Die erste Prüfung

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Ihr Atem stockte und Angst überkam sie. Sie war allein. Allein in der Dunkelheit. 'Beruhige dich.', ermahnte sie sich selbst. Sie wusste, dass sie jetzt ruhig und konzentriert bleiben musste. Sie hörte ein Schieben und gleich darauf wurde Licht ins Dunkel gebracht. Eine Öffnung an der Decke des Raumes war geöffnet worden und ließ Licht hinein. Doch als Lina sah, auf was das Licht zeigte, stockte ihr erneut der Atem und die Panik wollte sich wieder an die Oberfläche kämpfen. Dort, in der Mitte des Raumes auf dem sandigen Boden lag eine eingerollte, schwarze, riesige Kobra! Sie schien zu schlafen, denn sie bewegte sich nicht und hatte anscheinend weder das Licht noch den Neuankömmling bemerkt. Lina schluckte und zwang sich erneut ruhig zu bleiben. Es half ihr nichts, wenn sie jetzt in ihrer Panik die giftiger Schlange aufwecken und gefressen werden würde. Also blickte sie sich genauer in dem Raum um. Doch von der Stelle rühren tat sie sich nicht. In der Mitte des Raumes war ein großes Viereck mit Sand bedeckt. In der Mitte dieses Viereckes schlief die Schlange. Rechts und links neben dem Viereck waren dicke Steinsäulen, die die Decke des Raumes hielten. Neben den Steinsäulen verliefen Gänge, die im Halbdunkeln lagen. Ganz hinten am anderen Ende des Raumes war eine große Tür. Lina sah nach rechts und entdeckte eine alte Holztafel, die ebenfalls im Dunkeln lag. Vorsichtig und darauf bedacht keinen Laut zu machen, näherte sie sich der Tafel. Darunter stand ein Tisch, auf dem eine längliche, kleine Holztruhe ihren Platz gefunden hatte. Auf dem Schild stand:

Suchende, die du durch die Prüfungen gehst. Diese Holzschachtel musst du an dich nehmen und in den nächsten Raum bringen. Öffne sie nicht, sonst hast du verloren. Viel Glück und mögen die Götter über dich wachen.

Lina ging die Worte noch einmal im Kopf durch, ehe sie langsam und vorsichtig nach der kleinen Holzschachtel griff. Sie hob sie hoch und umschloss sie fest mit beiden Händen. Dann drehte sie sich um und blickte in den halb beleuchteten Gang vor ihr. Lina musste da durchgehen. Niemals würde sie an der Schlange vorbeigehen und riskieren, dass diese erwachen und sie angreifen würde. Langsam und vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Und noch ein Schritt. Schon hatte sie fast die Hälfte des Ganges hinter sich. Ein weiterer Schritt. Etwas knirschte unter ihren Sandalen. Lina blieb erschrocken stehen und hätte fast die Schachtel fallen gelassen. Angstschweiß brach auf ihrer Stirn aus und sie sah schnell zu der Schlange, die aber weiterhin friedlich schlief. Erleichtert stieß Lina die Luft wieder aus, die sie angehalten hatte und schaute dann auf das worauf sie getreten war. Fast hätte sie laut aufgeschrieben, konnte sich aber im letzten Moment gerade noch zurückhalten. Auf dem Boden lagen Knochen! Überreste eines menschlichen Skelettes! 'So etwas darf dir nicht passieren!', mahnte sie sich und zwang sich dann, den Blick von den Knochen am Boden zu lösen.

Sie schlich weiter und kam ohne weitere Zwischenfälle an der großen Tür am anderen Ende des Raumes an. Erleichtert atmete sie aus und wollte die Türe öffnen, doch es ging nicht! Die Tür war verschlossen. Wieder wollte die Panik von Lina Besitz ergreifen, doch auch dieses Mal zwang sie sich ruhig zu bleiben und drängte die Panik zurück. Sie atmete einmal tief durch und drehte sich dann langsam um. Die Tür hatte ein Schlüsselloch. Also musste der Schlüssel irgendwo in diesem Raum sein. Aber was, wenn er in dem Holzkästchen war? Wenn sie es öffnen musste, um hier wieder raus zu kommen? Doch sollte Lina es wirklich wagen und die Kiste öffnen? Auf der Tafel hatte gestanden, dass sie verloren hätte, wenn sie die Kiste öffnen würde. Aber was, wenn das alles nur ein Trick war? Um zu testen, ob sie Anweisungen blind erfüllte oder auch mitdachte. Und was, wenn es eben kein Trick war und Lina diese Kiste nicht öffnen durfte? Es war zum Haare raufen. Lina dachte nach. Wo sonst hätte der Schlüssel sein können, wenn er nicht in dieser verfluchten Kiste lag? Auf den Gängen konnte der Schlüssel nicht liegen. Das wäre zu einfach. Er konnte aber auch nirgendwo hängen. Das wäre wiederum zu schwierig gewesen. Die einzige weitere Möglichkeit wäre, dass der Schlüssel unter der Schlange liegen würde. Lina erinnerte sich an das Motto des Ordens. Den Göttern zu dienen. Mit allem, was man hat. Was, wenn der Sinn dieser Prüfung darin lag, zu schauen, ob man wirklich bereit war alles für die Götter zu tun? Wenn geprüft wurde, ob man für die Götter sogar gegen eine Schlange kämpfen würde? Lina atmete tief durch und dachte einmal scharf nach. Beides würde einen Sinn machen. Aber beides kam auf dasselbe raus: Wenn sie das Falsche wählen würde, wäre sie sicherlich tot. Naja, auch wenn der Schlüssel unter der Schlange war. Gegen eine ausgewachsene Kobra hatte Lina keinerlei Chance. Trotzdem musste sie es wagen. Wenn sie es schlau anstellen würde, dann würde die Schlange nicht einmal aufwachen.

Lina umklammerte das Kästchen fester und schlich langsam auf die Schlange zu. Der Sand knirschte leicht unter ihren Sandalen, doch die Schlange schlief unbeirrt weiter. Immer weiter lief Lina. Leise und vorsichtig, aber mit großen Schritten. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Und noch ein Schritt. Ein letzter Schritt. Nun stand sie direkt vor dem großen Ungetüm. Lina schaute sich die Schlange ganz genau an, bis sie etwas Glänzendes im Sand sah. Es lag etwas abseits der Schlange. Lina schlich darauf zu und kniete sich langsam und vorsichtig hin. Sie hob das Etwas aus dem Sand. Es war ein kleiner, silberner Schlüssel. Langsam stand Lina wieder auf und schlich zurück zu der Tür am anderen Ende des Raumes. Die Schlange hatte nichts mitbekommen. Sie schlief seelenruhig weiter. Lina steckte behutsam den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Ein metallisches Klacken war zu hören. Erschrocken schaute Lina hinter sich auf die Schlange. Doch diese schlief immer noch tief und fest. Erleichtert drehte Lina den Schlüssel weiter. Noch ein Klacken. Drehen. Klacken. Drehen. Klacken. Lina zog den Schlüssel aus dem Schloss und drückte langsam die Türklinke hinunter. Endlich ließ sich die Tür öffnen. Lina huschte schnell hindurch und schloss die Tür hinter sich wieder.

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt