen Mund zu halten, doch ihr verstecktes Lächeln ist Antwort genug. Sie war garantiert nicht so lange bei ihm, um sich nett zu unterhalten.

Wir entschließen uns nach dem Essen einen Spaziergang in der Dämmerung zu machen. Ich liebe den Wald in der Nähe des Dorfs. Dort habe ich als Kind immer gespielt. Manchmal mit Freunden, manchmal allein. Zwischen den Bäumen kann man sich hervorragend verstecken. Leider werden ab und zu ein paar gefällt, sowie meine Lieblingseiche vor drei Jahren.

Gespannt höre ich den Vögeln zu. Sebastian unterhält sich angeregt mit meiner Mutter. Es freut mich, die beiden so glücklich miteinander zu sehen. "Was meinst du?" Erschrocken sehe ich hoch. "Was?" Sebastian lacht neckend. "Wie findest du es, dass die Gemeinde überlegt hier einen Grillplatz hinzubauen?" Schockiert blicke ich zu Mama. "Was? Ernsthaft?" Die beiden nicken einstimmig.

"Ja. Es ging die letzten Tage eine Petition umher. Es wäre doch ganz gut für die Teenager hier in der Gegend. Es wäre doch ganz nett, oder?" Ich denke daran meinen schönen Wald, wo ich mich so gerne versteckt habe, überfüllt mit Bier, Essen und Idioten zu sehen. Ein kalter Schauer läuft meinen Rücken hinab. "Das wäre schrecklich!" Jeglichen Anstand habe ich vergessen. "Was wäre denn so schrecklich daran?" Mama sieht mich prüfend an. Mein Blick wandert traurig über die Büsche und Sträucher.

"Hallo? Was wäre denn daran so schön? Ein Haufen besoffener Teenager im Wald, die alles vermüllen und die Ruhe der Tiere stören." Jetzt lacht auch sie. "Lion konnte noch nie gut mit Veränderungen umgehen", sagt sie an Sebastian gewandt. Das hat doch nichts damit zu tun. Wir gehen noch eine Weile lang, dann sind wir wieder zu Hause.

Liegt es vielleicht daran? Machen mir nur Veränderungen Angst. Denke ich nur deshalb noch an ihn?

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