Ares lief so schnell durch die Gänge seines Schlosses, dass Lina alle Mühe hatte mit ihm mitzuhalten. Die Wände um sie herum strahlten Wärme aus, obwohl sie nur aus dem roten Stein bestanden. An den Wänden hingen unzählige Bilder, die verschiedene Kampfszenen zeigten. Auf einem Bild erblickte Lina einen stattlichen jungen Mann, der auf einem Pferd saß und gegen einen Drachen kämpfte. Auf einem anderen führte ein König mit erhabenem Haupt und erhobenem Schwert seine Leute in eine Schlacht. Aber es waren nicht nur Bilder von solchen Szenarien. Es gab auch Bilder, auf denen Ares zu sehen war. Mal stolz und mit erhobenem Schwert, mal auf einem roten Ledersofa sitzend. Und dann gab es noch Bilder, auf denen er mit anderen Männern und Frauen, ja fast noch Kindern, zu sehen war. Sie schienen wie eine Familie zu sein und das erwärmte Lina das Herz. Vielleicht war dieser Gott ja gar nicht so böse, wie er immer dargestellt wurde. Vielleicht war er einfach nur einsam. Denn Lina hatte bisher niemanden hier angetroffen. Keine Männer und Frauen. Nicht einmal andere Diener hatte sie gesehen. Ares musste alleine in seinem Schloss leben, so wie sie es gelesen hatte. Doch warum tat er das? Diese Einsamkeit musste schrecklich sein. Mit einem Mal bekam Lina Mitleid mit dem Gott. Alle dachten von ihm immer das Schlimmste. Aber was, wenn er einfach nur einsam war? Wenn er sich auch nur geliebt fühlen wollte? Von seinen Eltern konnte er das ja nicht erwarten und erst recht nicht von seinen Onkeln oder Geschwistern.
Lina war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie Ares stehengeblieben war und sich zu ihr umgedreht hatte. Sie lief direkt in ihn hinein. Hätten sie nicht zwei starke Arme aufgefangen, hätte sie Bekanntschaft mit dem steinernen Boden gemacht. 'Glück gehabt.', dachte sie, bis ihr einfiel, zu wem diese starken Arme gehörten. Sie blickte auf und sah direkt in die Augen des Kriegsgottes. Wieder war er ihr so nah. "Woran hast du gedacht?", fragte er und grinste leicht. "N-Nichts.", stammelte Lina. Ares' Grinsen wurde breiter. "Ich weiß, dass es nicht so ist.", schmunzelte er und zog sie dann mit einem Ruck auf ihre Beine. Völlig überrumpelt von dieser Geste blickte Lina Ares an. Dieser fing daraufhin schallend an zu lachen, was ihr eine angenehme Wärme durch ihren Körper jagte. 'Was macht dieser Gott nur mit mir?', fragte sie sich und gab sich innerlich eine Ohrfeige. Er war ein Gott. Ihr Gott. Wahrscheinlich wirkte er auf alle weiblichen Wesen anziehend. Doch sie würde nicht auf ihn hereinfallen! Das schwor sie sich. Ares hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und öffnete nun schmunzelnd eine Tür neben ihm. "Nach dir.", grinste er und vollführte eine elegante Armbewegung in den Raum hinein. Lina zögerte kurz, doch als sie Ares' auffordernden und leicht wütenden Blick bemerkte, huschte sie schnell in den Raum hinein.
'Nein, das ist kein Raum. Das ist ein Saal!', korrigierte sie sich in Gedanken. Denn das war es wirklich. Dieser Saal war mindestens doppelt, wenn nicht sogar dreimal so groß wie der Speisesaal im Tempel. Eine lange Tafel zog sich einmal durch den Raum, an der unzählige Stühle standen. Lina klappte der Mund auf. Hinter sich hörte sie ein Lachen. "Gefällt es dir?", flüsterte ihr Ares ins Ohr und ergriff im nächsten Moment zaghaft ihre Hand. Sanft zog er sie mit sich. Lina war nicht imstande sich dagegen zu wehren. Dieser Raum - Saal - war einfach zu überwältigend. Er führte sie an das eine Kopfende des riesigen Tisches und zog ihr einen Stuhl zurück. Verdattert von dieser Geste ließ sich Lina auf den Stuhl nieder. Ares schob ihn an den Tisch und nahm dann am Kopfende links neben ihr Platz. "Und jetzt?", traute sich Lina zu fragen. Erneut erschien das Schmunzeln auf Ares' Gesicht, welches so typisch für ihn zu sein schien. Allein an diesem Tag hatte es Lina schon unzählige Male gesehen. "Jetzt essen wir.", antwortete er. Lina blickte sich abwartend um. "Wo, wo sind die Diener, die das Essen bringen?" Ein Schatten huschte über Ares' Gesicht und sein Lächeln verrutschte kurz. "Die einzigen lebenden Wesen in diesem Schloss sind du und ich.", erklärte er. Die einzigen lebenden Wesen? Lina wollte gar nicht darüber nachdenken, auf was Ares damit anspielte. Ob er einfach nur seine Einsamkeit bezeugen oder auf andere, tote Wesen hindeuten wollte. "Und woher bekommen wir dann das Essen?", erkundigte sie sich schnell. Ares Grinsen erschien wieder und zog sich nun über sein ganzes Gesicht. "Ich bin ein Gott.", war seine einfache Antwort, ehe er einmal mit den Fingern schnippste.
Keinen Augenblick später standen allerlei Schüsseln mit den verschiedensten Speisen auf dem Tisch. Lina klappte der Mund auf, als sie das ganze Essen betrachtete. Es gab Schalen gefüllt mit Trauben, Äpfeln und Birnen. Nüsse jeglicher Art. Schüsseln voll mit Haferbrei und Milchreis. Eine riesige Platte, auf der Unmengen verschiedensten Fleisch lag und ein ganzer Haufen Kartoffeln in jeglicher Form. Gekocht, gebraten, als Kartoffelstampf und als Salat. Weitere Salate häuften sich in weiteren Schalen. Knuspriges und noch dampfendes Brot hatte ebenfalls seinen Weg auf den Tisch gefunden. "Wow!", hauchte sie überwältigt. So viel und so gutes Essen hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen! Ares grinste selbstgefällig und stützte seine Arme auf dem Tisch ab. "Iss.", forderte er sie auf. Ungläubig schaute Lina den Gott an. Dieser kicherte nur und deutete auf die verschiedenen Speisen. Nun war Lina völlig verwirrt und musste erst ein paar Mal blinzeln, ehe sie wieder klar denken konnte. Hatte Ares, der Gott des Krieges gerade gekichert? 'Das muss ich mir eingebildet haben.' Lina schüttelte den Kopf und griff dann nach dem Kartoffelstampf, um sich davon großzügig auf ihren Teller zu tun. Es folgte noch etwas grüner Salat, ein Stück Schweinefilet und ein Stück Brot. Danach bediente sie sich am Milchreis und an den Nüssen. Zuletzt drückte sie noch einen Apfel in sich hinein. Sie war so voll wie noch nie, denn noch nie hatte sie so viel gegessen.
Zufrieden seufzend lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und schloss genießerisch die Augen. Ein Lachen holte sie in die Wirklichkeit zurück und erinnerte sie daran, dass sie nicht alleine war. Sie riss ihre Augen auf und blickte zu Ares. Was sollte sie von ihm halten? Was hielt er nun von ihr, nachdem sie so viel Essen in sich hineingestopft hatte? Ares bemerkte wohl Linas Unsicherheit, denn er hörte schlagartig auf mit Lachen und sah sie ernst an. "Du bekommst sonst wohl nicht so viel zu essen?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. In Gedanken versunken, nickte Lina. "Als meine Eltern noch lebten, hatten wir nicht so viel. Dann starben sie und ich kam in den Orden.", erzählte sie düster. Warum sie es ausgerechnet Ares erzählte, wusste sie nicht. Aber irgendwie schienen sie in diesem Moment dasselbe Leid zu teilen. Ares stand auf und strich Lina über den Arm. "Ich verspreche dir, hier wird es dir an nichts fehlen." Dabei sah er ihr so tief in die Augen, dass Lina einfach wusste, dass er die Wahrheit sprach.
DU LIEST GERADE
Gott des Krieges
FantasyUm zu überleben, tritt sie in den Orden der Götterdiener ein. Und wird prompt von dem Gott auserwählt, den sie am allerwenigsten mochte. Ihr Leben steht von nun an in seinem Zeichen. Ein auf und ab beginnt. Kommt sie mit alldem klar?