Lina betrat den dunklen Raum. Nur durch zwei kleine Fenster ganz oben an der Mauer gegenüber der Tür kam etwas Licht hinein. Der Raum war aus dem gleichen Stein wie der Gang zuvor. Nur ein alter vierbeiniger Holzschemel, der wie alles andere aus dem dunklen Holz des Mahagoni Baumes gefertigt wurde, stand in der Mitte des Raumes. Links und rechts gab es jeweils eine weitere Tür, ebenfalls aus Mahagoni Holz. Hinter Lina schloss sich die Tür mit einem dumpfen Ton und sie war alleine in dem Raum. Die Frau war nicht mit hineingekommen. Unsicher schaute sie sich um. Was genau sollte sie jetzt machen? Sollte sie sich einfach auf den Schemel setzen und warten? Oder wurde etwas Bestimmtes von ihr erwartet? War das etwa schon die erste Prüfung? Lina war sich nicht mehr so sicher, ob das Ganze wirklich eine gute Idee gewesen war. 'Denk nicht so!', rügte sie sich selbst. 'Das ist das Beste, was dir passieren konnte. Sonst wärst du im nächsten Winter elendig erfroren und verhungert!' Ihr Selbstbewusstsein war zurückgekehrt. Sie wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung gewesen war. Sonst hätte sie auf der Straße leben müssen. Im Dreck und Schmutz. In den Abwässern und Abfällen der Häuser. Betteln hätte sie müssen, um vielleicht an etwas Nahrhaftes zu kommen. Sonst hätte sie die Abfälle der Bewohner essen oder Nahrung stehlen müssen. Und mit dem Winter wäre dann ihr Ende gekommen. Nein, das wollte Lina nicht. Sie wollte ein Leben führen. Wollte leben! Oder zumindest überleben.
Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sich die Tür mit einem lauten Quietschen öffnete. Lina tat aus Gewohnheit und um der aufschwingenden Tür auszuweichen zwei Schritte zurück und wartete gespannt, was nun auf sie zukommen würde. In das Zimmer traten drei Frauen. Zwei jüngere und eine ältere. Aber es war nicht die Frau von vorhin, die Lina immer noch nicht beim Namen kannte. Alle Frauen hatten dasselbe an wie die ältere Frau vorhin. Auch die Haare waren so kurz geschnitten. Die ältere Frau hatte ergraute Haare und die beiden jüngeren dunkelbraune. Die ältere Frau hatte markante Gesichtszüge und ihre blauen Augen wirkten, als würden sie Eis versprühen. Die eine der jüngeren Frauen hatte braune, warme Augen und ein leichtes, wenn auch kaum zu erkennendes Lächeln lag auf ihren dünnen Lippen. Die andere junge Frau hatte grüne Augen, die so wirkten, als könnten sie einem direkt in die Seele blicken. Sie hatte volle, rote Lippen, die zu einem schmalen Strich zusammengepresst waren. Alle drei trugen verschiedene Utensilien bei sich. Klamotten. Waschsachen. Und andere Dinge.
"Dann wollen wir Sie mal fertig machen.", rief die ältere Dame motiviert, doch trotzdem wurden ihre Augen nicht wärmer und weiterhin zierte kein Lächeln ihre Lippen. "Amelie. Du bist dran.", wies sie die Frau mit den warmen braunen Augen und dem kaum erkennbaren Lächeln an und fuchtelte mit ihrer rechten Hand. Amelie nickte und zeigte Lina an, dass sie durch die linke Tür gehen sollte. Lina nickte als Zeichen, dass sie verstanden hatte, und schritt mit großen Schritten auf die linke Tür zu. Sie umfasste den kalten Knauf, der ihr eine Kältewelle durch ihren Körper jagte und ihr eine Gänsehaut bescherte. Sie zögerte keine Sekunde und öffnete fest entschlossen die Tür, die leicht knarrend aufging. Lina trat ein und Amelie folgte ihr. Hinter der Tür befand sich ein kleines Badezimmer. In der Mitte war eine hölzerne Wanne aufgestellt, in der sich schon Wasser befand. Wieder gab es nur ein kleines Fenster an der rechten Wand, durch das etwas Sonnenlicht hineinfiel. Neben der Tür stand ein hölzerner Tisch, auf welchem Amelie jetzt alle Sachen ablegte, die sie auf dem Arm gehalten hatte.
"Entkleiden und abrubbeln.", sagte sie desinteressiert und reichte Lina einen Schwamm. Amelie drehte sich nicht um und stand mit verschränkten Armen vor Lina. "Komm. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Nur nicht zimperlich sein.", meinte sie und zog auffordernd eine Augenbraue hoch, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. Lina schämte sich. Sie wollte sich nicht vor einer völlig fremden Person ausziehen und waschen. Es war ihr unangenehm. 'Besser als wenn es ein Mann machen würde!', versuchte sie sich selbst zu beruhigen und befreite sich dann langsam von ihren alten Kleidern. Eine schäbige, alte, braune Hose, die an manchen Stellen zerrissen und die Hosenbeine zu kurz waren. Ein altes Shirt, das ursprünglich einmal weiß gewesen war und jetzt nur so vor Dreck glänzte. Die alten Lederschuhe, die schon Löcher hatten und ihre Zehen frieren ließen. Socken hatte sie keine. Bevor sie ihre alte Unterwäsche auszog, zögerte sie noch einmal. Seufzend drehte sich Amelie jetzt doch noch um und Lina war ihr in diesem Moment sehr dankbar dafür. Schnell entledigte sie sich ihrer Unterwäsche und stieg in das eiskalte Wasser. Aber das war Lina ja schon von zu Hause gewohnt.
Als Amelie das Plätschern des Wassers hörte, drehte sie sich wieder um und sah Lina dabei zu, wie sie sich gründlich jeden Schmutz abrubbelte. Es brauchte keine zehn Minuten, da war sie schon sauber und das Wasser eine braune Brühe. Amelie reichte Lina ein weißes Handtuch, mit dem sie sich schnell abtrocknete. Dann bekam sie die gleiche Kluft, wie sie auch die anderen Frauen anhatten. Zu guter Letzt holte Amelie eine Schere hervor. "Haare abschneiden.", kommentierte sie. Lina nickte unsicher und so stellte sich Amelie hinter sie. Sie begann ihre Haare auf dieselbe Länge zu kürzen, die sie alle hatten. Bis knapp unter das Ohr wurden Linas Haare, die vorher noch bis zur Hüfte reichten, abgeschnitten. Sie fühlte das kalte Metall an ihrem Hals und im Nacken und musste unfreiwillig schaudern. Es war ungewohnt für sie. Dass sie ihre langen Haare verlor, stimmte Lina gleichzeitig ein wenig traurig. Lange hatte sie sie wachsen lassen und gepflegt, damit sie so aussahen, wie sie nun einmal aussahen. Aber jetzt war es vorbei mit den langen Haaren. Sie würde nun wohl für den Rest ihres Lebens kurze Haare tragen müssen.
Nachdem sie fertig war, legte Amelie die Schwere weg und begutachtete Lina noch einmal eingehend. Schließlich nickte sie zufrieden. "Siehst gut aus.", fand sie und packte anschließend alle Sachen zusammen, die sie dann jedoch auf dem Tisch liegen ließ. Sie gingen wieder aus dem Bad. Im anderen Raum warteten immer noch die beiden anderen Frauen. Die ältere Frau nickte bei Linas Anblick und schritt dann auf die andere Tür zu. "Bereit für die erste Prüfung?", fragte die ältere Frau mit kühler Stimme. "Ja das bin ich.", antwortete Lina ein weiteres Mal an diesem Tag und lief schnell zu der Tür, wo schon die Frau davorstand. "Na dann los." Die Frau öffnete die Tür und Lina marschierte ohne zu zögern hindurch. Die Tür schloss sich wieder hinter ihr und sie fand sich in völliger Dunkelheit wieder.
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Gott des Krieges
FantasyUm zu überleben, tritt sie in den Orden der Götterdiener ein. Und wird prompt von dem Gott auserwählt, den sie am allerwenigsten mochte. Ihr Leben steht von nun an in seinem Zeichen. Ein auf und ab beginnt. Kommt sie mit alldem klar?