Alles geht einmal zu Ende

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Ohne ein weiteres Wort und immer noch ohne jegliche Emotionen verließ Viviane den Raum. Lina rappelte sich so schnell sie konnte auf und hastete ebenfalls zur Tür. Sie konnte und wollte nicht länger an diesem Ort bleiben. Ohne auf Maja Rücksicht zu nehmen, verließ sie eilig den Raum. Sie rannte den Gang entlang und kam bald bei der Kreuzung an. Schon von Weitem hatte sie Johanna gesehen, die angespannt auf und ab gelaufen war. Nun war sie zum Stillstand gekommen und blickte Lina erwartungsvoll an. "Sie hat es nicht geschafft, oder?" "Sie war bestimmt erst 14 Jahre alt. Und sie hatte keine andere Möglichkeit. Sie wurde...." Lina schluchzte auf und klammerte sich an Johanna. "Hey. Ganz ruhig. Es wird alles wieder gut.", versuchte sie Lina zu beruhigen. Doch ihre Worte machten Lina sauer. Wie konnte sie sowas sagen?! Wie konnte sie sagen, dass alles wieder gutwerden würde?! Ein Mensch, ein junges Mädchen war gestorben! Getötet vom Gift einer Schlange. Lina wollte schon ansetzen Johanna anzuschreien, da kam mit einem Mal eine völlig aufgelöste Anika auf die beiden zu gerannt. "Was ist passiert?", fragte Johanna alarmiert. "Teresa. Sie liegt im Sterben.", keuchte Anika. Lina und Johanna sahen sich geschockt an und folgten dann Anika in die Hütte des Ares. Sie stürmten die Treppe hinauf und betraten dann leise das Zimmer. Drinnen stand schon Konstanze und blickte mit einem betrübten Blick auf die alte Frau, die in ihrem Bett lag und die Augen geschlossen hatte. "Ist sie?", keuchte Johanna. Konstanze schüttelte leicht den Kopf. "Sie schläft. Sie wird nicht mehr aufwachen. Nie mehr.", flüsterte sie betroffen.

Zu viert blieben sie an Teresas Bett stehen und warteten. Warteten auf das Unausweichliche. Und dann tat Teresa ihren letzten Atemzug. Ihr Körper lag still da. Nichts rührte sich mehr. Anika schluchzte auf und sank auf den Boden. Konstanze zog Teresa die Decke über den Kopf und ging dann aus dem Raum. Johanna verließ ohne irgendwelche Emotionen zu zeigen das Zimmer. Man hörte nur noch eine Tür knallen. Lina sank neben Anika auf die Dielen des Zimmers. Heiße Tränen kullerten über ihre Wangen. Der Raum wurde erfüllt von Anikas Schluchzern. Lina legte einen Arm um die ältere Frau, die sich an sie klammerte. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Türe wieder und Konstanze betrat mit Viviane und Marianne das Zimmer. "Lina, sei so gut und bring Anika in ihr Zimmer. Und dann bete und opfere in eurem Heiligtum.", sprach Marianne sanft und legte ihre Hände auf Linas Schultern. Lina sah mit vom Weinen geröteten Augen auf und nickte. Sie stand auf und half Anika aufzustehen. Sie brachte sie in ihr Zimmer und holte dann eine kleine Holzfigur, die sie extra zum Opfern geschnitzt hatte, aus ihrem eigenen Zimmer. Langsam und mit zittrigen Beinen stieg sie die Treppe hinab und steuerte auf das Heiligtum im Garten zu. Dieses Mal hatte sie keine Augen für die schönen Blumen, die in der letzten Woche etwas vernachlässigt wurden.

Vor der Tür atmete sie noch einmal tief durch und trat dann ein. Es war ungewöhnlich kalt in der kleinen Holzhütte, wie Lina fand. Obwohl es erst Anfang Herbst war und ihr Gewand lange Ärmel besaß, fror sie auf unerklärliche Weise. Sie zündete ein Räucherstäbchen an und stellte die Holzfigur auf den Altar. Dann tat sie zwei Schritte zurück und kniete sich hin. Mit einem Mal kam alles über sie herein und sie fing an zu weinen und zu schluchzen. Sie brachte es nicht über sich dem Kriegsgott zu huldigen. Wie konnte sie auch, wenn eben noch zwei Menschen gestorben waren und es den Göttern zu verdanken war? Kurz spürte sie wieder diese Wärme, die tröstend die Arme um sie schlang. Doch als sie nicht aufhörte zu weinen, verschwand die Wärme wieder und zurück blieb ein Gefühl der Kälte und der Leere.

***

Alle Ordensschwestern hatten sich auf dem Friedhof hinter den Feldern versammelt. Ganz vorne am frisch ausgehobenen Grab standen die Auserwählten des Ares. Mit Ausnahme von Johanna. Diese stand abseits aller anderen im Schatten einer alten Eiche, deren Blätter sich schon langsam verfärbten und leise im Wind raschelten. An den steinernen Säulen rund um den Friedhof suchte sich Efeu seinen Weg empor. Es war Nachmittag. Keiner sprach ein Wort, während vier Ordensmitglieder Teresas in weiße Leinen gehüllten Leichnam auf einer Trage den Kiesweg entlangtrugen. Keine Tränen flossen. Jeder trauerte für sich. Tief im Herzen. Der Leichnam wurde in das Grab herabgelassen und jeder der Anwesenden warf eine Rose hinein. Rote, blaue, gelbe, orangene. Dann war die Zeit der Reden gekommen. Nur die Auserwählten des Ares durften etwas sagen.

Zuerst stellte sich Konstanze vor das Grab und blickte in die Menge. "Teresa.", sprach sie mit einer solch schmerzlichen Stimme, dass es Lina im Herzen wehtat. "Teresa war eine lebensfrohe und gutmütige Frau. Sie war die erste von uns Auserwählten. Ich weiß noch, wie ich sie das erste Mal getroffen habe. Nachdem ich meine Prüfungen beendet hatte und im Speisesaal stand. Sie saß allein am Tisch und klatschte als einzige. Das erste was sie zu mir sagte: Na wurde auch mal Zeit, dass noch jemand von Ares auserwählt wurde. Dann drehte sie sich zu allen anderen Tischen um und schrie: Da habt ihr es."

In Erinnerungen schwelgend lachte Konstanze leicht und zog sich dann zurück. Als nächstes war Anika an der Reihe. "Teresa war wie eine Mutter für mich. Ich mochte sie sehr gern. So wie alle hier nehme ich mal an. Viel mehr gibt es nicht zu sagen." Schnell machte Anika Platz für die nächste Auserwählte. Und diejenige war Lina. Sie schluckte und dachte darüber nach, was sie sagen sollte. "Ich kannte Teresa nicht lange und nicht sehr gut. Aber was ich von ihr weiß. Sie war eine weise, liebenswürdige Frau, die jeder gern hatte. Ich werde sie niemals vergessen." Nach und nach verschwanden alle Frauen, bis nur noch Konstanze, Anika und Lina neben dem mittlerweile geschlossenen Grab standen. Johanna war als erste verschwunden. Konstanze klopfte den beiden anderen Frauen aufmunternd auf die Schulter. "Ich schätze alles muss einmal zu Ende gehen.", meinte sie, ehe auch sie vom Friedhof verschwand. 

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt