Kapitel 11

924 32 2
                                    

Samstag. Ein Tag wie jeder andere. Für mein Gegenüber ein besonderer aufregender Tag. Die zehnjahres Firmenfeier seiner Eltern, die er mit meiner Anwesenheit noch aufpeppt.

Er wirkt unglaublich stolz neben mir. Ob stolz auf seine Familie oder dass ich mit dabei bin, ist nicht ganz klar. Bestimmt ein wenig von beidem. Immer wieder betont er, wie froh er ist, dass ich mitgekommen bin. Immer wieder lächle ich und danke ihm für seine netten Worte.

Das Haus seiner Eltern ist groß. Ziemlich groß. Genauso wie der dazu gehörende Garten. Viele Menschen tummeln sich im Garten und unter dem dort in der Mitte aufgestellten Bierzelt. Der Garten ist penibel sorgfältig angelegt.

Sebastian lächelt breit, als eine Frau mittleren Alters im weißen Cocktailkleid auf uns zu kommt. Schon jetzt fühle ich mich fehl am Platz mit meinem blauen Hemd und der schwarzen Jeans. Sie drückt ihren Sohn kurz aber innig, dann wendet sie sich mir zu.

"Du bist Lion, richtig?" Nickend reiche ich ihr meine Hand. Sebastians Mutter geleitet uns zum Zelt, wo wir seinen Vater und noch viele andere wichtige Leute treffen. Nach einer Stunde habe ich mindestens vierzig Menschen die Hand geschüttelt. Mein Lächeln wirkt immer unnatürlicher, so oft wie ich es brauche.

Ein paar Kinder spielen am peinlich genau angelegten Teich. Leise wie ein Fuchs, der sich an wein Huhn heranschleicht, begebe ich mich zu den Kindern. Sie retten mich vor weiterem gestälzt höflichen Geplänkel und dem Dauerlächeln Sebastians Mutter.

Das älteste Kind ist ein zehn Jahre alter Junge, der die Frösche im Teich aufscheucht. Wie gern würde ich jetzt mit ihm tauschen. Als Zehnjähriger ist das Leben noch so unbeschwert, die Welt noch ein unergründlicher spannender Planet. Ich komme mit dem kleinen Racker, Luka, ins Gespräch, um mich von meinen alten Mann-Gedanken abzulenken.

Für mich ist die Welt mindestens noch genauso unergründlich und spannend, wie für Luka. Stolz berichtet er über einen Frosch, den er vor fünf Minuten beinahe einen Herzinfarkt erleiden lassen hat. So sehr hat dieser herumgezuckt und gepaddelt. Das arme Tier.

Nach einer Weile gesellt sich ein kleines Mädchen zu uns. Sie ist schätzungsweise sechs. Sie will mir ihren Namen und ihr Alter nicht verraten und findet es lustig mich raten zu lassen. Ich taufe sie Zwerglein. So hat mich meine Mutter mich früher immer genannt, was mir damals gar nicht gefiel. Diesem Zwerglein scheint der Name allerdings nichts auszumachen, sie findet ihn sogar schön, denke ich.

Sebastians Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden, als er auf mich zukommt. "Ich habe dich überall gesucht." Er klingt nicht wütend, sondern erschöpft. Entschuldigend sehe ich ihn an. "Tut mir leid. Zwerglein hat mich aufgehalten." Ich deute auf das kleine Mädchen auf meinem Schoß.

"Olivia, deine Mutter sucht dich ebenfalls schon die ganze Zeit." Zwerglein verabschiedet sich von mir mit einem Küsslein auf die Wange und macht sich dann aus dem Staub. "Das war nicht okay von dir." Er setzt sich neben mich auf den Rand des Teiches.

"Es tut-" Kopfschüttelnd öffnet er ein paar Knöpfe seines Jackett, worunter er ein einfaches dunkelblaues Shirt trägt. "Mich einfach allein zu lassen, ohne zu sagen wo du hin gehst." Allmählich wird es mir zu viel. Mein Verhalten war nicht in Ordnung, das weiß ich. Aber man sollte die Kirche auch mal im Dorf lassen. Ich bin ja noch da. Auf der Party.

Mit verschränkten Armen sitze ich da und beobachte die Gäste, während Sebastian mir ein schlechtes Gewissen macht. "Bist du jetzt fertig?", frage ich schnippisch, als er eine Weile nicht mehr redet. Wortlos erhebe ich mich und will gerade gehen. "Was machst du?"

"Meinem schlechten Gewissen etwas zu tun geben." Ich muss hier weg. Fort von diesen Leuten, die nach besser riechen und aussehen. Weg von seinem erdrückenden Vortrag. Einfach nur weg.

Zwei Querstraßen weiter befindet sich eine Bushaltestelle. Der nächste Bus bringt mich aus dem Wohngebiet raus und egal wohin. Eine halbe Stunde vergeht. Der Bus erreicht ein Dorf, klein und mir sehr unbekannt. Dort verbringe ich den restlichen Nachmittag.

Ich laufe einfach nur herum, wie ein verirrter Irrer. Es gibt hier kein Café, keine Kneipe, kein Geschäfts, nichts. Nur schief gebaute Fachwerk Häuser und geschmacklose Neubauten aneinandergereit. Die meisten Menschen, denen ich begegne sehen mich verdutzt, oder misstrauisch an. Ich ignoriere alle.

Man kann nicht verloren gehen, man kann sich nur in sich selbst verlieren. Komischerweise kommen mir genau diese Worte in den Sinn, als ich dämlich in einer mir unbekannten Gegend herumwandere. Thomas hat das mal zu mir gesagt, als ich ihm gebeichtet habe, dass ich mich als kleines Kind immer zurückgezogen habe. Den Sinn habe ich nie wirklich verstanden. Es passte auch gar nicht zur Situation, die ich ihm beschrieben hatte.

Felder. Das Ende des Dorfes erstreckt sich vor mir. Ich setze mich in den Dreck und denke nach. Ich grüble über diesen einen Satz, dessen Sinn ich nie verstand. Was soll das überhaupt bedeuten? Und was hat das damit zu tun, dass ich als Kind schüchtern war? Widerwillig bahnt sich ein Gefühl an die Oberfläche, welches ich nicht zulassen will. Sehnsucht. Das Gefühl jemanden bei sich haben zu wollen, den man nie mehr sehen will und kann.

Und das Schlimmste. Ich kann nicht weinen. Ich will weinen, ich muss weinen, aber keine Träne kommt. Leise ersticke ich, ganz allein in einem fremden Kaff. So fühlt es sich an.



I am his. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt