Der Gong zum Mittagessen ertönte und Lina lief schnell zum Speisesaal. An der Kreuzung traf sie auf Johanna, deren Kleid voll Dreck war und ihr Gesicht mit Erde verschmiert. Wie hatte sie denn das geschafft? "Nicht mal der Garten ist vor dir sicher.", lachte Lina, als sie Johanna so sah. Diese grinste. "Ich weiß. Ich bin halt einfach die Beste.", meinte sie überheblich und streckte ihr Kinn in die Höhe. Lina schüttelte grinsend den Kopf und zusammen gingen die beiden Frauen zum Mittagessen. Dieses Mal waren sie alleine am Tisch des Ares. Konstanze war immer noch bei Teresa und Anika durfte ihren Platz am Tor nicht verlassen. Einer der Auserwählten der Demeter würde ihr später das Mittagessen bringen. Sie aßen schnell ihren Eintopf. Dieser bestand ausschließlich aus Gemüse. Johanna erklärte Lina, dass es nur an speziellen Feiertagen Fleisch gab oder wenn man den Göttern opferte. Aber es blieb jedem selbst überlassen was man opferte. Der Gott oder die Göttin musste es nur annehmen, sonst hätten die jeweiligen Auserwählten in der folgenden Woche viel Pech, da der Gott oder die Göttin erzürnt wäre. Lina nickte und bekam es langsam mit der Angst zu tun. Was, wenn Ares ihr Opfer nicht gut genug fand? Er war der Gott des Krieges. Er würde einen unscheinbaren Blumenkranz sicherlich nicht so toll finden wie ein Stück Fleisch.
Trotzdem hielt Lina an ihrem Plan fest und machte sich nach dem Mittagessen auf den Weg in den Garten. Sie pflückte vorsichtig die schönsten Blumen aus den roten Beeten und setzte sich dann in die Wiese. Sie flechtete Blume um Blume in den Kranz mit ein und am Ende hatte sie einen komplett roten Blumenkranz. So sehr es ihr auch widerstrebte, so sehr wollte sie weiter in dem Buch über Ares lesen. Also legte sie den Kranz vorsichtig in die Wiese neben sich und öffnete das Buch erneut.
Die Auserwählten des Ares sind meist stark und haben eine Kämpfernatur. Sie wiedersetzen sich gerne Anweisungen, außer sie kommen von Ares persönlich. Meist wählt Ares diejenigen aus, die in einer Weise schon einmal den Tod gesehen haben. Dies kann im Krieg passieren oder wenn Verwandte oder Freunde sterben. Ein uraltes Gebet dieser Auserwählten lautet wie folgt:
Oh Ares, Gott des Krieges,
der du so kriegerisch wie wunderschön bist.
Schenke uns eine neue Woche/einen neuen Tag voller Mut und Freude. Wache über uns mit deiner göttlichen Stärke.Erneut klappte Lina das Buch zu. Sie konnte es nicht fassen. Hatte Ares sie nur auserwählt, weil ihre Eltern gestorben waren? Wäre sie sonst zu einem anderen Gott oder einer anderen Göttin gekommen? Warum hatte sie ausgerechnet zu diesem kriegerischen, aggressiven Gott kommen müssen, der sich gerne mit anderer Männer Ehefrauen vergnügte?
Ein starker Wind kam auf, der Lina fast ins Gras fallen ließ. Sie hielt schnell den Blumenkranz fest, ehe dieser vom Wind davongeweht werden konnte. Was war denn nun los? Der Wind wurde immer stärker und stärker. Man hörte schon die ersten Rufe aus der Bibliothek. Lina stand schnell auf und wollte ins Haus, doch der Wind war so heftig, dass sie mit ihrem linken Fuß umknickte und ins Gras viel. Lina schrie auf und verzog das Gesicht. Schlagartig hörte der Wind auf. Was war denn das? 'Hat der Wind Stimmungsschwankungen oder was?', fragte sie sich im Stillen, während sie sich stöhnend den Knöchel rieb, der schon blau anlief. Vor Schmerz kniff sie die Augen zusammen und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. "Lina? Lina!", rief jemand und im nächsten Moment war Johanna an ihrer Seite. "Was ist passiert?", fragte sie besorgt und schaute sich den Knöchel an, der langsam sogar schon lila wurde. "Wegen diesem Wind bin ich umgeknickt. Hast du eine Ahnung, was das war?" "Keine Ahnung. War gerade auf dem Weg zurück hierher. Die Auserwählten der Demeter haben mich offiziell vom Feld verbannt. Dann war da mit einem Mal dieser starke Wind und als ich hier ankam, hörte er auch schon wieder auf. Durch das Fenster hab ich dann dich gesehen.", erklärte Johanna. "Komm, das muss man behandeln. Ich bringe dich nach drinnen und hole dann eine unserer Heilerinnen. Auserwählte des Apollo." Johanna half Lina beim Aufstehen und stützte sie bis zum Sofa. Dort setzte sich Lina hin und Johanna schob ein Kissen unter ihren Fuß. Dann rannte sie aus der Tür. Lina seufzte einmal und zupfte dann an dem Kranz herum, den sie mit nach drinnen genommen hatte. Warum passierte sowas immer ihr?
Kurze Zeit später kam Johanna mit einer jungen Frau wieder. Sie hatte blonde Haare und grün-braune Augen. "Hey, ich bin Zinna. Na dann schauen wir uns mal deinen Knöchel an.", begrüßte sie Lina lächelnd. Lina nickte nur. Ihr Knöchel tat immer noch furchtbar weh. Zinna zog langsam die Sandale aus und tastete dann vorsichtig Linas Fuß ab. Diese verzog manchmal gequält das Gesicht. Ihr Knöchel tat verdammt weh! "Gut. Ich denke gebrochen ist nichts. Ich mache dir eine schmerzlindernde Salbe drauf und einen Verband drum. Ich lasse dir die Salbe und einen Verband hier. Den musst du morgen früh wechseln. Und am besten schonst du deinen Knöchel.", erklärte Zinna. Lina nickte und schon schmierte Zinna eine kühle und nach Kräutern riechende Salbe auf ihren Knöchel. Danach folgte noch ein Verband und schon verabschiedete sich Zinna wieder. "Soll ich dann vielleicht das Opfern für dich übernehmen?", fragte Johanna fürsorglich. "Ich mach das schon. Aber es wäre nett, wenn du mir was vom Abendessen mitbringen könntest. Oder irgendjemanden schicken." Johanna nickte verständnisvoll. Genau in diesem Moment ertönte der Gong und Johanna musste lachen. "Ich schicke dir dein Essen.", rief sie noch, ehe sie aus der Tür verschwand. Lina schmunzelte und nahm sich dann das kleine Büchlein mit den Gedichten aus ihrer Tasche. Wieder las sie darin.
Mein alter Freund.
Nach so vielen Jahren erbittest du meinen Rat.
So höre: Ich will ihn dir geben.
Mut findest du, wo du ihn am wenigsten erwartest.
Und auch wenn die Welt im Wandel ist,
So wirst du deinen Mut finden.
Und auch wenn sich alles verändert,
Was du kanntest,
So musst du deinen Mut bewahren.
Denn es sind nicht immer die großen Dinge,
Die den Unterschied machen.
Es sind vielmehr die Kleinen. Alltäglichen Dinge, die wir für unwichtig und selbstverständlich halten.
Doch öffne die Augen
Und schau genau hin.
Was siehst du?
Die Welt!
Ein Meer aus Wundern.
Und weit hinter dem Horizont.
Das größte Wunder von allen!
Das Leben!
Also schau genau hin
Und verliere nicht den Mut.
Denn das ist es,
Was den Unterschied macht.
~Ronja Luik
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Gott des Krieges
FantasyUm zu überleben, tritt sie in den Orden der Götterdiener ein. Und wird prompt von dem Gott auserwählt, den sie am allerwenigsten mochte. Ihr Leben steht von nun an in seinem Zeichen. Ein auf und ab beginnt. Kommt sie mit alldem klar?