Der Streit

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Ein Räuspern riss Lina aus der Geschichte. Sie schaute auf und blickte Ares fragend an, der vor ihr stand. Er hatte sich anscheinend geduscht, denn seine Haare hingen noch nass in seinem Gesicht. Er trug wieder dieselben Ledersandalen und eine andere Lederrüstung. Fragend sah Lina den Gott des Krieges an. "Es ist Zeit zum Mittagessen.", erklärte dieser. Lina nickte, legte das Buch zurück auf den Tisch und stand auf. Sie folgte Ares hinaus auf den Gang. "Möchtest du etwas Bestimmtes essen?", erkundigte er sich ganz beiläufig bei ihr, so als würden sie nur über das Wetter reden. Lina überlegte kurz. "Reis mit Soße und Hühnchen, wenn es keine Umstände macht.", sagte sie dann zögerlich und blickte Ares von der Seite an. Dieser begann aber nur zu grinsen. "Ich wiederhole mich noch einmal: Ich bin ein Gott." Lina nickte kaum merklich. Sobald sich die Türen zum Speisesaal öffneten, wehte ihr ein leckerer Duft von gebratenem Hühnchen entgegen. Genüsslich schloss sie die Augen und sog den Duft in sich auf. Als sie neben sich ein leises Lachen hörte, riss sie die Augen wieder auf und blickte peinlich berührt zu Boden. 'Warum muss das auch immer mir passieren?' Ein Kommentar von Seiten des Gottes blieb dieses Mal jedoch aus. Er berührte sie nur am Arm. Ein Hauch, als wäre es nur ein lauer Sommerwind. Doch trotzdem hatte Lina es gespürt. Sie blickte auf und merkte, dass Ares schon in Richtung des Essens gelaufen war. Schnell eilte Lina hinter ihm her und setzte sich. Wieder aß sie alleine und wurde dabei von Ares beobachtet.

"Sie haben für dich gebetet.", meinte dieser mit einem Mal. Verwirrt legte Lina ihr Besteck beiseite und schluckte ihr Essen hinunter. "Wer?", hakte sie nach. "Die anderen meiner Auserwählten. Sie haben für dich gebetet.", erklärte Ares. Lina musste lächeln und ihr Herz schlug vor Freude schneller. Sie hatten für sie gebetet. Sie hatten an sie gedacht! "Und was genau haben sie gesagt?" Jetzt musste auch Ares schmunzeln. "Diese Johanna hat gesagt, dass du eine tolle Frau bist und sie drohte mir mich zu finden und eigenhändig zu erwürgen, wenn ich dir etwas antun würde. Was ich natürlich niemals machen würde. Ich könnte es gar nicht." Lina grinste noch breiter und ignorierte die letzten beiden Sätze des Gottes. Ja, so kannte sie Johanna. Temperamentvoll und aggressiv, wenn es angebracht war. Aber dass Johanna einem Gott drohen würde, das hätte Lina nie gedacht. Es steckte in jedem doch noch immer eine Überraschung. Doch plötzlich fiel ihr wieder ein, was Enyalios vorhin zu ihr gesagt hatte. "Warum sagst du das eigentlich? Ich dachte ihr würdet euch schon lange nicht mehr um den Orden scheren." Jetzt schaute Ares sie ernst an. "Meine Brüder und Schwestern und Eltern und Onkel vielleicht nicht, aber ich habe immer über meine Auserwählten gewacht. Niemals würde ich das Vertrauen der Menschen ausnutzen oder ignorieren."

Lina lachte trocken auf. "Die Menschen vertrauen auf euch. Aber was habt ihr uns jemals gebracht? Was hast du uns jemals gebracht außer Tod und Leid!", rief sie in ihrem Zorn. Ares schaute sie erst erschrocken an, ehe sein Gesicht vor Wut rot anlief. "So denkst du also von mir? Und was ist mit den Schlachten, die ihr durch meine Hilfe gewonnen habt?" "Du stehst doch immer auf der Seite, auf der es dir gerade besser passt! Das hat nichts mit Ehre zu tun, sondern nur mit Machtgier und Kampfeslust!" "Hinaus!" Ares sprang auf, sodass sein Stuhl knallend auf den Boden fiel. "Scher dich auf dein Zimmer und trete mir heute nicht mehr unter die Augen. Sonst vergesse ich mich!" Lina sprang ebenfalls auf. Aus Trotz und Zorn rief sie: "Und was wenn nicht?" Klatsch! Lina taumelte zurück und landete auf dem Boden. Ungläubig fasste sie sich an die schmerzende und pochende Wange und schaute dann entsetzt zu Ares auf. Seine Augen glühten regelrecht und versprühten Funken, doch mit einem Mal erlosch das Feuer. Der Gott des Krieges schaute auf seine Hand, dann zu Lina. Wieder auf seine Hand, ein weiteres Mal zu Lina. Er machte einen schnellen Schritt auf Lina zu. "Lina ich...." "Komm nicht näher!", fauchte diese und sprang schnell auf. Für einen kurzen Augenblick wurde ihr schwindelig und sie stützte sich an einem der Stühle neben ihr. Ares wollte auf sie zu laufen und sie stützen. "Fass mich nicht an!", rief Lina und er blieb tatsächlich stehen. "Es tut mir so unendlich leid.", wisperte des Gott und streckte bittend seine Hände nach der jungen Frau aus. "Scher dich weg! Waren das nicht deine Worte? Scher dich weg und lass mich in Ruhe, bevor ich mich vergesse! Ich hab es satt in deinem Schloss zu sein! Ich hab es satt mit dir hier zu sein! Ich hab es satt deinen Launen ausgesetzt zu sein! Also scher dich weg und lass mich in Ruhe! Ich hasse dich!" Ares senkte den Kopf, drehte sich um und rannte schon fast fluchtartig aus dem Saal.

Lina ließ sich wieder zu Boden gleiten und rutschte bis an die Wand hinter sich. Sie sah aus dem Fenster und konnte gerade noch so erkennen, wie eine kürbisförmige Kutsche gezogen von zwei schwarzen Pferden über den Flammen verschwand. Lina legte den Kopf in die Hände und zuckte im nächsten Moment zischend zurück. Ihre Wange schmerzte und es war kaum erträglich. Lina wusste nicht, was mehr schmerzte. Ihre Wange oder die Tatsache, dass Ares sie angeschrien und geschlagen hatte. Sie schluchzte auf und wünschte sich die Vergangenheit zurück. Die Zeit vor dem Schloss. Die Zeit vor Ares. Die Zeit vor dem Orden. Die Zeit, in der alles noch gut war. In der sie noch einen festen Wohnsitz und eine gute Familie hatte. Die Zeit, in der sie sich ab und zu mit den Mädchen aus ihrer Nachbarschaft getroffen und sie zusammen immer über alles Mögliche geredet hatten. Die Zeit, in der sie immer beim Süßwarenladen um die Ecke ausgeholfen und zur Belohnung eine Tüte Süßigkeiten bekommen hatte. Lina wünschte sich die alte Zeit, ihr altes Leben zurück. Sie wünschte sich, sie wäre niemals in den Orden gekommen. Auch, wenn sie dann niemals Johanna und die anderen kennengelernt hätte. Das würde sie in Kauf nehmen, nur damit alles wieder so werden würde wie früher. Frustriert schluchzte sie auf und vergrub trotz ihrer Schmerzen ihr Gesicht in ihren Händen. 'Warum habe ich das nur verdient?' 

Gott des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt