Kapitel 26

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Seine Arme um meine Schulter geschlungen, seine Nähe in meinem Umfeld, sein Atem in meinem Nacken. Ein heftiger Schauer durchfährt meinen Körper. Kommilitonen grüßen einen mit netten Blicken, oder ignorieren dich.

Vorm Hörsaal meines Kurses küsst er mich zum Abschied. Genauso sanft erwidere ich Sebastians Kuss. Es fühlt sich so unwirklich an, ihn bei mir zu haben, nach meinen ganzen Fehltritten. Es ist so gemein, dass er von all dem nichts weiß. Er hätte die Wahrheit verdient. Doch, wenn er es erfährt, verliere ich ihn. Meinen letzten Halt, der mich vor ihm beschützt.

Wie der größte Streber der Welt, schreibe ich fast alles auf, was Herr Wegner sagt. Mein Sitznachbar schaut ab und zu auf meine Notizen. Bevor die Lesung endet, fotografiert er die Notizen ab. Sehr offensichtlich. Ohne etwas zu sagen verlasse ich den Saal.

Nach der Uni holt Sebastian mich ab, um einen Café trinken zu gehe. Er erzählt von seinen Vorlesungen, von seinem Wochenende, da wir uns die letzten Tage nicht gesehen habe. Abwesend lausche ich seiner Erzählung. Der Kaffee schmeckt fad, meine Stimmung ist gedeckt.

Seine Worte spulen sich immer wieder in meinem Kopf ab, wie eine kaputte Kassette. Diese Reue in seinen Augen. Gott, ich wünschte, es würde mich kalt lassen. Es wäre besser, wenn ihm nichts leidtäte. Wenn ich ihm scheiß egal wäre und er mich ignorieren würde. Er wäre ein herzloses Arschloch und ich könnte damit abschließen. Aber Thomas entschuldigt sich, zeigt Reue, bringt mich völlig durcheinander und lässt mich seine Sünden für gefährliche Augenblicke vergessen.

Es ist zum verrückt werden. Und das Schlimmste, Sebastian wird die ganze Zeit betrogen und belogen. Benutze ich ihn nur, um besser über Thomas hinweg zu kommen? Eine angsteinflößende Vorstellung für mein Gewissen.

Sebastian greift über dem Tisch nach meiner Hand. Liebevoll streichelt er mit dem Daumen über meinen Handrücken. Er lächelt. "Du bist so abwesend", sagt er verständnisvoll. Mein Herz wird noch schwerer. "Die Klausuren", sage ich schlicht. Glücklicherweise gibt er sich damit zufrieden.

Den Abend verbringen wir ebenfalls gemeinsam, im Bett vor Netflix. Manchmal macht Sebastian Andeutungen, etwas gewisses anders zu machen. Aber diese ignoriere ich absichtlich. Irgendwann schlafe ich in seinen Armen ein.

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Beichten befreit die Seele. Malte bleibt einen Moment lang still, nachdem ich ihm alles von meinen Schandtaten erzählt habe. Ängstlich sitze ich vor dem Laptop und warte auf seine Reaktion.

"Lion, was machst du nur für Sachen?" Schuldbewusst sehe ich nach unten. "Dieser Thomas lässt dich echt nicht mehr los, was?" Meine Wangen werden rot.

"Er hat mich eben verletzt. Darüber komme ich anscheinend nicht so leicht weg." Es tut gut über all das zu reden, auch wenn es beängstigend ist. "Offensichtlich." Er macht eine kurze Pause. "Willst du meine Meinung hören?" Unsicher nicke ich. "Du liebst ihn. Ob du willst oder nicht, du hast Gefühle für diesen Mann und das macht dich so fertig." Mein Leben wäre so viel einfacher, wenn er Sebastian meinen würde.

Meine Augen füllen sich mit Tränen. Für diese Erkenntnis hätte ich Malte nicht gebraucht, aber es ist dennoch überwältigend das von einer anderen Person zu hören. Klar ausgesprochen, eine Tatsache, die ich seither verdrängt habe. Unfähig sie zurück zuhalten, kullern Tränen über meine Wange.

"Ach Lion, versuch es doch mit ihm." Schnell wische ich das Salzwasser aus meinem Gesicht. "Nein." Malte seufzt. "Du machst dich so kaputt." Langsam wird mir die Unterhaltung zu intim. "Ich habe Angst. Was, wenn er mich wieder verletzen wird?" Meine Unterlippe zittert.

"Denkst du, Jana hat mich noch nie verletzt, oder ich sie nie? Wenn du kein Risiko eingehst, kannst du auch nichts gewinnen." Ein leises Lachen entfährt mir. "Mann Malte, das ist kein scheiß Lottospiel." Auch er muss lachen. "Doch, manchmal ist das alles nur ein scheiß Lottospiel."

Wir reden eine Weile lang noch über belangloses Zeug, dann muss er los. Aufgewühlt sitze ich in meinem Bett und denke über das Gesagte nach. Du liebst ihn. Und es tut weh.

I am his. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt